Zu Anfang des 5. Jahrh.
n. Chr. tritt in dem heutigen Thüringen ein deutscher Volksstamm unter dem
NamenThüringer (Düringe) in der Geschichte auf. Sie sind Abkömmlinge der
Hermunduren, mit deren
Namen der ihrige nahe verwandt
ist. Zu Grenznachbarn und
steten Gegnern hatten sie im
Norden
[* 9] die
Sachsen, im
Westen die
Franken und im
Süden die
Alemannen. Sie
werden dann unter den deutschen
Völkerschaften genannt, welche den Hunnenkönig
Attila 451 auf seinem
Zug
nach
Gallien begleiteten. Zu Anfang des 6. Jahrh. hat sich ein großes thüringisches
Reich gebildet, dessen
Grenzen
[* 10] im
Norden
bis zur Niederelbe, im
Süden bis zur
Donau reichten.
Das nordöstliche Thüringen zwischen der
Unstrut und
Elbe ward hierauf den
Sachsen überlassen, der südwestliche Teil fiel an
Austrasien.
Fortan bezieht sich der
NameThüringen vornehmlich auf das Gebiet zwischen
Harz undThüringer Wald,
Werra und
Saale.
Der südliche Teil um den
Main bis zur
Donau wurde allmählich fränkisches Gebiet und verlor den alten
Namen.
Dagobert I. von
Austrasien gab 630 den
Thüringern einen
Herzog in der
Person Radolfs. Derselbe focht tapfer gegen die
Slawen, lehnte sich dann
gegen den Frankenkönig Siegbert III. auf und brachte 640 die Unabhängigkeit Thüringens zu stande.
Karl d. Gr. gründete um 804 gegen die
Sorben die thüringische
Mark an der
Saale, derenInhaber unter
Ludwig
dem
Deutschen den
Titel Markherzöge (duces Sorabici limitis) führten, wie Thakulf um 849 und Radulf um 875. Diese
Würde wechselte
dann mehrfach, so daß es zur
Ausbildung einer einheimischen herzoglichen
Gewalt nicht kam; vielmehr dehnte der sächsische
HerzogOtto der
Erlauchte 908 nach dem
Tode des
MarkgrafenBurchard seine
Gewalt eigenmächtig auch über aus.
Nach dessen
Tod (912) behauptete sie sein Sohn, der nachmalige deutsche König
Heinrich I., gegen den König
Konrad I. Von den
fünf
Marken, in welche
KaiserOtto I. nach
MarkgrafGerosTode dessen große Sorbenmark zerteilte, verschwanden die nordthüringische
und die südthüringische frühzeitig wieder, weil überflüssig geworden durch die östlichern
Marken.
Ihnen entsprechen die
BistümerMerseburg und
Zeitz
[* 12] (später
Naumburg),
[* 13] wogegen das eigentliche Thüringen kirchlich von
Mainz
[* 14] abhängig
blieb.
Markgraf Ekkehard I. von
Meißen
[* 15] (985-1002) besaß auch über Thüringen eine Art herzoglicher
Gewalt.
Noch einmal, unter den
MarkgrafenWilhelm und
Otto (vonWeimar,
[* 16] 1046-1067), war Thüringen mit
Meißen vereinigt; doch erhob sich um diese
Zeit ein neues
Geschlecht in Thüringen, das die übrigen
Grafen, die sich nach
Käfernburg,
Schwarzburg,
Gleichen, Gleisberg,
Weimar nannten,
an Macht bald übertraf.
Ludwig der
Bärtige kaufte zwischen 1031
¶
Infolge davon ward das Land von allen Greueln des Kriegs heimgesucht, indem sich König Adolf 1294 und 1295 mit
Heeresmacht in Besitz des erkauften Landes zu setzen suchte, und diese Greuel wiederholten sich, als nach AdolfsSturz dessen
Nachfolger Albrecht I. ebenfalls Ansprüche auf Thüringen erhob. Nachdem aber Friedrich der Freidige (s. Friedrich 34) seinem Vater
die Wartburg entrissen und mit Diezmann die kaiserlichen Truppen bei Lucka geschlagen hatte, gelangte
er nach Diezmanns Ermordung zum alleinigen Besitz von Thüringen und erhielt dann von KaiserHeinrich VII. auch die förmliche Belehnung.
