Titel
Saanen
,
französisch Gessenay. Amtsbezirk des Kantons Bern, dessen südwestl. Ecke er umfasst. Hat die Form eines Dreiecks, dessen Länge von Abläntschen zum Oldenhorn 30 km und dessen grösste Breite 15 km beträgt. Grenzt im O. an das Amt Ober Simmenthal, im N. an den Kanton Freiburg, im W. an die Waadt und im S. an Wallis. Die Grundlinie des Dreiecks beginnt im W. am Oldenhorn (3124 m) und folgt bis über das Wildhorn (3264 m) hinaus dem Hauptkamm der Berner Hochalpen, bis auf ein kurzes Stück am Sanetschpass, wo der Kanton Wallis auf die N.-Flanke der Kette herübergreift.
Etwas ö. vom
Wildhorn zweigt der etwa 25 km lange O.-Schenkel nach N. ab und zieht sich über das
Niesenhorn (2777 m) dem
das
Lauenen- und
Turbachthal einerseits vom Thal der
Simme andererseits trennenden
Kamm entlang bis zur breiten Senke der
Saanenmööser,
die er überquert, um den sanften Hang des
Hundsrückens zu ersteigen und dann den obersten Thalboden
des
Jaunbaches mit dem Dörfchen
Abläntschen vom Kanton Freiburg
abzutrennen. Von etwas unterhalb
Abläntschen zieht sich die Grenze zum
Marchzahn (1921 m) in der Kette der
Gastlosen hinauf, geht von da in s. Richtung diesem
Kamm entlang bis
zur
Dent de Ruth (2239 m), folgt dann dem
Lauf des
Grischbaches
(Ruisseau des Fenils) und quert das Hauptthal 3 km unterhalb
Saanen.
Dann steigt sie hinauf zur Gummfluh (2461 m), indem sie sich östl. unter dem Kamm des Rübli hält, so dass die an diesem beginnenden Thäler von Les Rayes und Kalberhöhni zu oberst zum Kanton Waadt gehören; dann folgt sie dem die Vallée de l'Étivaz vom Tscherzisthal trennenden Grat, quert dieses letztere in seinem Hintergrund und erreicht den Scheitel des Col du Pillon (1500 m), um von da über den N.-Grat des Oldenhorns wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren.
Der höchste Punkt des Amtsbezirkes ist das
Wildhorn (3264 m), der niedrigste das
Bett der Saane
bei
Vanel (1000 m). Saanen
ist das
einzige Amt des Kantons, das durchwegs über 1000 m hoch liegt. Es umfasst das Quellgebiet der
Saane und stellt sich auch
in dieser Beziehung in Gegensatz zu den übrigen Landschaften des
Oberlandes, deren Wasserläufe sich
alle mit dem Oberlauf der
Aare im Becken des
Brienzer- und
Thunersees vereinigen. Saanen
umfasst die beiden vom Hauptkamm der
Berneralpen herabkommenden
Thäler von
Gsteig und
Lauenen, die den
Voralpen angehörenden
Thäler von
Turbach
Tscherzis,
Kalberhöhni
und des
Grischbaches
(Les Fenils), das Hauptthal und die südl. Abdachung der flachen Senke der
Saanenmööser
und endlich den geographisch zu Freiburg
gehörenden obersten Abschnitt des Jaunthales. Die 24040 ha umfassende Gesamtfläche verteilt
sich wie folgt:
ha | |
---|---|
Aecker und Gärten | 137 |
Wiesen und Hofstätten | 3258 |
Weiden und Alpen | 12027 |
Wald | 2298 |
Unproduktiver Boden | 6320 |
Total | 24040 |
Die Viehstatistik hat folgende Resultate ergeben:
1886 | 1896 | 1901 | |
---|---|---|---|
Rindvieh | 6974 | 6638 | 6469 |
Pferde | 229 | 189 | 243 |
Schweine | 869 | 757 | 683 |
Schafe | 2858 | 2261 | 1736 |
Ziegen | 2132 | 2768 | 2277 |
Bienenstöcke | 390 | 510 | 364 |
Hauptbeschäftigung der Bevölkerung ist Alpwirtschaft mit Viehzucht. Nennenswert ist auch die Ausfuhr der
bekannten Saanen
ziege, die in grosser Zahl nach Deutschland, Frankreich, Oesterreich und Belgien verkauft wird. Ein bedeutender
Exportartikel ist ferner der Saanenkäse
, ein haltbarer Hartkäse. Ziemlich wichtiger Holzhandel; grosse
Sägen und Baugeschäfte
in
Gstaad und Saanen.
