Strahlende
Materie, s. Geißlersche Röhre, [* 2] S. 30.
Strahlende Materie
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Strahlende
Materie, s. Geißlersche Röhre, [* 2] S. 30.
[* 2] Röhre (von dem Glaskünstler Geißler ausgeführt, von Plücker angegeben) nennt man eine zugeschmolzene Glasröhre, welche ein sehr verdünntes Gas enthält, und in welche an geeigneten Stellen eingeschmolzene Platin- oder Aluminiumdrähte hineinragen, welche außerhalb mit Ösen zum Einhängen von Zuleitungsdrähten versehen sind. Von den zahlreichen und mannigfaltigen Formen, welche man diesen Röhren [* 4] zu geben pflegt, ist eine der einfachsten in [* 2] Fig. 1 dargestellt.
Verbindet man die an ihren Enden eingeschmolzenen Platindrähte, welche man Elektroden nennt, mit den Polen eines Funkeninduktors (s. Induktion) [* 5] oder den Elektroden einer Influenzmaschine (s. d.), so entwickelt sich in der Röhre eine prachtvolle Lichterscheinung. Befindet sich mäßig (z. B. auf 1/300) verdünnte Luft in der Röhre, so erscheint der negative Pol von einer zarten tiefblauen Lichthülle, dem Glimmlicht, umgeben; vom positiven Pol aber ergießt sich eine pfirsichblütrote Lichtgarbe durch die ganze Röhre fast bis zur negativen Lichthülle, bleibt aber von dieser durch einen dunkeln Zwischenraum getrennt; diese Garbe zeigt sich häufig, namentlich wenn Dämpfe von Terpentinöl, Schwefelkohlenstoff oder andre brennbare Gase [* 6] in der Röhre gegenwärtig sind, in eine Reihe abwechselnd heller und dunkler Schichten zerlegt, welche zur Achse der Röhre senkrecht stehen und in wellenartiger Bewegung vom positiven nach dem negativen Pol fortzuschreiten scheinen.
Einem genäherten elektrischen Strom oder einem Magnet gegenüber verhält sich der positive Strom wie ein beweglicher Stromleiter; er wird z. B. von einem Magnet abgelenkt nach denselben Gesetzen wie ein beweglicher Leitungsdraht (s. Elektrodynamik) [* 7] und kann in fortgesetzte Umdrehung um einen Magnet versetzt werden. Hierzu dient am bequemsten die Vorrichtung [* 2] Fig. 2;
in ein eiförmiges Glasgefäß, in welchem die Luft (mittels einer Quecksilberluftpumpe) [* 8] hinreichend verdünnt ist, ragt ein mit einer Glashülle bedeckter Eisenstab E hinein;
der Lichtstrom ergießt sich parallel zum Eisenstab zwischen den beiden Platinelektroden, deren eine (a) am obern Ende des Eies angebracht ist, während die andre (b) weiter unten den Eisenstab ringförmig umgibt;
stellt man das Ei [* 9] auf den Pol eines Elektromagnets M, so wird der Eisenstab magnetisch, und der Lichtstrom dreht sich nun um ihn in derselben Weise, wie sich ein drehbar aufgehängter Leitungsdraht um einen Magnet drehen würde;
die Richtung der Drehung kehrt sich um, wenn man mittels des Kommutators K die Pole des Elektromagnets wechselt.
Textfigur: [* 2] Fig. 2. Obgleich eine geißlersche Röhre ihr sanftes Licht [* 10] ohne Unterbrechung auszustrahlen scheint, so besteht dasselbe doch nur aus einer raschen Reihenfolge sehr kurz dauernder einzelner Entladungen, deren Bilder, wenn sie in unserm Auge [* 11] auf dieselbe Stelle der Netzhaut fallen, zu einem einzigen ununterbrochenen Lichteindruck verschmelzen; versetzt man aber die Röhre vermittelst einer Schwungmaschine in rasche Umdrehung um ihr eines Ende, so fallen die Bilder der einzelnen Entladungen auf verschiedene Stellen der Netzhaut, und man erblickt einen aus vielen leuchtenden Röhren gebildeten prachtvollen Stern.