Auch entrissen sie im Verein mit ihrem dritten Bruder, Wilhelm dem Einäugigen, 1369 den von ihnen besiegten Vögten
von Plauen
[* 30] Ziegenrück, Auma und Triptis und kauften 1365 die Stadt Sangerhausen zurück. Nachdem 1373 mit den Landgrafen von Hessen
eine Erbverbrüderung geschlossen worden war, fand 1379 und definitiv 1382 nach Friedrichs des Strengen Tod eine Teilung statt,
der zufolge an Balthasar fiel. Balthasar hatte in Thüringen 1406 seinen Sohn FriedrichIV., den Friedfertigen
oder den Einfältigen, zum Nachfolger.
Das Volk der Thüringer wird zuerst zu Anfang des 5. Jahrh. bei Vegetius Renatus erwähnt. Dann erscheinen
sie unter den Verbündeten Attilas. Ihr Name ist von dem der alten Hermunduren abzuleiten. Doch sind sie nicht einfach Nachkommen
derselben, sondern Reste der Semnonen, besonders der Angeln¶
mehr
und Warnen, haben sich mit den Hermunduren zu dem neuen Stamme der Thüringer vereinigt. Abgesehen von einem kleinen linksrhein.
Gaukönigtum, das 491 durch Chlodwig unterworfen wurde, erstreckte sich ihr Reich von der niedersächs. Tiefebene südwärts
bis gegen die Donau hin. Ihr letzter König Hermanfried (s. d.) suchte gegen
den Frankenkönig Chlodwig Schutz im Anschluß an Theodorich d. Gr., mit dessen Nichte Amalaberga er sich
vermählte. Nach der Schlacht bei Burgscheidungen wurde sein Reich vernichtet.
Der nördl. Teil fiel den Sachsen zu, der südliche, die Maingegend, den Franken (Ostfranken); der Name Thüringen blieb nur an dem von
der Werra und Saale, dem Harz und dem ThüringerWalde begrenzten Landstrich haften. Unter den spätern
Merowingern erhoben sich in Thüringen, vermutlich als Schützer des Landes gegen die andringenden Sorben, eigene Herzöge; König Dagobert
I. erkannte in dieser Würde um 630 den Ratolf an, der nur noch dem Namen nach die Oberherrlichkeit des Frankenreichs ertrug.
Seine Nachfolger nahmen ihren Sitz zu Würzburg,
[* 40] aber Anfang des 8. Jahrh. erlosch das Herzogtum, und
die Bekehrung zum Christentum, besonders die Thätigkeit des Bonifatius, knüpfte Thüringen enger an das Fränkische Reich.
Thüringen wurde im 8. Jahrh. von fränk. Grafen verwaltet und bildete seit Karl d. Gr. den Ausgangspunkt für die Unterwerfung
der Sorben. 805 wird Madalgaud als ein über Thüringen gesetzter Königsbote genannt, der zu Erfurt saß, und dessen Amtsbezirk bis
an den Main reichte; mit der Zeit wurden aus den mit außerordentlichen Vollmachten bekleideten Königsboten Markgrafen; der
erste namentlich genannte Vorsteher der Thüringischen Mark war Thakulf (849), der 873 starb. Sein Nachfolger
Ratolf unterwarf 874 im Verein mit Erzbischof Liutbert von Mainz die empörten Sorben an der Mulde.
Diesem folgte der Babenberger Poppo, dem jedoch König Arnulf 892 die herzogl. Würde entzog, um sie auf den ostfränk. Grafen
Konrad, den Vater des nachherigen Königs Konrad I., zu übertragen. Nachdem dieser sie bald freiwillig
niedergelegt hatte, erhielt sie Burchard (s. d.), der 908 gegen die Ungarn
[* 41] fiel. Unter ihm erhob sich das auf das Amt der Grenzverteidigung
gestützte thüring. Herzogtum zu größerer Geltung als je zuvor, aber er erhielt keinen Nachfolger. Otto der Erlauchte, Herzog
von Sachsen, dehnte nun seine Gewalt auch über aus; sein Sohn Heinrich befestigte seine Macht über Thüringen durch
Vermählung mit Hatheburg, der Tochter des reichen Grafen Erwin, machte Merseburg zum Hauptstützpunkt und hielt sich mit
Erfolg gegen die Angriffe des Königs Konrad I.