In letzter Zeit, besonders seit dem Bau der
Montreux-Oberlandbahn, hat sich die Fremdenindustrie bedeutend
gehoben.
Als Fremdenstationen und Sommerfrischen sind zu nennen Saanen
,
Gstaad,
Lauenen,
Gsteig. Den Amtsbezirk durchziehen als wichtige
Verkehrszüge die zwei
Strassen
Zweisimmen-Saanen-Château d'Œx und Saanen
-Gsteig-Pillon-Ormonts
(-Aigle), letztere mit ganzjährigem
Postwagenkurs bis
Gsteig und mit Sommerkurs über den
Col du Pillon. Von
Gstaad zweigt eine Fahrstrasse nach
Lauenen ab, die
im Sommer wie im Winter Postwagenkurse hat. Seit 1905 steht Saanen
mit der Aussenwelt auch durch die
Montreux-Oberlandbahn in Verbindung, die von
Zweisimmen bis
Montreux elektrischen Betrieb hat. Ein bedeutender Lokalverkehr
vollzieht sich über den
Sanetschpass (2102 m) nach
Sitten. Ausserdem sind an Passübergängen zu nennen die
Krinnen (1660 m)
von
Gsteig nach
Lauenen, der
Reulissenberg (1718 m) von
Gstaad nach der
Lenk und nach
St. Stephan, der Trüttlisberg
(2040 m) von Saanen nach der
Lenk und der
Grubenberg (1650 m) von Saanen nach
Abläntschen und
Jaun.
In landschaftlicher Beziehung ist das Saanenland von eigenartiger Schönheit, die bis jetzt noch zu wenig gewürdigt wird. Der untere Abschnitt bildet einen weiten und mächtigen Thalkessel, aus dem sich die mit prächtigen Alpweiden bekleideten sanften Gehänge der Vorberge ¶
mehr
erheben und der von einigen durch kühne Formen und Schroffheit bemerkenswerten Felsgipfeln (Rubli, Gummfluh etc.) beherrscht wird. Hochalpinen Charakter tragen die Thäler von Gsteig und Lauenen; namentlich das letztere gehört mit seinem imposanten Thalschluss durch den Geltengletscher und seinen prächtigen Wasserfallen unstreitig zu den schönsten Alpenthälern der Schweiz. Von besonderem Reiz sind das Tscherzisthal mit dem Arnensee und das von den dolomitenähnlichen Gastlosen überragte Thal von Abläntschen.
Hoch- und Vorgebirge des Saanenlandes werden in alpinistischer Hinsicht zu sehr vernachlässigt. Dank seinem gesunden Klima, das den Nebel sozusagen nicht kennt, ist das Saanenland auch zum Winteraufenthalt geeignet. 1019 Häuser, 1262 Haushaltungen und 5017 reformierte und deutsch sprechende Ew. 280 Ew. auf einen km2. Der Amtsbezirk umfasst die drei Gemeinden Saanen, Gsteig und Lauenen, die zugleich auch Pfarreien sind und denen sich als vierte Kirchgemeinde noch Abläntschen (in der politischen Gemeinde Saanen) beigesellt.
Die Bewohner bilden einen eigenartigen Menschenschlag, der sich von seinen Nachbarn im Ober Simmenthal deutlich unterscheidet und grosse Verwandtschaft mit der Bevölkerung des angrenzenden waadtländischen Oberlandes aufweist. Im alten Saanendialekt finden sich nicht wenige französische Ausdrücke (z. B. Murschli für Stück, französ. morceau), besonders auch in den Dank- und Grussformen (wie «obligé» etc.). Der feine, gewandte, am Alten hängende Saaner hat eine anziehende Schilderung erhalten durch die im 18. Jahrhundert viel gelesenen Briefe über ein schweizerisches Hirtenland von Karl Viktor von Bonstetten, der sie 1779 als Oberamtmann dieses Bezirkes verfasste. Ein vorzügliches Denkmal des saanerischen Dialektes ist das von dem gebornen Saanerdichter J. J. Romang verfasste Gedicht Der Friesenweg, das in meisterhafter Weise eine Sage des Saanenlandes behandelt.
