Seewehrpflicht
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s. Ersatzwesen.
Seewehrpflicht
3 Wörter, 32 Zeichen
Seewehrpflicht,
s. Ersatzwesen.
Inbegriff alles dessen, was mit der Ergänzung des Heers, also mit der Aushebung, Einstellung und Entlassung der Soldaten, zusammenhängt. Die Bestimmungen über die Verpflichtung zum Kriegsdienst im Deutschen Reich enthält das Wehrgesetz vom sowie die weitern das Wehrwesen betreffenden Gesetze (vgl. Deutschland [* 3] [Heerwesen], S. 843 ff.). Auf Grund derselben ist die Wehrordnung, enthaltend die Ersatz- und die Kontrollordnung, sowie die Heerordnung, enthaltend die Rekrutierungs- und die Landwehrordnung, erlassen worden.
Jeder Deutsche [* 4] ist wehrpflichtig und kann sich in der Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen. Ausnahmen finden nur in betreff der Mitglieder regierender, mediatisierter, vormals reichsständischer und derjenigen Häuser statt, welchen die Befreiung von der Wehrpflicht durch Verträge zugesichert ist oder auf Grund besonderer Rechtstitel zusteht. Die Wehrpflicht beginnt mit dem vollendeten 17. und dauert bis zum vollendeten 42. Lebensjahr; sie zerfällt in die Dienstpflicht und in die Landsturmpflicht.
Erstere, die Pflicht zum Dienst im Heer oder in der Marine, dauert 12 Jahre und wird eingeteilt in: a) die Dienstpflicht im stehenden Heer und zwar 3 Jahre aktive und 4 Jahre Reservepflicht; b) die Landwehrpflicht, 5 Jahre; c) die Ersatzreservepflicht, dauernd vom Tag der Überweisung zur Ersatzreserve bis zum vollendeten 31. Lebensjahr. Die Dienstpflicht in der Flotte zerfällt entsprechend in die aktive Dienstpflicht, die Marinereserve- und Seewehrpflicht. Diese Bestimmungen gelten nur für den Frieden; für die Dauer einer Mobilmachung ist der Übertritt von der Reserve zur Landwehr oder von dieser wie von der Ersatzreserve zum Landsturm aufgehoben.
Alle nicht zum Dienst im Heer oder der Marine eingezogenen Wehrpflichtigen sind landsturmpflichtig. Die Dauer aktiver Dienstzeit ist beschränkt bei den Einjährig-Freiwilligen (s. Freiwillige), bei den militärpflichtigen Kandidaten des Elementarschulamts nach bestandener Lehrerprüfung auf 6 Wochen, den als Krankenwärter Dienenden auf 2 Jahre; bei den Trainsoldaten, welche im Frieden als Trainfahrer ausgebildet werden, auf 6 Monate; bei den Seeleuten von Beruf und dem Maschinenpersonal der Marine in Berücksichtigung ihrer technischen Vorbildung auf 1 Jahr. Die Militärpflicht beginnt mit Anfang des Kalenderjahrs, in dem der Wehrpflichtige sein 20. Lebensjahr vollendet, also 20 Jahre alt wird. - Die Zahl der alljährlich in das Heer, resp. in jeden einzelnen Truppenteil einzustellenden Rekruten bestimmt der Kaiser.
Die Gesamtzahl beträgt jetzt rund 140,000 Mann. Auf Grund dieser Bestimmung wird der Ersatzbedarf der Truppen (unter Anrechnung der zu dreijährigem Dienst freiwillig Eintretenden) ermittelt und durch den Militärausschuß des Bundesrats nach der Bevölkerungsziffer auf die einzelnen Staaten, durch die Ersatzbehörden auf die einzelnen Aushebungsbezirke verteilt. Jeder der 17 Armeekorpsbezirke des Deutschen Reichs bildet einen Ersatzbezirk für sich (die Garde rekrutiert aus ganz Preußen [* 5] und Elsaß-Lothringen), [* 6] jeder derselben zerfällt in 4 Infanteriebrigadebezirke, denen 4-6 Landwehrbataillonsbezirke als Aushebungsbezirke (in Summa 275) unterstellt sind. - Ersatzbehörden sind:
1) Ministerialinstanz: der Kriegsminister und der Minister des Innern;
2) dritte Instanz: der Korpskommandeur und der Oberpräsident der Provinz;
3) zweite Instanz: die Oberersatzkommission, bestehend aus dem Infanteriebrigade-Kommandeur und einem obern Verwaltungsbeamten;
4) erste Instanz: die Ersatzkommission, bestehend aus dem Landwehrbezirks-Kommandeur und einem Verwaltungsbeamten des Bezirks (Landrat);
letztern beiden Kommissionen, die allein mit den Auszuhebenden persönlich zu thun haben, werden auch Militärärzte zugeteilt.
