Titel
Sonntagsar
beit.
Das Problem der Sonntagsfeier hat einen doppelten Charakter. Es kommt darauf an, einen Tag zu gewinnen, an welchem der Mensch seinem religiösen Bedürfnis genügen kann (Sonntagsheiligung, s. Sonntag und Sonntagsfeier), und nicht minder wichtig ist die Bedeutung des Sonntags als eines Erholungstags von harter Wochenarbeit (Sonntagsruhe). Im Zeitalter der Fabriken, bei der heutigen Konkurrenz und Ruhelosigkeit im Erwerbsleben tritt die letztere Seite als eine Forderung der öffentlichen Gesundheitspflege besonders hervor, während die ältere Zeit mehr aus kirchlichen Rücksichten eine strenge Beobachtung des Sonntags zu erzwingen suchte. Beide Standpunkte miteinander zu vereinigen und eine vollkommenere Feier des Sonntags anzubahnen, lassen sich die 1861 gegründete «Gesellschaft für Beobachtung des Sonntags», die seit 1871 zu einer «Schweizer Gesellschaft für Sonntagsheiligung» geworden ist, und die 1872 vom Pastor Quistorp in Deutschland [* 3] begründete «Deutsche [* 4] Gesellschaft der Sonntags- und Arbeiterfreunde» angelegen sein. - Durch die Gesetzgebung ist jetzt in den meisten Kulturländern die S. erheblich eingeschränkt; entsprechend den religiösen Anschauungen und den Volkssitten findet man bei den verschiedenen Völkern eine mehr oder weniger streng durchgeführte Sonntagsruhe.
Ein völliges Verbot aller und jeder S. läßt sich nicht durchführen, weil manche Arbeiten Sonntags ohne die wesentlichsten Schädigungen kaum verhindert werden könnten. So müssen z. B. aus technischen Gründen gewisse einmal begonnene Erhitzungs-, Glüh-, Brenn-, Schmelz-, Destillationsprozesse zu Ende geführt werden, wenn das Fabrikat in der gewünschten Beschaffenheit erzielt werden soll; wenn nicht auch jedes Vergnügen verboten sein soll, so müssen die Verkehrsmittel (Eisenbahnen, Pferdebahnen u. s. w.) im Betrieb bleiben; auch würde es den Volksgewohnheiten der meisten Länder, wenigstens des Kontinents, widersprechen, wenn man auch den Betrieb der Gastwirtschaft, Theater [* 5] u. s. w. verböte. Die Gesetze aller Länder weisen daher auch Ausnahmen von dem Verbot der S. auf.
In Deutschland ist das Verbot der S. aus Erholungsgründen erst durch das Arbeiterschutzgesetz, d. i. die Novelle zur Gewerbeordnung vom eingeführt; bis dahin war nur den Gewerbtreibenden verboten, ihre Arbeiter zur Thätigkeit an Sonn- und Festtagen zu verpflichten (Gewerbeordnung §§. 1052, 126, 1363); außerdem war die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter von 12 bis 14 Jahren in Fabriken, Werkstätten u. s. w. an Sonn- und Festtagen sowie während der vom ordentlichen Seelsorger für den Religionsunterricht bestimmten Stunden untersagt und verfügt, daß der Lehrherr dem Lehrlinge die zu seiner Ausbildung und zum Besuch des Gottesdienstes an Sonn- und Festtagen erforderliche Zeit und Gelegenheit durch Verwendung zu andern Dienstleistungen nicht entziehe.
In den Einzelstaaten bestanden, regelmäßig in Form von Polizeiverordnungen, Verbote der S. nur aus religiösen Gründen, d. h. zur Sicherung des Gottesdienstes gegen äußere Störung sowie zur Heilighaltung der Sonn- und Festtage. Teils wegen ihrer Buntscheckigkeit, teils wegen ihrer ungenügenden Durchführung und Unzulänglichkeit als gleichzeitiges Arbeiterschutzmittel wurde mehrfach seit den siebziger Jahren die Einführung eines Reichsgesetzes über die Sonntagsruhe angestrebt. 1885 wurde eine Enquete über die Beschäftigung gewerblicher Arbeiter an Sonn- und Festtagen angeordnet, deren Ergebnisse 1887 in drei Bänden veröffentlicht wurden.
Nach dieser Enquete hatten von 500 156 untersuchten Betrieben mit 1 582 591 Arbeitern in Preußen [* 6] 58 Proz. aller Betriebe und 42 Proz. aller Arbeiter S. Nach Berufsabteilungen gegliedert kam S. vor: in der Großindustrie je 49,4 Proz. der Betriebe, bei 29,8 Proz. der Arbeiter;
im Handwerk je 42,1 Proz. der Betriebe, bei 41,8 Proz. der Arbeiter;
im Handel und Verkehr je 83 Proz. der Betriebe, bei 77,6 Proz. der Arbeiter.