Die Farbe des positiven Lichtstroms ist je nach der Beschaffenheit des in der Röhre enthaltenen Gases verschieden, z. B. in Wasserstoffgas purpurrot, in Kohlensäure grünlich. Immer aber ist sein Licht reich an jenen violetten und ultravioletten Strahlen, welche das als »Fluoreszenz« [* 12] bezeichnete Selbstleuchten des Glases hervorzurufen im stande sind; indem man Teile der Röhre aus stark fluoreszierenden Glassorten, z. B. dem hellgrün leuchtenden Uranglas, in zierlichen Formen herstellt, wird die Pracht und Mannigfaltigkeit der Lichterscheinungen noch bedeutend gesteigert.
Wird die Luft in einer Röhre weiter verdünnt als in den gewöhnlichen Geißlerschen Röhren, so dehnen sich das bläuliche negative Licht und der dunkle Raum, der es vom positiven Lichte trennt, immer weiter aus, das positive Licht aber zieht sich zurück und verschwindet endlich ganz. Jener dunkle Raum läßt sich sehr schön zeigen mit Hilfe der von Crookes angegebenen Röhre [* 2] (Fig. 3), die in der Mitte eine runde Platte aus Aluminiumblech als negativen Pol und an den Enden eingeschmolzene Drähte enthält, welche mit dem positiven Pol des Funkeninduktors verbunden werden; ¶
man sieht von der mit bläulichem Licht umhüllten Platte den dunkeln Raum sich nach beiden Seiten hin etwa 3 cm weit erstrecken bis zur scharfen Grenze des positiven Lichts. Während der positive Lichtstrom in einer gewöhnlichen Geißlerschen Röhre wie ein beweglicher Stromleiter die Verbindung nach dem negativen Pol herstellt, sich stets nach diesem hinwendet und allen etwa vorhandenen Krümmungen der Röhre folgt, pflanzt sich in Röhren, in denen die Luft bis auf ungefähr ein Milliontel einer Atmosphäre verdünnt ist, das negative Licht nur in geraden Linien fort, welche senkrecht von der Oberfläche der negativen Elektrode ausgehen und in ihrer Richtung durch die Lage der positiven Elektrode nicht im mindesten beeinflußt werden. Dieses Verhalten hat Hittorf sehr einfach mittels der in [* 13] Fig. 4 dargestellten Röhre veranschaulicht.
Die Platindrähte a und b sind in Glasröhrchen eingeschmolzen, so daß nur ihre eben geschliffenen Endflächen frei bleiben; die Endfläche des Drahtes b ist von derjenigen des Drahtes a abgewendet. Macht man b negativ, a positiv, so durchstrahlt das von der Endfläche b ausgehende negative Licht die Strecke b c, entfernt sich also immer mehr von dem positiven Pol und dem die Strecke a b erfüllenden positiven Licht. Macht man dagegen a negativ, b positiv, so krümmt sich der positive Lichtstrang unmittelbar hinter der Endfläche b und nimmt die Richtung auf a; das negative Licht von a flutet dagegen geradlinig fort und geht über b hinaus bis ans Ende c der Röhre, unbekümmert darum, daß es auf seinem Weg den positiven Pol b kreuzt.
Crookes bediente sich zum Nachweis dieser Eigentümlichkeit des negativen Lichts der folgenden Einrichtung. In eine V-förmige Röhre [* 13] (Fig. 5) sind drei Drähte a b c eingeschmolzen, deren jeder eine kleine kreisförmige Blechplatte trägt; setzt man a mit dem negativen, b mit dem positiven Pol des Induktionsapparats in Verbindung, so pflanzt sich das negative Licht in gerader Linie nur bis c fort, ohne dort um die Ecke zu biegen, und verbindet man a mit dem positiven, c mit dem negativen Pol, so ergießt sich das negative Licht in der zur Polplatte senkrechten Richtung geradlinig nach b hin, ohne sich um den bei a liegenden positiven Pol im geringsten zu kümmern. Es hat den Anschein, als ob die Teilchen der sehr verdünnten Luft von dem negativen Pol mit großer Gewalt senkrecht zur Polfläche fortgeschleudert werden und nun wie Lichtstrahlen geradlinig dahinschießen.
