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Joseph II. in Cherson, der mit kolossalem Aufwand neugebauten Stadt, einen zweiten russisch-türkischen Krieg (1787-92) im Bund mit Österreich. [* 3] In diesem errangen die Russen, durch die unglückliche Kriegführung der Österreicher behindert, anfangs keine Erfolge. Erst Ende 1788 wurde Otschakow erstürmt, und 1789 siegte Suworow bei Fokschani (1. Aug.) und am Fluß Rimnik (22. Sept.) über die Türken. 1790 wurde Ismail erobert und 1791 die Donau überschritten; südlich derselben schlugen Kutusow die Türken bei Babada und Repnin bei Matschin, worauf der Friede von Jassy abgeschlossen wurde in welchem die Türkei [* 4] das Land zwischen Bug und Dnjestr und Otschakow abtrat.
Gleichzeitig hatte Rußland einen Krieg mit Schweden [* 5] (1788-90) zu führen, den König Gustav III. aus kriegerischem Ehrgeiz in der Hoffnung, die Ostseeprovinzen wiederzugewinnen, begann. Derselbe wurde mit wechselndem Glück auf der Ostsee und in Finnland geführt, doch der Versuch Gustavs, sich durch Erstürmung Frederikshamns den Weg nach Petersburg [* 6] zu bahnen, mit Erfolg abgewehrt und endlich durch den Frieden von Werelä der Stand der Dinge vor dem Krieg hergestellt.
Die Entwickelung der polnischen Verhältnisse hatte Katharina nicht aus den Augen verloren. Als eine patriotische Partei in Polen durch eine neue Verfassung 1791 dem Reich Einheit und Kraft [* 7] verleihen wollte, stiftete Rußland einen Teil des Adels an, die Konföderation von Targowitz gegen die Konstitution von 1791 zu schließen, ließ sich von dieser zu Hilfe rufen, drang Polen die alte Feudalverfassung mit Gewalt wieder auf und nahm in Gemeinschaft mit Preußen [* 8] 1793 eine neue, die zweite Teilung Polens vor, die ihm in der Ukraine und in Litauen eine gewaltige Gebietsvergrößerung verschaffte.
Obwohl Katharina die französische Revolution verabscheute, nahm sie aus Rücksicht auf Polen am ersten Koalitionskrieg nicht teil und war daher im stande, 1794 den polnischen Aufstand niederzuwerfen und Preußen und Österreich die Bedingungen der dritten polnischen Teilung (1795) vorzuschreiben. Mit der Erwerbung Kurlands, auf welches der letzte Herzog, Peter Biron, gegen eine jährliche Rente freiwillig verzichtete, war das Gebiet des Reichs auf 19 Mill. qkm angewachsen. Rußlands Machtstellung und Einfluß in Europa [* 9] war in ungeheuerm Maß gestiegen.
Die Zeit der
Napoleonischen Kriege 1796
-1815.
Nach
Katharinas
Tod folgte ihr Sohn
Paul I. (1796
-1801), der durch verkehrte
Erziehung ein mißtrauischer,
launenhafter
Tyrann geworden war. Anfangs zwar erließ er einige wohlthätige
Verordnungen zu gunsten der Leibeignen und Altgläubigen.
Wichtig ist auch das von ihm gegebene Familiengesetz (1797), welches für die
Thronfolge das
Recht der
Erstgeburt
in direkt absteigender
Linie und dabei den Vorgang der männlichen Nachkommen vor den weiblichen als Reich
sgrundgesetz bestimmte; ein andres
Gesetz trennte einen Teil der Kronbauern als
Eigentum der kaiserlichen
Familie unter dem
Namen Apanagebauern ab. Aus Mißtrauen
gegen die revolutionären
Ideen verbot
Paul aber den Besuch ausländischer Lehranstalten und
Universitäten, führte eine verschärfte
Zensur und strenge
Aufsicht über alle im
Reich lebenden
Ausländer und fremden Reisenden ein und bestrafte jede freie Meinungsäußerung
mit launischer
Willkür. An dem
Kriege gegen
Frankreich nahm er erst teil, als die aus
Malta vertriebenen Malteserritter ihn
zum
Großmeister gewählt
(Oktober 1798) und seine
Hilfe gegen
Frankreich angerufen
hatten. Im zweiten Koalitionskrieg
stellte er
Hilfstruppen unter
General
Hermann für die von den Engländern beabsichtigte
Landung in den
Niederlanden, für den
Krieg in Süddeutschland (unter
Korssakow) und in
Italien
[* 10] (unter
Suworow); sogar dem
Sultan schickte er eine
Flotte mit 4000
Soldaten
nach
Konstantinopel
[* 11] zu
Hilfe.
Die glänzendsten Erfolge erzielte
Suworow in
Italien, wo er mit den Österreichern
vereint durch die
Siege
bei
Cassano (27. April), an der
Trebbia (17.-19.
