Titel
Shakespeare
(auch Shakspeare und Shakspere geschrieben, spr. schéhkspir),
William, der größte dramat. Dichter
Englands und einer der ersten
Dramatiker aller
Zeiten. Nur sehr spärliche Nachrichten
sind uns über das
Leben dieses gewaltigen
Genius überliefert worden; daß aber selbst diese dürftigen
Notizen nur mit großer
Vorsicht aufzunehmen sind, leuchtet von selbst ein, wenn man weiß, daß erst 1709 in der vom Dichter
Rowe besorgten
Ausgabe der Werke Shakespeares
eine
Biographie desselben sich findet.
Was ließ sich fast 100 Jahre nach dem
Tod Shakespeares
über dessen Lebensumstände wohl noch erforschen, zumal einerseits
die
Familie des Dichters mit der Enkelin desselben ausgestorben war, anderseits in den Wirren der
Bürgerkriege
unter
Cromwell etwa noch vorhanden gewesenes
Material seinen
Untergang gefunden haben dürfte. Allerdings stützt sich
Rowe auf
eine
Schrift Aubreys von 1680, die indes sehr haltlos ist und aus dem pathetischen
Charakter des Tragikers S. dessen
Leben konstruiert.
Geboren ist S. im April 1564 in dem Landstädtchen
Stratford on Avon in
Warwickshire.
Da es in jener Zeit
gebräuchlich war, daß die
Taufe eines
Kindes am dritten
Tag nach der
Geburt desselben stattfand,
William aber 26. April
(a. St.)
getauft worden ist, so wird der 23. April allgemein als
Geburtstag Shakespeares
angenommen.
Sein
Vater
John S., der des
Lesens nicht
kundig gewesen zu sein scheint, war nach einem
Dokument von 1556 Handschuhmacher; doch wird er auch einmal
(1579) als
Yeoman
(Besitzer eines zinsfreien
Gutes) bezeichnet.
Von seinen zwei Häusern in Stratford wird dasjenige in der Henleystraße von der Tradition das Geburtshaus des Dichters genannt. John S. heiratete 1557 ein reiches Mädchen, Mary Arden, welchem ihr Vater die Farm Ashbyes, bestehend aus 56 Äckern, zwei Häusern und Gärten, vermachte. So war John S. ein wohlhabender Mann; daß er in hohem Ansehen stand, erhellt daraus, daß er auch einer der 14 Aldermen von Stratford war, ja sogar zum ersten Gerichtsamtmann (high bailiff) und drei Jahre darauf (1571) zum ersten Alderman erwählt wurde. Das ¶
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erste Kind dieser Ehe war ein Mädchen, Jane, welches 1558 getauft wurde. Mit 1577 indessen scheint ein sehr merklicher Rückgang
im Wohlstand John Shakespeares
eingetreten zu sein, da 1578 seine Farm als verpfändet bezeichnet wird. Die Verhältnisse wurden
mit den nächsten Jahren immer dürftiger: wir sehen den Vater des großen Dichters nicht nur seines Postens
als Alderman beraubt, er muß sogar ins Schuldgefängnis wandern, und nach Freilassung aus demselben 1592 heißt es (mit Bezug
auf die Bestimmung des englischen Rechts, daß niemand in seinem Hause schuldenhalber verhaftet werden durfte), daß er nicht
in die Kirche gekommen sei »aus Furcht vor einem Schuldprozeß«.
Aus diesen Einzelheiten ergibt sich, daß gerade die reifere Jugendzeit unsers Dichters, vom 14. Lebensjahr an, unter den zerrütteten Vermögensverhältnissen der Eltern zu leiden gehabt haben wird: eine wohlabgeschlossene, gelehrte Schullaufbahn machte er schwerlich durch. Im elterlichen Haus konnte er ferner keine Förderung in dieser Beziehung finden, da auch seine Mutter, wie die meisten Frauen selbst der höhern Stände unter Elisabeth, nicht schreiben konnte.
