Tournai
(spr. turnä, vläm.
Doornick), Hauptstadt eines
Arrondissement und ehemalige
Festung
[* 2] in der belg.
Provinz
Hennegau, an beiden
Ufern der
Schelde,
Knotenpunkt der
Eisenbahnen nach
Gent,
[* 3]
Brüssel,
[* 4]
Valenciennes,
Lille
[* 5] und
Douai, hat sieben Vorstädte,
breite
Kais, regelmäßige
Straßen, eine
Kathedrale romanischen
Stils aus dem 12. Jahrh. mit fünf
Türmen, Gemälden von
Jordaens,
Rubens,
Gallait u. a. und dem reichen Reliquienschrein
[* 6] des heil. Eleutherius,
ersten
Bischofs von Tournai
, die
Kirche St.-Brice mit dem
Grabmal des Frankenkönigs
Childerich und viele andre
Kirchen und
Kapellen, einen alten, neuhergestellten Belfried und ein Stadthaus mit öffentlichem
Garten.
[* 7]
Den Marktplatz schmückt das von Dutrieux modellierte Bronzestandbild der
Prinzessin
Maria von Epinoy (s. unten). Die
Bevölkerung
[* 8] zählte 1888: 34,805
Seelen. Die wichtigsten Industriezweige sind: Fabrikation von
Teppichen,
Leinen-,
Wollen-
und Baumwollenstoffen,
Porzellan,
Fayence
[* 9] und Bronzewaren,
Mützen- und Strumpfwirkerei,
Gerberei und
Brauerei. Der lebhafte
Handel
wird durch die schiffbare
Schelde begünstigt. Tournai
hat ein geistliches
Seminar,
Athenäum,
Industrieschule, Lehrerinnenseminar,
eine
Kunstakademie, öffentliche
Bibliothek, ein naturhistorisches
Museum, eine Entbindungsanstalt, ein
Theater.
[* 10] Es ist Sitz
eines
Bischofs und eines
Tribunals. - Tournai
hieß im
Altertum
Civitas Nerviorum,
Turris Nerviorum oder Tornacum,
ward im 5. Jahrh. den
Römern von den
Franken abgenommen und teilweise zerstört, aber bald wieder aufgebaut und bis
Chlodwig
Sitz der merowingischen
Könige.
Später gehörte es zu Flandern, seit Philipp dem Schönen zu Frankreich, bis es im Frieden von Madrid [* 11] 1526 an die spanischen Niederlande [* 12] kam. Während der niederländischen Unruhen ward es 1581 von dem Herzog von Parma [* 13] belagert, aber von der Prinzessin Maria von Epinoy tapfer verteidigt. 1667 von Ludwig XIV. erobert, wurde es im Aachener Frieden von 1668 förmlich an Frankreich abgetreten. Ludwig XIV. ließ die Festungswerke durch Vauban ansehnlich verstärken; dessenungeachtet ward der Platz 1709 von den Kaiserlichen unter Prinz Eugen und Marlborough wieder erobert und im Frieden von ¶
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Utrecht
[* 15] mit den österreichischen Niederlanden vereinigt, doch erhielten die Holländer kraft des Barrieretraktats das Besatzungsrecht.
Als Joseph II. 1781 den Barrieretraktat aufhob, wurde auch Tournai
geschleift. Hier wurden die Engländer unter dem Herzog
von York von den Franzosen unter Pichegru geschlagen. Tournai
fiel nun an Frankreich, wurde im ersten Pariser Frieden
von 1814 an Holland abgetreten und kam 1830 an Belgien.
[* 16]
Vgl. Bourla, Tournai
-guide, histoire etc. (Tourn. 1884);
Cloquet, et Tournaisis
(Lille 1885).