Titel
Sargans.
Flächengrösster und südlichster Bezirk des Kantons St. Gallen, ehemals Grafschaft und spätere Landvogtei. Grenzt im O. mit dem Rhein an Graubünden und auf eine kleine Strecke an das Fürstentum Liechtenstein, im S. mit der Kette Sardona-Ringelspitz-Calanda an Graubünden, im W. mit den vom Saurenstock nach N. zum Walensee ziehenden Ketten an Glarus und im N. und NO. mit der Kette Churfirsten-Alvier-Gonzen an die St. Gallischen Bezirke Ober Toggenburg und Werdenberg. Der Bezirk umfasst für sich allein mehr als ¼ der Fläche des ganzen Kantons St. Gallen und ist grösser als die vier an Fläche kleinsten Kantone der Schweiz. 55628 ha Fläche; Länge vom Ringelspitz bis zu den Churfirsten 30 km, Breite 29 km. Bildet in der Hauptsache ein ausgesprochenes Gebirgsland und zeigt im N., S. und W. eigentlich alpinen Charakter.
Gegen O. senken sich die
Berge zum breiten
Rheinthal und im N. zum Thal der
Seez. Die Wasserscheide zwischen diesen beiden Thälern
liegt kaum einige Meter höher als die Thalböden, ist also eine scharf ausgebildete sog. Thalwasserscheide. Dies sowie die
bedeutende Breite der beiden Thalböden (2-8 km) zeigt, dass an dieser Stelle einst
Rhein- und Linthgletscher
miteinander verschmolzen und nach dem Rückzug der
Gletscher das Linthgebiet
(Walensee) mit dem Rheingebiet
(Bodensee) in Verbindung
gestanden hat. Von den Hochwassern des
Rhein wird auch das
Seezthal stark bedroht, so dass zu gleicher Zeit mit der
Rheinkorrektion von
Ragaz bis unterhalb Sargans
auch die
Sar und
Seez nebst ihren Nebenadern verbaut worden sind. Alle diese
Flusskorrektions- und Verbauungsarbeiten haben die einst versumpften
Thäler zum grossen Teil urbar gemacht und zugleich deren
sanitäre Verhältnisse bedeutend
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gebessert. (Vergl. die Art. Rhein, Sar, Seez). Der W.-Hang der Alvierkette und der S.-Hang der Churfirsten brechen steil ab, so
dass an ihnen nur wenige grössere Alpweiden auf Terrassen Platz finden. Die einzigen grössern Weide- und Kulturflächen
bilden hier die Palfriesalp am Alvier und der Walenstadter Berg an den Churfirsten. Sanfter und stärker
gegliedert sind dagegen der O.- und NO.-Abfall der genannten Ketten. Ausser der Tamina und der Seez haben sich in dem Bergland
von Sargans
der starken Neigung der Hänge wegen nur noch Wildbäche von geringerer Länge entwickeln können.
Dafür treten diese aber sehr zahlreich auf und können bei Hochwasser beträchtliche Wassermengen führen, wobei sie dann (bei der Schneeschmelze und nach starken Regengüssen) prachtvolle Wasserfälle bilden. Vom NO.-Hang der Grauen Hörner kommen der Saschielbach, Krinnenbach, Sarbach und Schrabach herab, die alle im Unterlauf kanalisiert sind und sich in dem gegen N. zum Rhein ziehenden Sarkanal sammeln. Zum Walensee gehen der Lauibach, Kammenbach, Rütibach, Thalbach und die Murg.
Neben dem Walensee finden wir im Bezirk noch eine Reihe von kleinen Bergseen, wie Viltersersee, Wangsersee, Schwarzsee, Schottensee, die Murgseen. Diesem reichen hydrographischen Netz entspricht auch eine grosse Mannigfaltigkeit der Thalbildung. Die bedeutendsten der Thalfurchen sind das Calfeisen-, Tamina-, Kunkels-, Weisstannen- und Murgthal. Die Sohlen des Rhein- und des Seezthales sind trotz der ausgeführten Korrektionen und Entwässerungsarbeiten immer noch auf grosse Strecken mit Kiesen und Schottern überführt und weisen noch weite Sumpfflächen auf, die nur Streue liefern. An den tiefer gelegenen Gehängen gedeihen Obstbäume und die Weinrebe (98,6 ha Rebland).