Jedenfalls aber hat der Knabe William in der »freien Gelehrtenschule« (free grammar-school) Stratfords unentgeltlichen Unterricht genossen. Wenn nun Ben Jonson in seinen »Unterhaltungen mit Drummond« sagt, S. habe wenig Latein und noch weniger Griechisch verstanden, so ist einmal der verstimmte, herabsetzende Charakter, der fast alle Äußerungen Jonsons in jenen Unterhaltungen kennzeichnet, ferner auch der Umstand zu erwägen, daß Jonson als gelehrter Kenner des Altertums einen sehr hohen Maßstab [* 3] anlegte, um aus jenen Worten nicht fälschlicherweise eine Stütze für die früher so verbreitete Meinung von dem »ungelehrten« Dichter zu gewinnen. Wenn John Dryden (gest. 1700) und vor ihm John Milton dergleichen aussprachen und S. als den »von Natur gelehrten« (»naturally learned«) bezeichneten, so kommt dies einerseits daher, daß sie, in engherziger Klassizität befangen, S. als den »kunst- und regellosen Naturdichter« anzusehen sich gewöhnten, und daß sie anderseits, wie Ben Jonson, ihren eignen Maßstab anlegten.
Gewiß hat S. bei seiner geistigen Begabung schnell genug Latein gelernt; er hat den lateinischen Tragiker Seneca wie die Komödiendichter Plautus und Terenz ohne Zweifel im Original gelesen. Außer dem Lateinischen hat er Französisch und wohl auch Italienisch verstanden, das damals in England und Frankreich ungleich mehr getrieben wurde als heutzutage. Dann ist wohl anzunehmen, daß S. ab und zu in Stratford auftretende Schauspielertruppen frühzeitig kennen gelernt und vielleicht nicht ohne Einfluß seiner häuslichen Verhältnisse gleichzeitig den Entschluß gefaßt hat, wie viele andre, als Schauspieler und Schauspielschreiber in London [* 4] sein Glück zu versuchen. So ist der 20jährige S. 1584 höchst wahrscheinlich noch in seinem Geburtsort gewesen und hat wohl auch die im genannten Jahr dort spielenden Schauspieler der Königin sowie diejenigen der Grafen Worcester und Essex zu sehen Gelegenheit gehabt.
Höchst auffallend aber ist es, daß er, noch bevor er das 19. Lebensjahr vollendet hatte, sich mit
der bereits 26jährigen Anna Hathaway verheiratete. Sechs Monate nach Schließung der Ehe, ward das erste Kind Shakespeares
getauft. Von der Mutter wissen wir übrigens nur, daß sie die Tochter eines Freisassen war, und daß sie ihren Mann um sieben
Jahre überlebt hat. Daß aber der junge S. ohne sein Weib Stratford verließ, spricht jedenfalls nicht
von großer Zärtlichkeit der Ehe, ebensowenig der andre Umstand, daß er in seinem Testament ihr nur das »zweitbeste« Bett
[* 5] vermachte, während er das beste seiner Lieblingstochter Susanna zuwies. Übrigens wissen wir, daß S., der in London
sehr bald zu großem Wohlstand gelangte, seine Familie in Stratford häufig besuchte, daß er endlich seine letzten Lebensjahre
vollständig in seinem Geburtsort zubrachte.
Man hat nun wohl den Widerklang mancher trüben, ja selbstquälerischen Stimmung aus jenen jungen Jahren in den dem Geschmack
der Zeit huldigenden, nach Art der italienischen Concetti Wortspiel und Gesuchtheit liebenden »Sonetten«
Shakespeares
entdecken wollen; indes ist es sehr bedenklich, jene durchaus lyrischen Produkte seines Geistes biographisch auszunutzen.
Wann übrigens S. nach London gegangen, ist auch nicht mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen; wir wissen nicht, ob er im
März 1585, als ihm zu Stratford Zwillinge geboren wurden, noch dort verweilte.
In den Stratforder Aufenthalt aber würde noch die ebensoviel erwähnte wie wenig beglaubigte Wilddiebstahlsgeschichte und
der Vorfall mit Sir Thomas Lucy zu setzen sein. Die Sache wird zuerst von dem oben erwähnten Biographen Shakespeares
, Nicol.
Rowe, erwähnt. Der junge S. soll nämlich besonders auf der Besitzung des Sir Thomas Lucy Wilddiebstahl
verübt und, von diesem gerichtlich verfolgt, sich durch ein Spottgedicht auf Sir Thomas gerächt haben. Es dürfte aber nicht
zu den sinnreichsten Einfällen Rowes gehören, wenn er hinzusetzt, daß jenes Spottgedicht Shakespeares
erster poetischer
Versuch gewesen.