Nachdem bereits in der internationalen Arbeiterschutzkonferenz in Berlin [* 7] (März 1890) die Frage der Sonntagsruhe eingehend erörtert worden war, ohne daß jedoch Verständigung über eine internationale Regelung erzielt worden wäre, ist nun das Verbot der S. in dem Arbeiterschutzgesetz vom und der Gewerbeordnungsnovelle vom geordnet. Hiernach dürfen 1) in der Industrie, d. h. im Betrieb von Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüchen und Gruben, von Hüttenwerken, Fabriken und Werkstätten, von Zimmerplätzen und andern Bauhöfen, von Werften und Ziegeleien sowie bei Bauten aller Art, Arbeiter an Sonn- und Festtagen grundsätzlich nicht beschäftigt werden; ¶
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2) im Handelsgewerbe und seit nach Novelle vom auch in Konsum- und andern Vereinen dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage überhaupt nicht, im übrigen an Sonn- und Festtagen nur fünf Stunden beschäftigt werden; Gemeinde und weiterer Kommunalverband können die Beschäftigung noch weiter beschränken oder ganz untersagen (§. 105 b). Die Feststellung der Stunden erfolgt durch die Polizeibehörde. Gesetzlich ausgeschlossen ist die Sonntagsruhe für 1) Arbeiten, die in Notfällen oder im öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen werden müssen;
2) Arbeiten zur Durchführung einer gesetzlich unverschiebbaren Inventur;
3) Bewachung der Vetriebsanlagen und notwendige Arbeiten für Reinigung und Instandhaltung der Betriebsanlagen;
4) Arbeiten, die zur Verhütung des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitererzeugnissen erforderlich sind. Durch Beschluß des Bundesrats (vgl. hierher Bekanntmachung des Reichskanzlers vom mit Nachträgen vom 20. April, 26. Juni, 14. Juli, können Ausnahmen zugelassen werden für Gewerbe, in denen Arbeiten vorkommen, welche ihrer Natur nach eine Unterlassung und Aufschub nicht gestatten, sowie für Arbeiten, die auf eine bestimmte Jahreszeit beschränkt sind oder zu gewissen Zeiten des Jahres zu außergewöhnlich verstärkter Thätigkeit nötigen (§. 105 d). Die höhere Verwaltungsbehörde kann S. gestatten für Gewerbe, deren Ausübung an Sonn- und Festtagen zur Befriedigung täglicher und an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung [* 9] erforderlich ist, sowie für Betriebe, welche ausschließlich oder vorwiegend mit durch Wind oder unregelmäßige Wasserkraft bewegten Triebwerken arbeiten.
Die untere Verwaltungsbehörde ist befugt, vorübergehende Ausnahmen zuzulassen, wenn zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens ein nicht vorher zu sehendes Bedürfnis der Beschäftigung eintritt. Im Handelsgewerbe kann die Polizeibehörde eine Vermehrung der Stunden bis auf 10 gestatten in den letzten vier Wochen vor Weihnachten, sowie für einzelne Sonn- und Festtage, an welchen örtliche Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr nötig machen.
Die Bestimmungen über Sonntagsruhe findet keine Anwendung auf Gast- und Schankwirtschaften, Verkehrsgewerbe (doch sind neuerdings Bestimmungen über Sonntagsruhe im Güterverkehr der Eisenbahnen getroffen worden) und Aufführungen aller Art (Musikaufführungen, Theater u. s. w.). Für jugendliche Arbeiter von 12 bis 14 Jahren ist in Fabriken die S. ganz verboten, Lehrlingen muß die zum Besuch des Gottesdienstes erforderliche Zeit und Gelegenheit gewahrt werden. Für Übertretung dieser auf jugendliche Arbeiter bezüglichen Vorschrift ist Geldstrafe bis 2000 M., im Unvermögensfalle Gefängnis bis sechs Monate angedroht (§. 146, Ziff. 2); für Übertretung der besondern für Lehrlinge Geldstrafe bis 150 M., im Unvermögensfalle Haft bis vier Wochen (§. 148, Ziff. 9); für Übertretung derjenigen bezüglich aller Arbeiter und des Handelsgewerbes 600 M. und im Unvermögensfalle Haft (§. 146 a).
Die Bestimmungen für das Handelsgewerbe traten in Kraft; [* 10] die für die Industrie weil die Ermittelung der vom Bundesrat zuzulassenden Ausnahmen (s. oben) lange Zeit in Anspruch nahm. Die zulässigen Ausnahmen erschöpfend zu umgrenzen, war keine leichte Aufgabe, aber sie darf in der Hauptsache als befriedigend gelöst angesehen werden. Gerade die genaue, möglichst erschöpfende Aufzählung der Sonntags erlaubten Arbeiten ist der Vorzug des deutschen Sonntagsgesetzes.