Die bekanntesten und beliebtesten Weinsorten sind die von Quinten, Walenstadt, Flums, Mels, Sargans
, Vilters,
Wangs und Ragaz. In den Thalsohlen baut man vorzüglich Mais, Kartoffeln und Gemüse. Höher oben liegen schöne Wiesen und grosse
Waldungen, und in der eigentlichen Bergregion finden sich zahlreiche ausgedehnte Alpweiden. In der rationellen Ausnutzung
des Bodens und in dessen Urbarisierung hat man durch beträchtliche Meliorationsarbeiten (Verbauung von
Wildbächen, Wegverbesserungen, Entwässerungs- und Bewässerungsanlagen) grosse Fortschritte erzielt.
Haupterwerbszweige der Bewohner sind immer noch Viehzucht und Alpwirtschaft. Genossenschafts- und Korporationskäsereien bestehen im Bezirk nicht. Die Gebirgsregion weist zwar beträchtliche unproduktive Flächen (Fels und Firn) auf, zieht aber dafür von Jahr zu Jahr mehr Touristen an. Hier oben ist auch die Jagd noch ergibig. In den Grauen Hörnern existiert ein Schongebiet für Gemsen. Fischfang im Walensee und in den Bergbächen (Forellen). Schieferbrüche und Krystallhöhlen im Taminathal, Marmorbrüche in den Grauen Hörnern, ein Bruch auf Mühlsteine bei Mels, Steinbrüche verschiedener Art an andern Orten.
Das Eisenerzbergwerk am Gonzen bei Sargans
ist wie die Eisenschmelze in Plons bei Mels eingegangen. Die Mehrzahl der Ortschaften
hat industrielle Tätigkeit: Baumwollwebereien und -spinnereien in Mels, Flums, Walenstadt;
Zementfabriken in Walenstadt und Unter Terzen;
eine Zwirnerei in Mels;
eine Seidenweberei in Ober Terzen;
Elektrizitäts-, Wasser- und Gaswerke in Walenstadt und Ragaz;
eine Fabrik chemischer Produkte in Sargans;
Schieferfabriken in Pfäfers und Ragaz;
Bierbrauereien in Walenstadt und Ragaz;
Mineralwasserfabrik in Ragaz;
Baugeschäfte in Ragaz;
eine Stärkefabrik in Mels;
Stickereien und Spargelzucht in Ragaz;
Buchdruckereien in Walenstadt, Mels und Ragaz;
Blechwaren- und Calciumkarbidfabrik in Flums.
Holzhandel in Unter Terzen. Walenstadt ist Waffenplatz mit Kasernenanlagen und hat den Bezirksspital. Auf Knoblisbühl am Walenstadterberg steht das kantonale Sanatorium für Lungenkranke. Grosses Sägewerk in Murg. Klimatische Kurorte sind Quarten, Weisstannen, Vättis; berühmte Heilbäder und grossartige Hotelbauten in Ragaz und Pfäfers. Spar- und Leihkassen in Walenstadt, Flums und Ragaz.
Die Viehstatistik hat folgende Resultate ergeben:
1886 | 1896 | 1901 | |
---|---|---|---|
Rindvieh | 10555 | 10921 | 11338 |
Pferde | 319 | 352 | 414 |
Schweine | 2442 | 4483 | 3761 |
Schafe | 3331 | 2621 | 1479 |
Ziegen | 3995 | 5175 | 3844 |
Bienenstöcke | 1475 | 1889 | 1318 |
Der Bezirk umfasst folgende acht Gemeinden: Pfäfers, Ragaz, Vilters, Sargans
, Mels, Flums, Walenstadt und Quarten. 3222 Häuser, 4227 Haushaltungen
und 18828 Ew., wovon 17064 Katholiken, 1762 Reformierte und 2 Andere. 18083 Ew. deutscher, 31 französischer, 614 italienischer
und 89 rätoromanischer Zunge. 1850: 12797 Ew. Auf 1 km2 Fläche entfallen 39 Ew. 14 kathol. Kirchgemeinden: Bärschis,
Flums, Mels, Mols, Murg, Pfäfers, Quarten, Ragaz, Sargans
, Vättis, Valens, Vilters, Walenstadt und Weisstannen.