Durch diese Verbindung mit Sachsen sowie durch die Vorschiebung der deutschen Ostgrenze, die ihm die Bedeutung
einer Grenzmark raubte, verlor Thüringen seine selbständige Stellung. In kirchlicher Beziehung stand Thüringen unter der Mainzer Kirche,
die hier reichen Besitz hatte. Nach der Ermordung des Markgrafen Elkehard I. von Meißen, 1002, der auch zum Herzog von Thüringen erhoben
war, wurde das Haus der Grafen von Weimar das mächtigste im Lande. Mit den Grafen Wilhelm IV. (1039-62)
und Otto (1062-67), die zugleich die markgräfl.
Würde von Meißen bekleideten, erlosch das Haus Weimar. Um von dem Erzbischof Siegfried von Mainz die Belehnung mit den mainzischen
Lehen zu erhalten, hatte Otto versprochen, die Thüringer zur Zahlung des verabscheuten Zehnten an die Mainzer
Kirche zu zwingen. Dieser Zehntstreit kam 1073 auf
einer Synode zu Erfurt unter Teilnahme König Heinrichs IV. im wesentlichen
zu Gunsten des Erzbischofs zum Austrag; infolgedessen schloß sich ein Teil der thüring. Herren den aufständischen Sachsen
gegen Heinrich IV. an.
Während dieser Kriege trat ein von bescheidenen Anfängen aus aufblühendes Geschlecht hervor, dem es
gelang, sich zur Führerschaft des ganzen Stammes aufzuschwingen. Ahnherr desselben ist GrafLudwig der Bärtige aus einem frank.
Geschlecht und ein Lehnsmann des Mainzer Stuhls. Er erwarb durch seine Gemahlin Cäcilie Sangerhausen und starb 1056. Sein Sohn
Ludwig (s. d.) der Springer förderte die Entwicklung seines Hauses durch seine Vermählung mit der Witwe
des ermordeten Pfalzgrafen Friedrich von Sachsen.
Ihm folgte 1123 sein gleichnamiger Sohn (gest. 1140), der von Kaiser Lothar 1130 die Würde eines Landgrafen von Thüringen erhielt,
die zuerst GrafHermann I. von Winzenburg besessen, dessen Sohn Hermann II. wegen begangenen Mordes aber
verloren hatte. Nun erst gelangte Thüringen zur Einheit und zu einer lebendigen innern Entwicklung. Zu Mittelhausen hielt der Landgraf
jährlich dreimal im Namen des Kaisers Gericht, außerdem gab es noch vier Dingstühle: zu Gotha, Thomasbrück, Weißensee und
Buttelstädt.
Unter den Städten T.s hob sich besonders Erfurt und im Schutz der Wartburg Eisenach. Ludwig II. (s. d.),
der Eherne (1140-72), mehr durch die Sage als die Geschichte berühmt, stiftete die Klöster Georgenthal und Ichtershausen.
Sein Sohn Ludwig III. (s. d.), der Milde (1172-90), schloß sich, dem bisherigen Bunde mit Heinrich dem Löwen
[* 42] entsagend, der
Bekämpfung desselben an. Der Lohn für diesen Parteiwechsel war 1180 die Verleihung der durch Adalberts vonSommerschenburgTod erledigten sächs. Pfalzgrafenwürde, auf die er jedoch 1181 zu Gunsten seines BrudersHermann verzichtete.
Seine Fehde mit Markgraf Otto (s. d.) von Meißen schlichtete der Kaiser. Da er bei seinem Tode 1190 keine Nachkommen hinterließ,
folgte ihm sein BruderHermann I. (s. d., 1190-1217), der gegen Markgraf Albrecht von Meißen, die Erzbischöfe
Konrad von Mainz und Adolf von Köln
[* 43] u. a. zahlreiche Fehden führte und durch den Wankelmut, mit dem er während des Doppelreichs
bald die staufische, bald die welfische Partei ergriff, Thüringen wiederholt zum Schauplatz des Krieges machte.
Sein jugendlicher Sohn Ludwig IV. (s. d.), der Heilige, der Gemahl der heil. Elisabeth, beendete als Vormund
seines Neffen Markgraf Heinrich des Erlauchten die in Meißen und Osterland ausgebrochenen Unruhen, starb aber schon zu
Otranto an der Pest. Für seinen erst vierjährigen Sohn Hermann II. führte dessen Oheim Heinrich Raspe (s. d.) die
Vormundschaft, der die Landgräfin-Witwe Elisabeth von der Wartburg verstieß und nach HermannsTode 1241 selbst als Landgraf
folgte. Obgleich von Friedrich II. zum Reichsverweser bestellt, ließ er sich doch durch die päpstl. Partei verleiten, als
Gegenkönig aufzutreten.