Und so wird denn auch von Malone, Knight u. a. die ganze Sache als unglaubwürdig dargestellt, während sich allerdings neuere Kritiker, wie Halliwell und R. Geneé, zu der entgegengesetzten Annahme neigen. Man beruft sich nämlich auf einen ältern Bericht über die Sache, der vom Pfarrer Davies aus dem Jahr 1690 herrührt. Indes beruht doch auch dieser Bericht sicherlich nur auf mündlicher Tradition; auch die viel citierte Stelle in den »Lustigen Weibern von Windsor« (I, 1),
wo Falstaff klagt, daß Sir Lucy »seine Leute geprügelt und sein Wild erlegt habe«, scheint uns ein dürftiger Beweis: wie kleinlich wäre diese Rache des damals auf der Höhe seines Ruhms stehenden Dichters!
Noch weniger aber als diese Wilddiebstahlsgeschichte verdienen allerhand Anekdoten über Shakespeares
erstes Auftreten in London (das man ins Jahr 1586 zu setzen pflegt) eine eingehende Prüfung, wenngleich ein so ernsthafter
Mann wie Sam. Johnson dergleichen glaubwürdig zu machen versucht hat. Anderseits läßt sich nichts dagegen einwenden, wenn
Rowe sagt, daß S. nach seiner Ankunft in London einen niedern Rang eingenommen habe. Wenn man aber geglaubt
hat, über das Emporkommen Shakespeares
in London durch gewisse Dokumente einen Anhaltspunkt zu besitzen, so müssen dieselben
nach Untersuchung gründlicher Forscher für unecht angesehen werden.
Wir meinen hiermit zunächst das Certifikat von 1589, in welchem Shakespeares
Name in der Liste von 16 Schauspielern
des Blackfriarstheaters enthalten ist (vgl. Collier, New facts regarding the life of S., 1835; dagegen Halliwell, The life
of S., 1848, und Ingleby, Complete view of the S.-controversy, 1861, u. a.). Wir wissen nur, daß die Schauspieler von Blackfriars,
die sich seit 1587 des Lord-Kanzlers Diener nannten, den berühmten Richard Burbage, Shakespeares
Landsmann
und nachmals genialen Darsteller Shakespeare
scher Rollen,
[* 6] zu den Ihrigen zählten.
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Da aber auch gewisse in Spensers Gedicht »Thränen der Musen« [* 8] enthaltene Worte nicht auf S. bezogen werden können, so ist die 1592 herausgekommene Schrift des damals eben verstorbenen Dramatikers Robert Greene: »Ein Groschenwert Witz erkauft mit einer Million Reue« (»A groathworth of wit bought with a million of repentance«) als das älteste historische Zeugnis über die Wirksamkeit Shakespeares anzusehen. In dieser Schrift, deren Titel sich darauf bezieht, daß der Verfasser seine geringe Lebensweisheit teuer erkauft habe, findet sich nämlich folgende Stelle, worin er seine Freunde Marlowe, Peele etc. warnt, ihre Geistesgaben im Dramenmachen zu vergeuden, weil sie »an Marionetten kommen, die aus unserm Mund sprechen, an Gaukler, mit unsern Farben geziert. ... O traut ihnen nicht, denn da ist eine aufsteigende Krähe (an upstart crow), welche, mit dem Tigerherzen in eines Schauspielers Haut [* 9] gehüllt, sich die Fähigkeit zutraut, einen Blankvers auszustaffieren (to bombast-out a blancvers), so gut wie einer von euch und, als ein vollkommener Johannes Faktotum, nach seinem Begriff der einzige Szenenerschütterer (shake-scene) im Land ist.« Hier ist das Wortspiel mit dem Namen S. deutlich genug, ebenso die Anspielung auf Shakespeares Drama »Heinrich VI.«, 3. Teil, 1. Akt, 4. Szene (»Du Tigerherz, in Weiberhaut gehüllt«).
Wenn aber diese Stelle in Bezug auf den S. zugeschriebenen litterarischen Diebstahl durchaus dunkel bleibt, so bildet sie doch anderseits einen sehr willkommenen und sichern Anhaltspunkt in Bezug auf die Chronologie der frühsten Shakespeareschen Stücke. Außer innern Gründen nämlich machen es solche der Sprache [* 10] und Metrik so gut wie sicher, daß um 1592 nicht nur »Heinrich VI.«, sondern auch »Titus Andronicus«, »Perikles«, »Verlorne Liebesmüh'«, »Die Komödie der Irrungen« und die »Beiden Veroneser« bereits aufgeführt worden waren.