Das Ersatzgeschäft zerfällt in die Vorbereitung, die Musterung und die Aushebung. Erstere umfaßt die Aufstellung der Rekrutierungsstammrollen seitens der Gemeindevorsteher auf Grund der Zivilstandsregister und Anmeldung der Militärpflichtigen, welche nach Beginn der Militärpflicht jährlich his zu erfolgter Entscheidung, in der Zeit vom 15. Jan. bis 1. Febr. bei der Ortsbehörde, wo der Betreffende seinen dauernden Aufenthalt hat, oder, wenn er solchen nicht hat, da, wo seiner Eltern oder Vormünder ordentlicher Gerichtsstand sich befindet, erfolgen muß.
Hierbei ist ein Geburtszeugnis vorzulegen. Aus den Rekrutierungsstammrollen des Aushebungsbezirks werden die alphabetischen Listen für letztern jahrgangweise zusammengestellt. Diese Stammrollen und Listen bilden mit den Restantenlisten, in welche die Namen aller Militärpflichtigen eingetragen sind, über welche nach Ablauf [* 7] ihres dritten Militärpflichtjahrs noch nicht endgültig entschieden ist, und die erst vernichtet werden, wenn für den betreffenden Jahrgang die Landsturmpflicht erlischt, die Grundlisten.
Die Musterung ist Aufgabe der Ersatzkommission. Sie stellt die körperliche Brauchbarkeit der Militärpflichtigen, ob tauglich, bedingt tauglich, zeitig untauglich oder dauernd untauglich, fest, prüft die Reklamationen, läßt die Militärpflichtigen losen, rangiert sie danach und berichtet über das Ergebnis der Musterung an die Oberersatzkommission. Diese nimmt die Aushebung vor, überweist die Einzustellenden bestimmten Truppenteilen als Rekruten und bezeichnet eine Anzahl Tauglicher, das sind die hohen Losnummern, welche, über den Bedarf vorhanden, nicht mehr zur Einstellung kommen, zum Nachersatz für unvermutete Abgänge, zur Ersatzreserve (s. d.) etc. Alle Militärpflichtigen, über welche eine bestimmte Entscheidung getroffen ist, werden in den Aushebungslisten gelöscht, die andern bleiben darin als Überzählige. Die Nachweisung über die Brigadeersatzverteilung und die Überzähligen geht an den Korpskommandeur und sodann an den Kriegsminister behufs des erforderlichen Ausgleichs, wenn in ¶
einzelnen Bezirken der Ersatzbedarf durch die Aushebung nicht gedeckt werden kann. - Um den Schiffahrt treibenden Militärpflichtigen das Erscheinen vor den Ersatzbehörden zu ermöglichen, finden im Januar jeden Jahrs Schiffermusterungen statt, in denen sofort (im Auftrag der Oberersatzkommission) von der Ersatzkommission über die Gemusterten entschieden wird. Außer diesen regelmäßigen Musterungen werden bei plötzlich eintretendem Ersatzbedarf sowie bei Vorstellung von Militärpflichtigen, welche vom Ausland oder von der See zurückkehren, und beim Aufgreifen unsicherer Dienstpflichtigen außerterminliche Musterungen im Stabsquartier des Landwehrbataillons vorgenommen, bei welchen die Mitglieder der Ersatzkommission jedoch nur schriftlich in Verkehr treten.
Entscheidung trifft die Oberersatzkommission. Die Ausschließungs-, Ausmusterungs- und Ersatzreservescheine erster und zweiter Klasse werden bei der Aushebung ausgehändigt. Die Ausgehobenen treten bis zur Einstellung als Rekruten zu den Mannschaften des Beurlaubtenstandes unter die Kontrolle der Landwehrbehörden. Die Rekruten können ihren Aufenthaltsort ändern, haben dies jedoch ihrem Landwehrbezirks-Feldwebel anzuzeigen und beim Verziehen in einen andern Landwehrkompaniebezirk sich beim dortigen Bezirksfeldwebel binnen drei Tagen anzumelden. Zu ihrer Verheiratung bedürfen sie der Genehmigung des Landwehrbezirks-Kommandeurs.
Die Gestellung der Rekruten zur Einstellung in die Truppen- (Marine-) Teile findet grundsätzlich bei dem Landwehrbataillon statt, in dessen Bezirk sie ausgehoben wurden. Soldaten, welche aus dem aktiven Dienst entlassen werden, treten zum Beurlaubtenstand oder, sofern sie ihrer Dienstpflicht bereits vollständig genügt haben und sich noch in wehrpflichtigem Alter befinden, zum Landsturm über und scheiden damit aus der militärischen Kontrolle (s. d.). Soldaten, welche während des Dienstes dienstunbrauchbar werden oder vor Erfüllung der aktiven Dienstpflicht als unausgebildet zur Entlassung kommen, werden zur Disposition der Ersatzbehörden entlassen und gehören zu den Mannschaften des Beurlaubtenstandes. Über die Art ihrer spätern Dienstpflicht wird durch die Oberersatzkommission beim Aushebungsgeschäft Entscheidung getroffen, über die Entlassung Dienstuntauglicher verfügt der kommandierende General. - Nach Eintritt einer Mobilmachung finden Musterung und Aushebung der Militärpflichtigen zugleich durch die Ersatzkommission statt.
Vgl. Brandt, Das deutsche Militärersatzwesen (Halle [* 9] 1882).