Nachdem mit Heinrich Raspes Tode der Mannsstamm Ludwigs des Bärtigen erloschen war, ergriff
Markgraf Heinrich (s. d.) der Erlauchte von Meißen auf Grund seiner Abstammung von Jutta, einer Tochter Hermanns I., sowie der von
KaiserFriedrich II. erhaltenen Eventualbelehnung von der Landgrafschaft Besitz und behauptete sich in dem nun ausbrechenden
sog. Thüringer Erbfolgestreite sowohl gegen den
¶
Heinrich übertrug die Verwaltung T.s seinem Stiefbruder, dem GrafenHermann von Henneberg, später die Landgrafschaft selbst
seinem ältesten SohneAlbrecht (s. d.) dem Entarteten. Dieser geriet jedoch
in Streitigkeiten mit seinem Bruder Dietrich und seinem Vater, sowie mit seinen SöhnenFriedrich (s. d.) dem Gebissenen und
Diezmann (s. d.). König Rudolf von Habsburg übertrug 1277 den Herzögen von Sachsen und von Braunschweig die Verweserschaft
über alle Reichsgüter in Thüringen, nahm 1289 ein Jahr lang seinen Aufenthalt in Erfurt und schützte den Landfrieden
mit Strenge.
Sein Nachfolger Adolf von Nassau aber benutzte die Zerwürfnisse im landgräfl. Hause, um sich 1294 von Albrecht die Nachfolge
in Thüringen gegen 12000 MarkSilber zusichern zu lassen und in einem verwüstenden Kriege das Land dem jungen Landgrafen zu entreißen.
Nach AdolfsSturz hielt auch sein Nachfolger AlbrechtI. den Anspruch auf Thüringen fest, aber das glückliche Treffen
bei Lucka und Albrechts baldiger Tod ermöglichten es den BrüdernFriedrich und Diezmann, sich wieder in den Besitz
T.s zu setzen, und in dem Vertrage zu Prag
[* 47] erkannte KaiserHeinrich VII. FriedrichsErbrecht aus
Thüringen und Meißen feierlich an. Doch hatte Friedrich noch 1310-12 mit der Widersetzlichkeit der StädteErfurt (das nur unter der
Schutzherrschaft der Landgrafen stand, während Erbherr der Stadt der Erzbischof von Mainz war), Nordhausen
[* 48] und Mühlhausen
zu schaffen.
Auf Balthasar folgte 1406 sein Sohn Friedrich (s. d.) der Friedfertige, dem aus
dem Erbe seines Oheims
Wilhelm I. 1410 auch Dresden
[* 50] und ein großer Teil von Meißen zufiel. Nach seinem Tode 1440 fiel an seines Vetters, Friedrichs
des Streitbaren, Söhne, Kurfürst Friedrich II. (s. d.), den Sanftmütigen, von Sachsen, und Wilhelm III., die anfangs gemeinschaftlich
regierten, bis sie ihre Länder durch den AltenburgerVertrag 1445 teilten, wobei Wilhelm Thüringen erhielt. Da
auch er 1482 ohne Leibeserben starb, fiel an die SöhneFriedrichs des Sanftmütigen, Ernst (s. d.) und Albrecht (s. d.), die eine
förmliche Landesteilung vornahmen. Thüringen nebst andern Landesteilen erhielt Kurfürst Ernst. Der damals geschaffene
Besitzstand wurde jedoch durch die Wittenberger Kapitulation vom gänzlich geändert (s.
Ernestinische Linie). Aus diesen Veränderungen haben sich allmählich die Sachsen-Ernestinischen Herzogtümer gebildet, die
übrigen wettinischen Teile T.s blieben mit dem Kurfürstentum und spätern Königreich Sachsen vereinigt, bis sie 1815 davon
abgetrennt wurden.
Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler T.s (ebd., seit 1838 fg.; Regesta
diplomatica necnon epistolaria historiae Thuringiae, hg. von O. Dobenecker (Bd.
1, ebd. 1895-96);
Regel, Thüringen. Ein geogr. Handbuch (ebd. 1896);
ders., Thüringen, ein landeskundlicher Grundriß (ebd. 1897).