Möglicherweise sind auch »Romeo und Julie« und »Die Zähmung der Widerspenstigen« bereits in den ersten Entwürfen vorhanden gewesen. Im übrigen ist es sicher, daß S. wie viele seiner ältern und jüngern Zeitgenossen seine Laufbahn als Schauspieler und Theaterdichter damit begann, daß er ältere, beliebte Stücke um- und neu bearbeitete. So ist denn Shakespeares Originalität im Gegensatz etwa zu Goethe und Schiller eine nicht mit dem ersten Stück bereits gegebene, sondern eine allmählich sich entwickelnde.
Auf der andern Seite ist klar, daß bei dieser redigierenden Thätigkeit des zugleich selbst agierenden Dramatikers der Sinn für den Bühneneffekt und das, was dem Publikum gefällt, sich immer kräftiger entwickeln mußte. So zeigen denn die ersten Stücke Shakespeares in Sprache und Inhalt durchaus die Anlehnung an das damals Vorhandene und den damals herrschenden Geschmack. Wie in den alten »Mysterien« und »Moralitäten«, die ja bis ins 16. Jahrh. hineinreichen, allegorische Personen leibhaftig auf der Bühne auftreten, so tritt vielfach in den ersten Shakespeareschen Stücken, wenigstens den Tragödien, die Neigung zur Allegorie und Personifizierung abstrakter Begriffe hervor, eine Neigung, die in naher Verbindung mit einem gewissen Schwulst und Bombast der Sprache steht, der vornehmlich aus Nachahmung des vorhin genannten römischen Tragikers Seneca entspringt, am meisten in »Titus Andronicus«, in welchem sogar Verse Senecas in lateinischer Sprache hier und da unterlaufen.
Was »König Heinrich VI.« betrifft, so hat man (jedoch ohne hinreichenden Beweis) gemeint, daß der zweite und dritte Teil des Dramas nicht von S., sondern von Marlowe herrührten. Mit wie kunstreicher Meisterschaft der Sprache aber S. bereits ausgerüstet war, als er seine dramatische Laufbahn begann, beweist das 1593 veröffentlichte lyrisch-erotische Gedicht »Venus and Adonis«, das er in der Dedikation an Lord Southampton »den Erstling seiner Erfindung« (»the first heir of my invention«) nennt.
Dies etwas schlüpfrige Gedicht ist vielleicht noch in Stratford verfaßt worden. Es folgte im nächsten Jahr (1594) »Tarquin and Lucrece«, gleichfalls in siebenzeiligen Stanzen, wie Chaucers »Troilus«, geschrieben, ein ähnliches, wenngleich gereifteres Werk. Die Gefeiltheit beider Gedichte beweist schlagend, daß S. keineswegs ein sogen. Naturdichter, sondern von Anfang an ein höchst kunstreicher gewesen ist. Welche Beliebtheit beide Gedichte genossen, ergibt der Umstand, daß »Venus und Adonis« zwischen 1593 und 1602 sechs, »Lucretia« in ungefähr derselben Zeit drei Auflagen erlebte.
Was nun die Chronologie der Shakespeareschen Stücke bis 1598 betrifft, so besitzen wir darüber glücklicherweise das Zeugnis des Francis Meres. Von demselben erschien im genannten Jahr ein Werk: »Palladis Tamia, Wit's Treasury, the second part of Wit's Commonwealth«. In diesem »Schatzkästlein des Witzes« gibt ein Abschnitt einen »Diskurs über unsre englischen Dichter im Vergleich mit den griechischen, lateinischen und italienischen«. Dort heißt es: »Wie die Seele des Euphorbus in Pythagoras leben sollte, so lebt Ovids anmutiger, witzreicher Geist in dem honigströmenden S.; Zeugen: seine "Venus und Adonis«, seine »Lucretia«, seine süßen, seinen nähern Freunden bekannten »Sonette«.
Wie Plautus und Seneca in der Komödie und Tragödie als die besten unter den lateinischen Dichtern galten, so ist unter den englischen S. der ausgezeichnetste in beiden Schauspielgattungen. Für die Komödie bezeugen dies seine »Edelleute von Verona«, [* 11] seine »Irrungen«, seine »Verlorne Liebesmüh'«, seine »Gewonnene Liebesmüh'« (»Ende gut, Alles gut«?),
sein »Mittsommernachtstraum« und sein »Kaufmann von Venedig«; [* 12] für die Tragödie sein »Richard II.«, »Richard III.«, »Heinrich IV.«, »König Johann«, »Titus Andronicus« und »Romeo und Julie«. Wie Epius Stolo sagte, daß die Musen mit Plautus' Zunge reden würden, wenn sie lateinisch sprächen, so sage ich, daß die Musen in Shakespeares fein gefeilter Redeweise (fine-filed phrase) sprechen würden, wenn sie englisch sprächen". Wenn in der mitgeteilten Stelle »Heinrich VI.« und »Die Zähmung der Widerspenstigen« nicht genannt werden, so ist hieraus nur zu schließen, daß diese Stücke weniger Beifall als die angeführten gefunden hatten.