Ungefähr 10 Proz. sämtlicher in produktiven Gewerben beschäftigten Arbeiter gehört, abgesehen von den einzelnen Saisonindustrien, solchen Industrien an, für die der Bundesrat Ausnahmen bewilligt hat. Die Ausnahmen erstrecken sich bei zahlreichen Industriezweigen nur auf einige Monate im Jahr; dabei sind in der Regel nur gelegentliche Arbeiten, keineswegs der ganze Betrieb freigegeben; auch ist in zahlreichen Fällen die Beschäftigung von Arbeitern nur für einen Teil des Sonntags, vielfach nur für einige Stunden erlaubt. Zu bemerken ist, daß andererseits das Verbot der Beschäftigung von Arbeitern durch kaiserl. Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats noch auf andere Gewerbe ausgedehnt und auch landesgesetzlich S. weitergehend verboten werden kann (§. 105 g und h), sowie daß im Handelsgewerbe und in Konsum- und andern Vereinen, soweit Arbeiter nicht beschäftigt werden dürfen, auch in offenen Verkaufsstellen (seitens der Gewerbeinhaber selbst) ein Gewerbebetrieb nicht stattfinden darf (§. 41 a). Auch der Hausierhandel und ambulante Gewerbebetrieb am Orte ist, außer Darbieten von Lustbarkeiten, an Sonntagen verboten (§. 55 a). Gestiegen ist der Verkauf von Eßwaren, Cigarren u. s. w. (insbesondere auch durch Automaten) in Wirtschaften; denn diese können, weil für sie Sonntagsruhe nicht gilt, Waren, die zum Betrieb des Gewerbes gehören (nicht also z. B. Schokolade) und zum Genuß auf der Stelle bestimmt sind, uneingeschränkt, also auch durch Automaten verkaufen, während sonst für Automaten als Betriebsbestandteil die Bestimmungen über Sonntagsruhe gelten. Doch machte sich gegen dieses Recht der Wirte Frühjahr 1896 im Reichstag eine Agitation bemerkbar.
In Österreich, [* 11] durch Novelle zur Gewerbeordnung vom eingeführt, ist die Sonntagsruhe derzeit durch Gesetz vom 16. Jan. und für den Hausierhandel vom geregelt. Hiernach hat an Sonntagen alle gewerbliche Arbeit zu ruhen, von welcher Regel jedoch gewisse allgemeine Ausnahmen gelten, so z. B. für die an den Gewerbelokalen und Werksvorrichtungen vorzunehmenden Säuberungs- und Instandhaltungsarbeiten, die persönlichen, nicht öffentlich vorgenommenen Arbeiten des Gewerbeinhabers ohne Verwendung eines Hilfsarbeiters u. s. w. Die Regierung kann bei Gewerben, bei denen ihrer Natur nach Unterbrechung des Betriebes oder Aufschub der Arbeit unthunlich oder bei denen der Betrieb an Sonntagen im Hinblick auf die Bedürfnisse der Bevölkerung oder des öffentlichen Verkehrs erforderlich ist, die Arbeit auch an Sonntagen (Ministerialverordnung vom 24. April und gestatten.
Die Ausnahmen sind so zahlreich, daß sie das Gesetz zum großen Teil illusorisch machen. Unter Umständen ist den durch S. betroffenen Arbeitern Ersatzruhe an Wochentagen zu gewähren. Beim Handel ist der Sonntagsbetrieb höchstens für sechs Stunden gestattet; unter bestimmten Voraussetzungen kann diese Zeit eingeschränkt oder erweitert werden. Nach Anordnung des Handelsministers vom Jan. 1896 ist auch den Gehilfen der Fiaker und Einspänner ein Ruhetag wöchentlich zu gewähren. - In Ungarn [* 12] ist durch den XIII. Gesetzartikel vom J. 1891 die gewerbliche ¶
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Sonntagsruhe eingeführt. - In der Schweiz [* 14] verbietet das Bundesgesetz vom die S. - In England bedroht schon die Lords Day Act von 1680 jeden, der am Sonntag sein gewöhnliches Berufsgeschäft betreibt, mit 5 Shill. Strafe. Unter Georg III. wurde 1780 bei hoher Strafe verboten, irgend ein Lokal zum Zweck öffentlicher Unterhaltung Sonntags entgeltlich zu öffnen. Das Licenzgesetz von 1874 beschränkt die für den Kleinverkauf berauschender Getränke konzessionierten Lokale in ihrem Sonntagsbetriebe. Das Fabrik- und Werkstättengesetz von 1878 untersagt die S. von Kindern, jugendlichen Personen und Frauen in Fabriken und Werkstätten. - In den Vereinigten Staaten [* 15] besteht eine der englischen ähnliche Gesetzgebung.- Rußland hat seit ein Gesetz betreffend Sonntagsruhe und Maximalarbeitstag. - In Frankreich, Italien, [* 16] Belgien [* 17] besteht kein allgemeines Verbot der S. In Frankreich war nur seit 1874 die S. der Kinder unter 16 Jahren und der minderjährigen Mädchen verboten; das Arbeiterschutzgesetz vom dehnt die Pflicht der Wochenruhe (den Tag bestimmt der Arbeitgeber) auf männliche Personen von 16 bis 18 Jahren und auf großjährige Frauen aus.
Vgl. Artikel Sonntagsarbeit
im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften», Bd. 5 (Jena
[* 18] 1893);
Fey, Die Sonn- und Festtagsruhe nach dem Arbeiterschutzgesetz (Mainz [* 19] 1892);
M. Werner, Die Sonntagsruhe in Industrie und Handwerk (Berl. 1895).