Crookes hat daher die Materie in dem Zustand höchster Verdünnung, bei welcher sie dieses Verhalten zeigt, als strahlende Materie bezeichnet. Da, wo die Strahlen des negativen Lichts auf die Glaswand des Gefäßes treffen, erregen sie das Glas [* 14] zu lebhaftem Selbstleuchten oder Phosphoreszieren; das Thüringer Glas, aus welchem diese Gefäße gewöhnlich verfertigt werden, leuchtet hell apfelgrün, Uranglas dunkler grün, englisches Glas blau. Um die Phosphoreszenz [* 15] andrer Körper unter der Einwirkung des negativen Lichts zu beobachten, schließt man sie in Röhren wie [* 13] Fig. 6 ein; Rubin leuchtet unter diesen Umständen mit roter Farbe, Kalkspat [* 16] ebenfalls rot, Phenakit blau, Pektolith schwefelgelb, und gewisse Spielarten von Diamant [* 17] strahlen helles grünes Licht aus.
Der wesentliche Unterschied zwischen der elektrischen Entladung in mäßig verdünnter und sehr stark verdünnter Luft läßt sich sehr auffallend an den beiden ganz gleichen, kugelförmigen Gefäßen [* 13] (Fig. 7 A und B) wahrnehmen, deren ersteres nur bis zu einem gewöhnlichen Grade, das andre aber bis auf etwa ein Milliontel Atmosphäre ausgepumpt ist.
Verbindet man die Elektrode a, welche die Form einer Schale hat, mit dem negativen, die Elektroden b, c, d der Reihe nach mit dem positiven Pol, so sieht man in dem ersten Gefäß [* 18] einen roten Lichtstrom von dem jeweiligen positiven Pol nach der negativen Polplatte sich ergießen und an dieser die blaue negative Lichthülle auftreten; in dem andern Gefäß indes sieht man nichts von einer positiven Lichtgarbe; von dem schalenförmigen negativen Pol indes gehen die Strahlen des negativen Lichts aus, laufen im Mittelpunkt der Kugel, von welcher die Schale ein Abschnitt ist, wie in einem Brennpunkt zusammen, gehen darüber hinaus wieder kegelförmig auseinander und erzeugen auf der gegenüberliegenden Glaswand einen Fleck grünen Phosphoreszenzlichts, der sich heiß anfühlt;
diesen Weg schlagen sie unbeirrt ein, welchen der Drähte b, c, d man auch zum positiven Pol machen mag. Die Strahlen des negativen Lichts werden ¶
von einem festen Körper, auf den sie treffen, aufgefangen; in dem birnförmigen Gefäß (Fig. 8) trägt der positive Poldraht ein aus Aluminiumblech ausgeschnittenes Kreuz [* 20] b; da nur die an dem Kreuz vorbeigehenden Strahlen (a c, a d) des negativen Pols a zur gegenüberliegenden Glaswand gelangen und deren Phosphoreszenz erregen, so erscheint daselbst auf hellgrün leuchtendem Grunde der dunkle Schatten [* 21] des Kreuzes. Wirft man jetzt das um ein Scharnier drehbare Kreuz durch eine leichte Erschütterung des Apparats um, so daß die Strahlen des negativen Pols die gegenüberliegende Glaswand ungehindert treffen, so tritt das vorhin dunkle Kreuz jetzt hell auf dunklerm Grund hervor; das Glas hat sich nämlich an den schon vorher von den Strahlen getroffenen Stellen erwärmt und dadurch sein Phosphoreszenzvermögen teilweise verloren; der Teil aber, welcher vorher beschattet war, ist nicht ermüdet, sondern besitzt noch frische Empfänglichkeit.
Daß der vom negativen Pol ausgehende Lichtstrom aus fortgeschleuderten Massenteilchen besteht, welche
vermöge ihrer Wucht auf die getroffenen Körper einen Stoß ausüben, beweisen die von Crookes entdeckten mechanischen Wirkungen
der »strahlenden
Materie«. In der Röhre
[* 19]
(Fig. 9) ist eine gläserne Schienenbahn angebracht, auf welcher ein kleines Rad mit
Glimmerschaufeln rollen kann; verbindet man die oberhalb der Bahn gelegenen Elektroden mit den Polen des
Induktors, so wird das Rad vom negativen nach dem positiven Pol hingetrieben, als ob von jenem her ein Luftstrom gegen die Schaufeln
bliese.