Wichtig aber sind die Worte bei Meres auch wegen der dort erwähnten Sonette, die erst elf Jahre später (1609) und zwar nicht von S. selbst herausgegeben wurden. Unklar ist auch die Widmung, welche der Herausgeber, der Buchhändler Thomas Thorpe, vor das Buch gesetzt hat. Dieselbe lautet: »Dem einzigen Erzeuger (begetter) dieser Sonette, Herrn W. H., wünscht alles Glück und jene von unserm ewig lebenden Dichter verheißene Unsterblichkeit der wohlmeinende T. T.« Aber auch der Inhalt der Sonette ist ein rätselhafter. Man weiß in der That nicht, wie die schwärmerische Verehrung eines unbekannten Freundes in 126 Sonetten zu verstehen ist. Vielfache Selbstanklagen über unbezähmbare Leidenschaft in denselben scheinen die schlimmste Deutung zu verlangen; indes bleibt durchaus unerwiesen, inwieweit wir es hier mit dem Thatsächlichen zu thun haben. Dagegen ist das letztere unleugbar der Fall, wenn ¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Titel
Shakespeare
(spr. schehkspihr), William (nach der in London zur Zeit des Dichters und später vorherrschenden Schreibung des Namens, Shakspere nach der in Stratford üblichen Schreibung), der größte dramat. Dichter der Engländer und einer der größten aller Völker und Zeiten, stammt aus einer Familie, die in Warwick seit dem 14. Jahrh. dem Gutspächterstande angehört zu haben scheint. Welches Gewerbe der Vater des Dichters, John S., in Stratford am Avon, wo er um 1551 aus dem benachbarten Snitterfield einwanderte, betrieb, ist ungewiß. Nur so viel scheint sich aus den voneinander abweichenden und doch teilweise gleichzeitigen Angaben herauszustellen, daß er mit dem wechselnden Betrieb städtischer Hantierungen, in denen er nacheinander sein Glück versuchte, andauernd einen landwirtschaftlichen Betrieb verband. ¶
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Sein Besitztum vermehrte er 1557 durch Verheiratung mit Mary Arden, die, aus einer alten angesehenen Familie in der Nähe, ihm Ländereien und auch einiges Geld zubrachte. Seit dem Jahre seiner Verheiratung bekleidete John S. in der städtischen Korporation verschiedene Ehrenämter, deren Höhepunkt er mit dem 1568-69 verwalteten Amte eines High Bailiff von Stratford erreichte. Auf eine Abnahme der günstigen Verhältnisse, in denen er bis dahin gelebt hatte, etwa seit 1583, scheint Verschiedenes hinzudeuten, ohne daß eine eigentliche Verarmung eingetreten sein mag.
Wenigstens blieb er wohl stets im Besitz zweier Häuser in der Henleystreet in Stratford, in deren einem sein Sohn William im April 1564 das Licht [* 14] der Welt erblickt haben soll. Als dessen Geburtstag bezeichnet die Überlieferung, wahrscheinlich auf die Inschrift des Grabsteins gestützt, den 23. April, den Tag seines Todes. Das Register der Stratforder Pfarrkirche giebt nur den Tauftag, den 26. April (alten Stils), an. Zwischen diesem Vermerk und dem folgenden, auf seine Heirat bezüglichen Dokument von 1582 ist eine Lücke, die sich nur durch Vermutungen ausfüllen läßt.