Zwei reformierte Pfarreien: Ragaz und Walenstadt. Die bedeutenderen Ortschaften liegen alle in der Ebene. Die Leute des St.
Galler Oberlandes sind von südländisch lebhaftem Temperament, intelligent und überlegend, gute Patrioten und sehr freiheitsliebend.
An den Berghängen und auf den Terrassen herrscht Einzelsiedelung in zahlreichen kleinen Häusergruppen und isolierten Höfen.
Die Thäler werden von schönen und gut unterhaltenen Strassen durchzogen. Sargans
ist der Knotenpunkt
der von Zürich
und Rorschach her nach Chur
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ziehenden Bahnlinien. Ein Dampfschiffsbetrieb auf dem Walensee existiert nicht mehr, seitdem das kleine Dampfboot Delphin 1851 in einer Sturmnacht untergegangen ist; den Touristen steht heute für Ausflüge auf dem See ein in Weesen stationiertes elektrisches Boot zur Verfügung. Während dem N.-Ufer des Sees keine durchgehende Strasse folgt, wird dessen S.-Ufer durch eine solche und die Bahnlinie Weesen-Walenstadt bedient. Drahtseilbahn von Ragaz zum Schloss Wartenstein hinauf.
Poststrassen gehen bis Vättis im Taminathal und bis Weisstannen im Thal gleichen Namens. Der heutige Bezirk gehörte einst
zu Rätien und kam dann an die Grafen von Montfort, die diese ihre Grafschaft 1406 zusammen mit Wartau im
Werdenberg an den Grafen Friedrich von Toggenburg verpfändeten. Nach dem Tod des letzten Grafen von Toggenburg entspann sich
um dessen Erbfolge der langwierige alte Zürichkrieg, der 1446 mit der Schlacht bei Ragaz sein Ende fand. Damit wurde die
Grafschaft Sargans
gemeinsames Untertanenland der acht alten Orte (Kantone), die abwechselnd einen
auf dem Schloss Sargans
residierenden Landvogt ernannten.
Während diesem die Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit zustand, übten die niedere Gerichtsbarkeit für Flums, Weisstannen,
Mels, Bärschis, Vilters und Sargans
Land das sog. Land- und zwei Wochengerichte, für Ragaz, Pfäfers, Valens und Vättis das Kloster
Pfäfers, für die Städte Walenstadt und Sargans
deren Räte und Schultheiss und für die Walenseeufer
(Murg, Terzen, Quarten, Quinten) der Landvogt von Gaster aus. Mit Ausnahme der Bürger der beiden kleinen Städte waren alle Leute
der Landvogtei Leibeigene.
Die Reformation fand fast im ganzen Land Eingang, wurde aber nach der Schlacht von Kappel wieder vom alten Glauben verdrängt. Ein von der helvetischen Regierung 1798 aufgestelltes Projekt, einen eigenen Kanton Sargans (mit dem Rheinthal, Sax, Gams, Werdenberg-Wartau, Sargans, Gaster, Uznach, Rapperswil und der jetzt schwyzerischen March) zu schaffen, wurde nicht ausgeführt, worauf das Sarganserland zunächst zum Kanton Linth kam und dann 1803 trotz dem Widerspruch seiner Bewohner dem neuen Kanton St. Gallen angegliedert wurde. Der damals auch Werdenberg, Sax und Gams umfassende Bezirk suchte unter dem Einfluss von Gallati 1814, sich an den Kanton Glarus anzuschliessen, wurde aber durch die von der eidgenössischen Tagsatzung unterstützte Regierung von St. Gallen an diesem Vorhaben verhindert. 1831 erhielt der Bezirk seinen heutigen Umfang. Ein alter Brauch im Sarganserland ist das sog. Mailäuten, d. h. das Läuten aller Glocken um Mitternacht des 30. April.
Bibliographie;
Fäh, Franz. Aus der Geschichte der Gemeinde Walenstadt und des Sarganserlandes. Walenstadt 1900; Kaiser, Fl. Sarganserland, Festschrift zur Säkularfeier. Ragaz 1898; Heule, A. Vom Walensee zur Tamina. Glarus 1903.