In geschichtlicher Hinsicht fehlt über unser Gebiet bis zu Ende des ersten Jahrtausends n. Chr. jegliche sichere Nachricht. Bis jetzt sind weder aus prähistorischer noch aus römischer Zeit irgendwelche Funde bekannt. Im Mittelalter gehörte Saanen zu den Besitzungen der Grafen von Greierz. Das deutsche Saanenland, dem heutigen Amtsbezirk entsprechend, erstreckte sich von den Quellen der Saane bis zur Burg Vanel an der Mündung des Grischbaches in die Saane, das welsche Saanenland von da über Rougemont und Château d'Œx bis nach Greierz.
Das ganze Gebiet war eingeteilt in die Schlossherrschaften (Kastlaneien) Saanen und Rougemont, die dem Banner von Vanel folgten. Die Mannschaft hing ihrem Herrscherhaus mit grosser Treue an und zeichnete sich im Felde durch ihre Tapferkeit aus. Schon im 14. Jahrhundert erwarb sich Saanen von seinem Herrn verschiedene Rechte und Freiheiten, so namentlich 1398. 1403 stellten sich die Leute von Saanen unter den Schutz Bern's, und 1445 erwarben sie sich neben andern neuen Freiheiten das Recht, ein eigenes Siegel - den weissen Kranich auf einem Dreiberge in rotem Felde, d. h. das Wappen der Grafen von Greierz - zu führen.
In den Burgunderkriegen kämpfte die Mannschaft von Saanen unter der Fahne ihres Grafen, der mit den Eidgenossen verbündet war, und in den Mailänder Feldzügen zeichneten sich die Saaner derart aus, dass sie laut Urkunde vom vom Papst Julius II. öffentlich belobt und mit einem Panner beschenkt wurden. Als der letzte Graf von Greierz, Michael, in finanzielle Bedrängnis geriet, benutzten Freiburg und Bern die Gelegenheit, um den grössten Teil seines Gebietes zu erwerben. 1555 zog Bern die Landschaft Saanen vom Sanetsch bis zum Engpass La Tine an sich und machte sie zu einer Vogtei, deren Sitz die Gebäude der 1115 gegründeten und nun aufgehobenen Propstei Rougemont wurden.
Zugleich führte Bern 1556 in der Landschaft die Reformation ein, der die Bevölkerung grossen Widerstand entgegensetzte, welcher sich am längsten im Turbachthal geltend gemacht haben soll. 1575 zerstörte eine Feuersbrunst einen Teil des Fleckens Saanen. Die Mediationsakte von 1803 sanktionierte die Trennung des französischen Saanenlandes vom deutschen Teil der Landschaft, wodurch jenes dem Kanton Waadt, dem es schon seit 1798 als Pays d'Enhaut romand angehört hatte, verblieb und dieser zu einem bernischen Amtsbezirk gemacht wurde.
Die dem h. Mauritius geweihte Pfarrkirche von Saanen bestand schon 1228, wurde 1444 neu erbaut und 1447 eingeweiht. Als ihre Filialen entstanden 1402 die Kapelle in Gstaad, 1416 die Kirche in Gsteig und 1518 diejenige von Lauenen. Auch die heutige Pfarrkirche von Abläntschen, das seit 1704 eigene Kirchgemeinde ist, rührt noch aus der Zeit vor der Reformation her. Aus dem Saanenland stammen die Familien von Grüningen, Romang, Matti u. a., die ihrer engeren Heimat viele verdiente Beamte geliefert haben. Zu erwähnen ist auch der bedeutende Religionsphilosoph Joh. Peter Romang (1802-1875).
Bibliographie:
Briefe über ein schweizerisches Hirtenland (1779), von C. V. von Bonstetten; herausg. von Joh. Müller (in: Teutscher Merkur. Weimar 1781); Kohli, Jak. Versuch einer Geschichte der Landschaft Saanen. Bern 1827; Wyss J. R., der jüngere. Ausflug nach Saanen und über den Sanetsch nach Sitten. (Alpenrosen. Bern 1829); Saanenland, das; herausg. von der gemeinnütz. Gesellschaft in Saanen. Thun 1905.