Wahrscheinlich besuchte S. die öffentliche (Lateinschule, in der jeder Stratforder Bürgersohn unentgeltlich Unterricht erhielt. Zweifelhafter schon erscheint es, daß der Vater, infolge seiner beschränkten Verhältnisse, den Sohn vor der Zeit aus der Schule genommen habe, damit er ihm bei den Geschäften an die Hand [* 15] gehe. Nach andern soll er Advokatenschreiber geworden sein; man stützt sich dabei auf seine genaue Kenntnis technischer gerichtlicher Ausdrücke. Ende 1582 verheiratete sich S. mit Anna Hathaway, laut ihrer Grabschrift acht Jahre älter als er, nachgelassener Tochter eines wohlhabenden Landmanns in Shottery bei Stratford. Das älteste Kind dieser Ehe, Susanna, wurde Mai 1583 in der Stratforder Kirche getauft. Später folgte noch ein Zwillingspaar, Hamlet und Judith, getauft ebendaselbst im Febr. 1585. Bald nach der Geburt dieser Zwillinge wird S. seine Familie verlassen und sich nach London begeben haben. Die Veranlassung zu diesem Schritt war, der Überlieferung nach, Furcht vor der Rache eines benachbarten Landedelmanns, Sir Thomas Lucy, in dessen Park S. gewilddiebt habe, außerdem aber auch, wie Aubrey berichtet, «eine natürliche Neigung zur Poesie und Schauspielkunst», die S. nur in der Hauptstadt in fruchtbringender Weise befriedigen und zur Basis seiner Existenz machen konnte. Wahrscheinlich schloß er sich dort sogleich der Schauspielertruppe an, als deren Genosse, wenngleich nicht als Mitbesitzer ihres Theaters, er später stets erscheint, der Truppe, die unter dem Patronat erst des Grafen Leicester, [* 16] später des Oberkammerherrn der Königin, 1575 das Theater [* 17] in Blackfriars gebaut hatte. An diesem Theater hat sich S. als Schauspieldichter im Verlauf weniger Jahre so emporgearbeitet, daß er, nach dem Zeugnis des sterbenden R. Greene, bereits 1592 alle Nebenbuhler überflügelt hatte. Für das Ansehen, das er schon damals auch außerhalb seines Berufskreises genoß, sprechen die Widmungen seiner episch-lyrischen Gedichte «Venus and Adonis» (1593) und «Lucrece» (1594) an seinen Gönner, den Grafen Southampton.
Infolge von S.s Thätigkeit erreichte seine Truppe eine solche Blüte, [* 18] daß sie sich nun auch das Globustheater (schon 1596 von ihr als Sommertheater benutzt) als zweite Bühne einrichtete. Seinen recht ansehnlichen Gewinn von dieser Theaterunternehmung verwandte S. 1597 zum Ankauf eines der größten Häuser in Stratford, in den folgenden Jahren zu weitern Erwerbungen von Grundbesitz in und bei seiner Vaterstadt, die er auch während der Londoner Wirksamkeit stets als Heimat betrachtet zu haben scheint, wohin er zum Besuch seiner dort ansässig gebliebenen Familie, nach Aubreys Zeugnis jährlich einmal gereist ist. 1598 erklärt Francis Meres, der in «Palladis Tamia. Wit's Treasury» zwölf S.sche Dramen anführt, S. für den besten Dramatiker unter den Engländern und erwähnt nebenbei mit großem Lobe auch dessen Sonette, die handschriftlich bei den Freunden umliefen und erst 1609 ohne Zuthun des Verfassers dem Druck übergeben wurden.
Auch das Erscheinen einer Sammlung von Liebesliedern verschiedener Verfasser neben einigen echt S.schen Gedichten u. d. T. «The Passionate Pilgrim. By William S.» (1599) zeigt, wie berühmt S. damals sein mußte, daß ein Verleger solche Spekulation auf S.s Namen machte. Daß seine Dramen häufig vor Elisabeth und später vor ihrem Nachfolger mit vielem Beifall aufgeführt wurden, ist mehrfach bezeugt: auch wurde die S.sche Truppe bald nach der Thronbesteigung Jakobs I. (1603) als «königl. Schauspieler» (The King's players) besonders privilegiert. Um dieselbe Zeit findet sich auch der Name S. als Schauspieler zum letztenmal verzeichnet, unter den Darstellern des «Sejanus» von Ben Jonson.
Von S.s Liebenswürdigkeit und Ehrbarkeit wird, sowohl aus seinen Londoner, wie spätern Tagen in der Heimat, mehrfach berichtet. März 1616 machte er sein Testament, wie er darin erklärt, noch bei vollkommener Gesundheit und Gedächtniskraft; indes verraten die drei eigenhändigen Unterschriften Spuren großer Körperschwäche, und er selbst überlebte die Abfassung des Testaments nur um wenige Wochen. Von der Natur und dem Verlauf der Krankheit, die ihn wegraffte, ist nichts Sicheres überliefert. Am 25. April wurde er in der Kirche zu Stratford an der Nordseite des Chors begraben. An dieser Stelle errichtete die Familie ihm zu Ehren eine bemalte steinerne Büste, jedenfalls vor 1623, da in einem Gedicht vor der in diesem Jahre erschienenen Gesamtausgabe der dramat. Werke auf sie angespielt wird.
