Strohverar
beitung,
die technische Verwertung der Getreidehalme, besonders des Roggens, der Gerste, [* 3] des Weizens, des Hafers und des Reises. Abgesehen von ihrer Verwendung in der Landwirtschaft und zur Dachdeckung [* 4] dient das Stroh als Material für Gewebe [* 5] und Flechtarbeiten, zur Herstellung von Besen und Bürsten, als Rohstoff der Papierfabrikation [* 6] (s. Strohstoff), als Polstermaterial, als Verpackungsmittel u. s. w. Für Gewebe und Flechtarbeiten wird das Stroh, und zwar ausschließlich Weizen- oder Roggenstroh, besonders gesammelt, indem man die Halme vor der Reife abschneidet, sorgfältig vor dem Brechen und Knicken schützt, an der Sonne, [* 7] auch durch Schwefel oder Chlor bleicht und dann nach der Stärke [* 8] sortiert. In Italien [* 9] baut man für diese Zwecke eine besondere Art von Stroh, Marzolano, welches von einer durch dünne und biegsame Halme ausgezeichneten Varietät des Sommerweizens (grano marzuolo, d. i. Märzsaat) stammt. Für feinere Flechtarbeiten wird das Stroh gespalten und heißt dann fälschlich Reißstroh. Aus Stroh fertigt man Körbe, Teller, Geflechte zum Reinigen, Schnüre, Stuhlsitze, Rouleaux, künstliche Blumen, Mosaikarbeiten, namentlich aber Hüte.
Nach dem Bleichen und Trocknen werden die Halme zwischen den Knoten in Stücke zerschnitten. Die Teile zwischen der Ähre und dem ersten Knoten sind die längsten (24-30 cm) und eignen sich am besten für Strohgewebe, während die übrigen Teile geflochten werden. Für die feinsten Waren müssen die Halme in möglichst gleichmäßige Streifen (von 0,8-1,5 mm Breite) [* 10] geteilt werden, was gewöhnlich mittels des Strohspalters, eines kleinen stählernen Werkzeugs, geschieht, das an einem kegelförmigen Schaft 3-10 strahlenförmig angeordnete scharfschneidige Blätter trägt, indem man die Spitze ins Innere des Halms steckt und letztern erst so weit vorschiebt, daß der zerspaltene Anfang hinter den Schneidblättchen mit den Fingern erfaßt werden kann, worauf man den Halm rasch ganz hindurchzieht. Ein anderes Verfahren, welches noch gleichmäßigere Streifen ¶
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ergiebt, besteht darin, daß man zuerst den Halm in der Längenrichtung aufschlitzt, hierauf flach ausbreitet und zwischen den Walzen eines kleinen Walzwerkes völlig glatt legt, um ihn dann mittels eines geraden Kammes mit scharfen Zähnen zu spalten. Die so erhaltenen Streifen werden dann entweder nach der Arbeitsweise des Webens zu breiten Stücken, oder durch Flechten [* 12] zu schmalen Bändern verarbeitet.
Die Strohgewebe sind, dem Wechsel der Mode entsprechend, von großer Mannigfaltigkeit. Bei gröbern Waren dient als Kette ein Leinenzwirnfaden, als Einschlag ein Strohstreifen; die Kettenfäden liegen dann weit auseinander, oft paarweise nebeneinander, und es wechselt bei Anwendung eines Gazeschafts am Webstuhl [* 13] (s. Weberei) [* 14] ein offenes Fach mit einem gekreuzten, zwischen welchen der Strohstreifen festgeklemmt ist. Bei feiner Ware dient als Kette Seide, [* 15] als Einschlag Stroh allein oder abwechselnd mit Seidenfäden.
Teils ist die Bindung einfach leinwand- oder köperartig, teils sind durch die Seidenfäden Muster eingewebt. (S. Strohdünntuch.) Die zur Anwendung kommenden Webstühle [* 16] sind, der Kürze des Materials entsprechend, klein gehalten und besitzen statt des gewöhnlichen Schiffchens eine eigentümliche Vorrichtung, Maulschütze genannt. Das im feuchten Zustand zu verwebende Stroh wird dem Weber gewöhnlich von einem Kinde zugereicht, und zwar abwechselnd ein Streifen mit dem obern, ein Streifen mit dem untern Ende zunächst, weil das Stroh nie an beiden Enden gleichfarbig ist und durch den Wechsel ein Ausgleich stattfindet. Dabei wird stets die äußere, glänzende Seite als rechte Seite genommen. Aus Strohgewebe macht man Tischdecken, Matten, Damenhüte u. s. w.
Das zu feinern Geflechten, namentlich Hüten (s. Strohhutflechterei), bestimmte Stroh wird von Hand [* 17] zu schmalen Bändern geflochten, die entweder unmittelbar zu Hüten verarbeitet oder als Halbfabrikate in den Handel gebracht werden. Auch bei den Flechtwaren ist die glänzende Seite die rechte; die beim Anstücken der Streifen auf der linken Seite vorstehenden Enden werden durch Abschneiden zum Teil entfernt. Das Strohflechten und Strohhutnähen wird in Italien, Frankreich, Belgien, [* 18] Schottland, Deutschland [* 19] (Königreich Sachsen [* 20] von Dresden [* 21] ab über Dippoldiswalde, Preischa und Müglitzthal bis zur böhm. Grenze, sodann in Württemberg), [* 22] Österreich [* 23] u. s. w. betrieben. Die gröbsten Strohfabrikate sind die Strohseile, welche für landwirtschaftliche Zwecke, in Gießereien (bei der Kernbildung) sowie als Umhüllungsmaterial für Dampfleitungen u. s. w. ausgedehnte Verwendung finden. Für größern Bedarf benutzt man zur Herstellung derselben mechan. Vorrichtungen, Strohseilspinnmaschinen, welche in ihrer Anordnung der Watermaschine (s. Spinnerei) nachgebildet sind.
Strohmosaikarbeiten findet man vorzugsweise an Schachteln, Dosen und andern meist geringwertigen Luxusartikeln.