In dem Gefäß (Fig. 10) ist ein kleines Rad mittels eines Stahlhütchens auf eine Stahlspitze leicht beweglich aufgesetzt; die Flügel des Rades bestehen aus Aluminiumblech und sind auf der einen Seite mit Glimmer bekleidet; verbindet man das Rädchen mit dem negativen, den oben am Gefäß eingeschmolzenen Draht [* 22] mit dem positiven Pol, so gerät das Rädchen durch den Rückstoß, welchen die von den Aluminiumflächen fortgeschleuderten Moleküle ausüben, in rasche Umdrehung, mit den Glimmerseiten voran. Auch der negative Lichtstrom unterliegt der Einwirkung des Magnets, und zwar verhält er sich nach Plücker, als wenn er aus frei beweglichen Teilchen eines magnetischen Stoffs bestände. Diese Einwirkung läßt sich mittels der in [* 19] Fig. 11 dargestellten, von Crookes angegebenen Vorrichtung sehr schön nachweisen.
Im Innern einer in hohem Grad ausgepumpten
Röhre ist ein mit einer phosphoreszierenden Substanz überzogener
Schirm e f angebracht, in der Nähe des negativen Pols a befindet sich ein Glimmerblättchen b d mit einer Öffnung e, durch
welche sich ein Bündel negativer Strahlen nach dem positiven Ende der Röhre ergießt und auf dem Schirm
seine leuchtende, zunächst geradlinige Spur zeichnet. Bringt man nun einen Magnet M unter die Röhre, so krümmt sich das leuchtende
Strahlenbündel (e g) nach unten, wenn der Nordpol des Magnets vorn, nach oben, wenn er hinten liegt. Der Strom strahlender
Materie,
welcher vom negativen Pol ausgeht, wird von einem zweiten negativen Pol abgestoßen.
Am einen Ende der Röhre
[* 19]
(Fig. 12) bei c ist ein gerader Draht, am andern Ende sind zwei Elektroden a und b mit geneigten Endplatten
eingeschmolzen; quer vor denselben steht ein Schirm von Glimmer mit zwei Öffnungen (d und e) und entlang
der Röhre ein phosphoreszierender Schirm d e f. Macht man c zum positiven, a zum negativen Pol, so bezeichnet der nach abwärts
geneigte Lichtstreifen d f den Weg der strahlenden
Materie; setzt man nun auch die Elektrode b mit dem negativen Pol in Verbindung,
so sieht man den Lichtstreifen d f infolge der von b ausgehenden Abstoßung nach d g sich zurückbiegen,
und der von b ausstrahlende
Lichtstreifen, welcher für sich nach e f gegangen wäre, wird nach e h abgelenkt. Läßt man
ein Bündel negativer Strahlen an einem zweiten drahtförmigen negativen Pol nahe vorübergehen, so erleidet es in der
Nähe dieses Drahtes eine plötzliche Knickung, nach welcher es in der neuen Richtung wieder geradlinig weitergeht. - Ein Körper,
der von strahlender
Materie getroffen wird, erwärmt sich; die Wucht der gehemmten Bewegung verwandelt sich in Wärme.
[* 23]
Die Strahlen, welche in der Röhre [* 19] (Fig. 13 a) von dem schalenförmigen negativen Pol ausgehen, vereinigen sich in einem Brennpunkt, welcher durch einen von außen genäherten Magnet nach der Glaswand hinübergezogen wird [* 19] (Fig. 13 b); das Glas wird heiß an dieser Stelle, beginnt zu zerspringen, indem sich Risse sternförmig um den erhitzten Mittelpunkt bilden, endlich wird das Glas weich, und der Druck der äußern Luft drückt es einwärts. In der Glaskugel [* 19] (Fig. 14) ist im Brennpunkt des schalenförmigen negativen Pols (a) ein Stück Iridio-Platin (b) angebracht, welches durch die gesammelten Strahlen bis zur Weißglut erhitzt und schließlich geschmolzen wird.
Die Erscheinungen des negativen Lichts entwickeln ¶