S.s Witwe überlebte ihn um sieben Jahre und ist an seiner Seite bestattet. Ebendaselbst ruht auch seine ältere Tochter Susanna, 1607 mit einem Stratforder Arzt Dr. Hall, [* 19] vermählt und 1649 gestorben. Sie hinterließ eine einzige Tochter, mit deren Ableben (1670) S.s Nachkommenschaft erlosch, da sein einziger Sohn Hamnet bereits als zwölfjähriger Knabe, und die drei Söhne der jüngern, 1616 an den Weinhändler Thom. Quiney in Stratford verheirateten Tochter Judith, schon vor ihrer 1662 verstorbenen Mutter gestorben waren.
S.s Dramen, in einer teils nach überlieferten Notizen, teils nach Merkmalen des im Verlauf seiner dramat. Thätigkeit bedeutsam veränderten Stils und Verses bestimmten, freilich nur unsichern zeitlichen Reihenfolge sind nach den drei Abteilungen der ersten Folioausgabe (1623):
I. Comedies:
1) «The comedy of errors», zuerst gedruckt in der Folio 1623, erwähnt von Meres 1598, gegründet auf das lat. Lustspiel des Plautus «Menaechmi»;
2) «The two gentlemen of Verona», zuerst gedruckt in der Folio 1623, erwähnt von Meres 1598, teilweise gegründet auf Yonges engl. ¶
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Übersetzung von Montemayors Schäferroman «Diana»;
3) «The taming of the shrew», zuerst gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf ein älteres Drama «Taming of a shrew» von unbekanntem Verfasser;
4) «Love's labours lost», Einzeldruck in Kleinquartformat 1598, erwähnt von Meres 1598;
5) «The merchant of Venice», gedruckt in Quart [* 21] 1600, erwähnt von Meres 1598, gegründet auf die ital. Novellensammlung «Pecorone» des Giovanni Fiorentino, auf eine Anekdote in den «Gesta Romanorum», und wahrscheinlich auf ein älteres, aber verloren gegangenes Stück;
6) «A Midsummernight's dream», gedruckt in Quart 1600, erwähnt von Meres 1598, teilweise gegründet auf Chaucers «Canterbury tales» und «Legend of Tisbe of Babilon», sowie auf ein Volksbuch von «Robin Good-Fellow»;
7) «All's well that ends well», gedruckt in der Folio 1623, wahrscheinlich erwähnt von Meres 1598 unter dem Namen «Love's labours won», gegründet auf eine Novelle des Boccaccio in Paynters «Palace of pleasure»;
8) «Much ado about nothing» gedruckt in Quart 1600, teilweise gegründet auf eine Novelle des Bandello;
9) «The merry wives of Windsor», unvollständig gedruckt in Quart 1602 und 1619 vollständig in der Folio 1623, teilweise gegründet auf die Bearbeitung einer Novelle von Straparola in Tarltons «News out of Purgatorie»;
10) «Twelth-night, or what you will», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf eine ital. Novelle des Bandello, in engl. Bearbeitung in «Riche his farewell to miletarie profession» von Barnaby Riche;
11) «As you like it», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf eine Novelle von Thom. Lodge;
12) «Measure for measure», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf ein älteres Drama von Whetstone, «The historie of Promus and Cassandra»;
13) «The winter's tale», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf Rob. Greenes Novelle «Pandosto»;
14) «The tempest», gedruckt in der Folio 1623, teilweise gegründet auf 1609 und 1610 erschienene Reiseberichte mit Benutzung eines ältern Stückes («Sidea»).
II. Histories:
1) «King Henry VI. First part», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf Holinsheds Chronik;
2) «King Henry VI. Second part», unvollständig gedruckt in Quart 1594 als «First part of the contention betwixt the two famous houses of York and Lancaster», vollständig in der Folio 1623, gegründet auf Holinshed;
3) «King Henry VI. Third part», unvollständig gedruckt in Quart 1595, als «The true tragedy of Richard, Duke of York», vollständig in der Folio 1623, gegründet auf Holinshed;
4) «King Richard III.», gedruckt in Quart 1597, erwähnt von Meres 1598, gegründet auf Holinshed und Thomas More;
5) «King John», gedruckt in der Folio 1623, erwähnt von Meres 1598, gegründet auf ein älteres Drama von unbekanntem Verfasser;
6) «King Richard II.», gedruckt in Quart 1597, erwähnt von Meres 1598, gegründet auf Holinshed;
7) «King Henry IV. First part», gedruckt in Quart 1598, erwähnt von Meres 1598, gegründet auf Holinshed und ein älteres Drama von unbekanntem Verfasser, das auch den beiden folgenden Historien zu Grunde lag;
8) «King Henry IV. Second part», gedruckt in Quart 1600, gegründet auf Holinshed und das ältere Drama;
9) «King Henry V.», unvollständig gedruckt in Quart 1600, 1602 und 1608, vollständig in der Folio 1623, gegründet auf Holinshed und das ältere Drama;
10) «King Henry VIII.», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf Holinshed, Cavendish und Fox.
