Thucydides
,
griech. Geschichtschreiber, geb. etwa um 460
v. Chr. zu
Athen,
[* 2] war der Sohn des Olorus (eines
Abkömmlings
des thraz. Fürsten Olorus, dessen Tochter Hegesipyle im J. 515
Miltiades geheiratet hatte: auch Thucydides'
Mutter hieß angeblich
Hegesipyle). Er besaß in Skapte
Hyle, auf der thraz.
Küste, der
Insel
Thasos gegenüber,
Güter (besonders
Bergwerke). In der
Philosophie waren angeblich
Anaxagoras, in der
Redekunst
Antiphon seine
Lehrer; im ganzen steht Thucydides
unter dem
Einfluß der um die Mitte des 5. Jahrh. siegreich vordringenden ältern
Sophistik. 429 erkrankte an der
Pest, genas aber und
befehligte im
Peloponnesischen
Kriege 424 ein athenisches
Geschwader bei
Thasos.
Da er zur Rettung von
Amphipolis, welches damals durch den Spartaner
Brasidas überrumpelt wurde, um einige
Stunden zu spät
anlangte, wurde er von den Athenern wegen Hochverrats zum
Tode verurteilt. Er entzog sich der ungerechten
Strafe durch freiwillige
Verbannung. In dieser
Verbannung, die er an verschiedenen Orten (unter anderm hielt er sich im
Peloponnes
und in
Sicilien auf) verlebte, sammelte Thucydides
den
Stoff zu seinem unsterblichen Geschichtswerke über den
Peloponnesischen
Krieg;
teilweise scheint er es auch schon ausgearbeitet zu haben. 403 nach
Athen zurückberufen, widmete er sich ganz der Ausarbeitung
seines Werkes, wurde aber bald nach 400 durch den
Tod, angeblich von Mörderhand, an der Vollendung gehindert.
In dem
Grabe des Kimonischen Geschlechts zu
Athen wurde er beigesetzt. Thucydides'
Werk behandelt den Hauptteil (431-411) des
Peloponnesischen
Krieges (431-404), dessen Bezeichnung und Umgrenzung eben von Thucydides
herrührt.
Über die Abfassungszeit der einzelnen
Bücher herrscht
Streit. Die lange herrschende
Ansicht F. W. Ullrichs, daß I, 1-IV, 48 nach dem Frieden des
Nikias (421),
IV,
49-VIII nach dem Ende des
Peloponnesischen
Krieges abgefaßt seien, hat manche Bedenken.
Wahrscheinlich ist die Reihenfolge der Entstehung:
Buch VI und VII (sicil. Expedition),
Buch II-IV (erste Hälfte des
Peloponnesischen
Krieges), I (Einleitung),
Buch V und VIII (zweite Hälfte des
Krieges). Thucydides
ist der erste wirkliche und zugleich
der größte
Historiker des
Altertums, lieferte auch
die erste
Darstellung selbsterlebter Ereignisse. Und dabei beschränkte
er sich nicht bloß auf Erzählung und Unterhaltung, wie die meisten seiner Vorgänger, in vieler
Beziehung auch noch Herodot,
sondern legte mit tiefem
Blick und scharfem
Geiste die einzelnen Begebenheiten nach ihrem ursächlichen
Zusammenhange dar und erörterte zugleich die Grundsätze und Beweggründe der handelnden
Personen.
Die Hauptvorzüge von Thucydides'
Werk sind strenge Wahrhaftigkeit, kritische Genauigkeit und große
Schärfe und Feinheit der Charakterzeichnung;
freilich sind seine
Urteile zuweilen parteiisch. Für die Charakteristik der einzelnen
Personen wie bestimmte
Situationen sind besonders die in die
Darstellung eingeflochtenen Reden von Bedeutung, in denen er zugleich gelegentlich seine
eigenen
Ansichten darlegt. Sein
Stil ist streng und knapp, infolge der Kürze und des verwickelten Periodenbaues bisweilen
ziemlich dunkel. Eine Fortsetzung von Thucydides'
Werk lieferte unter anderm
Xenophon (s. d.) in seinen «Hellenika».
Eine umfassende Gesamtausgabe des Thucydides
(mit den Kommentaren früherer Herausgeber) ist die von Poppo (11 Bde.,
Lpz. 1821-51), von dem auch eine Handausgabe erschien (4 Bde.,
Gotha
[* 3] und
Erfurt
[* 4] 1843-56; neue, zum
Teil 3. Aufl., fortgesetzt von
Stahl, Lpz. 1866-86). Zu den besten Handausgaben gehören
ferner die von
Bekker (3 Bde., Oxf. 1821; in einem
Bande zuletzt Berl. 1868), Krüger (3. Aufl., 2 Bde.,
Berl. 1860),
Böhme (4.
u. 5. Aufl., 2 Bde., Lpz.
1874-85),
Stahl (2 Bde., ebd. 1873-74) und Classen (4. Aufl.,
von Steup, 8 Bde., Berl. 1897 fg.).
Von deutschen
Übersetzungen ist die beste die von Heilmann (Lemgo 1760; neueste Überarbeitung von
Bredow,
1823). -
Vgl. Krüger, Untersuchungen über das Leben des Thucydides
(Berl. 1832; mit Nachtrag 1839);
Röscher, Leben, Werk und Zeitalter des Thucydides
(Gött. 1842);
Ullrich, Beiträge zur Erklärung des Thucydides
(Hamb. 1846);
ders., Beiträge
zur Kritik des Thucydides
(Abteil. 1-3, ebd. 1850-52);
Wilamowitz, Die Thucydides
-Legende (im «Hermes»,
[* 5] 1877);
Schöll, Zur Thucydides
-Biographie (im «Hermes», 1878);
Müller-Strübing, Thucydideische Forschungen (Wien [* 6] 1881);
Herbst, Erklärungen und Wiederherstellungen zu Thucydides
(2 Bde.,
Lpz. 1892-93);
Michaelis, Die Bildnisse des Thucydides
(Straßb. 1877);
Kirchhoff, Thucydides
und sein Urkundenmaterial (Berl. 1895).