III. Tragedies:
1) «Titus Andronicus», gedruckt 1600, erwähnt von Meres 1598;
2) «Romeo and Juliet», unvollständig gedruckt 1597 in Quart, vollständig 1599, erwähnt von Meres, gegründet auf A. Brookes Versroman «Romeus and Julietta» (1562);
3) «Hamlet», unvollständig gedruckt 1603, vollständig 1604 in Quart, vielleicht gegründet auf ein verloren gegangenes Drama und eine aus dem Französischen übersetzte Novelle;
4) «Othello», gedruckt in Quart 1622, gegründet auf eine ital. Novelle von Giraldi Cinthio;
5) «Julius Caesar», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf Plutarch in der Übersetzung von North;
6) «King Lear», gedruckt in Quart 1608, gegründet auf Holinshed, ein älteres Drama, Sidneys «Arcadia» und Harsnets «Discovery of popish impostors»;
7) «Macbeth», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf Holinshed und R. Scots «Discoverie of witchcraft»;
8) «Timon of Athens», gedruckt in der Folio 1623; S.s Anteil an diesem Drama (vielleicht von G. Wilkins) gehört jedenfalls der reifsten Zeit unsers Dichters an; 9) «Anthony and Cleopatra», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf Plutarch in Norths Übersetzung;
10) «Coriolanus», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf Norths Plutarch;
11) «Troilus and Cressida» gedruckt in Quart 1609, gegründet auf Chaucers «Troilus and Cryseide», Lydgates und Caxtons «Trojanische Sagen» und Chapmans «Homer»;
12) «Cymbeline», gedruckt in der Folio 1623, gegründet auf Holinshed und eine Novelle Boccaccios. Zu diesen 36 Dramen in der ersten Folio tritt dann noch als das 37., mit dessen doppelter Verfasserschaft es sich wie mit der des «Timon of Athens» verhalten mag: «Pericles, prince of Tyre», gedruckt in Quart 1609, aber erst aufgenommen in die dritte Folio 1664, nebst sechs andern Dramen, die schon zu Lebzeiten S.s in Einzelausgaben fälschlich mit seinem Namen erschienen und als entschieden nicht von S. herrührend mit Recht von den beiden ersten Folios ausgeschlossen blieben. Noch ist ein Gedicht: «A lover's complaint», zu erwähnen, das, 1609 mit den «Sonnets» zusammen gedruckt, sehr wahrscheinlich von S. ist.
Erst seit etwa hundert Jahren hat sich S.s Bedeutung in den Litteraturen der ganzen gebildeten Welt geltend gemacht. Zunächst beschränkte sich sein Einfluß auf die engl. Bühne, und auch hier geriet er durch die Revolution in Vergessenheit. Sehr wenig ist über sein Verhältnis zu den Zeitgenossen bekannt, aber das Wenige deutet auf eine außerordentliche Popularität. Schon die Jugendstücke erregten Aufsehen und stellten alle Vorgänger in Schatten. [* 22] Um 1592 wirft ihm sein Neider R. Greene in dem Pamphlet «A groatsworth of witte» vor, er bilde sich ein, «der alleinige Bühnenerschütterer (shake-scene) Englands» zu sein und bringe die ältern Poeten um den Ruhm.
Franz Meres nennt ihn den «Honigzüngigen» und vergleicht ihn mit Ovid, Seneca und Plautus. Während der Bürgerkriege gerieten seine Werke mehr und mehr in Vergessenheit; Milton nennt seinen Namen noch mit Verehrung, aber die Masse des Volks verlor unter der Herrschaft der Puritaner den Sinn für die Kunst, und als die Stuarts den Thron [* 23] wieder bestiegen, war der Adel Englands der heimischen Muse entfremdet; die Franzosen und ihre Nachahmer beherrschten Büchermarkt und Theater. Der ¶