Juni) und bei
Novi (15. Aug.) die
Franzosen aus dem Pogebiet vertrieb.
Als er dann auf
seinem berühmten
Marsch über den St.
Gotthard in die
Schweiz
[* 12] vordrang, um sich mit
Korssakow zu vereinigen,
war dieser eben (26. Sept.) bei Zürich
[* 13] geschlagen worden, und
Suworow mußte über den
Panixer Paß sich nach Graubünden
wenden, von wo er nach Rußland
zurückkehrte. Denn da auch die
Landung in den
Niederlanden mit einer schimpflichen
Kapitulation (19. Okt.) geendet hatte, sagte
sich
Kaiser
Paul, der
Ursache hatte, diese Mißerfolge der Unfähigkeit der verbündeten Befehlshaber zuzuschreiben,
von der
Koalition los und schloß nach dem
Muster des von
Katharina II. veranlaßt Neutralitätsvertrags vom zur
Beschränkung der britischen
Seemacht im
Dezember 1800 einen solchen mit
Schweden,
Dänemark
[* 14] und
Preußen, den
England sofort mit
einem
Angriff auf
Kopenhagen
[* 15] beantwortete.
Noch ehe es zu Feindseligkeiten zwischen
England und Rußland
kam, ward
Paul von einigen
Großen ermordet, weil sein
Despotismus unerträglich war.
Sein 23jähriger Sohn Alexander I. (1801-25) entsagte sofort in einem Vertrag mit England der bewaffneten Neutralität, um sich den Werken des Friedens widmen zu können; denn, nach Rousseauschen Grundsätzen erzogen, schwärmte er für humane Ideale, ohne jedoch seine unbeschränkte Herrschergewalt, auf die er nicht verzichtete, mit Energie und Ausdauer für deren Verwirklichung anzuwenden. An Stelle der von Peter I. begründeten Kollegien errichtete er acht Ministerien (1802), schuf für die Prüfung und Beratung aller neuen Gesetze und Maßregeln der Regierung den Reichsrat, suchte die Finanzen zu regeln und legte zur Verminderung der Heereskosten Militärkolonien an. Die Leibeigenschaft hob er in den baltischen Provinzen auf und milderte sie in Rußland selbst.
Die Zahl der Gymnasien und
Volksschulen wurde beträchtlich vermehrt,
Universitäten neu errichtet (in
Kasan
[* 16] und
Charkow) oder reorganisiert (in
Dorpat
[* 17] und
Wilna).
[* 18]
Indes bald erkannte er, daß seine friedliche, ja freundschaftliche
Haltung
zu
Frankreich von
Napoleon nur benutzt werde, um in Mitteleuropa nach
Willkür schalten zu können, und er trat 1805 der dritten
Koalition gegen
Frankreich bei. Doch wurde das russische
Heer unter
Kutusow, das sich in
Mähren
[* 19] mit den Österreichern
vereinigte, bei
Austerlitz
[* 20] geschlagen und mußte infolge des
Waffenstillstandes zwischen
Frankreich und
Österreich
das österreich
ische Gebiet räumen.
Seinem sentimentalen Freundschaftsbündnis mit Friedrich Wilhelm III. getreu, kam Alexander 1806 Preußen zu Hilfe, als dessen Heerestrümmer über die Oder zurückgedrängt waren. Die Russen lieferten den Franzosen in Polen die unentschiedenen Gefechte von Czarnowo (23.-24. Dez.), Pultusk und Golymin in Preußen die mörderische, aber nicht entscheidende Schlacht bei Preußisch-Eylau (7.-8. Febr. 1807), wurden aber nach einem längern Waffenstillstand 10. Juni bei Heilsberg und 14. Juni bei Friedland geschlagen. ¶
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Auf einer persönlichen Zusammenkunft mit Alexander 25. Juni gelang es Napoleon, den Zaren völlig für sich zu gewinnen. Alexander
schloß 7. Juli mit Napoleon den Frieden von Tilsit,
[* 22] in welchem er Preußen völlig im Stiche ließ, ja sogar sich auf dessen Kosten
durch den Grenzdistrikt Bialystok bereicherte
, und einen geheimen Bundesvertrag, in welchem sie sich die
Herrschaft über Europa teilten, und welcher auf einer zweiten Zusammenkunft in Erfurt
[* 23] (September bis Oktober 1808) erneuert
und genauer bestimmt wurde.
Rußland überließ Napoleon die Herrschaft über Deutschland, [* 24] Spanien [* 25] und Portugal und trat der Kontinentalsperre gegen England bei, wogegen ihm Schweden und die Türkei preisgegeben wurden. Schon Anfang 1808 hatte Rußland Schweden den Krieg erklärt und ein Heer in Finnland einrücken lassen, das in kurzer Zeit erobert wurde; 1809 gingen russische Truppen über das Eis [* 26] des Bottnischen Meerbusens, besetzten die Alandsinseln und die gegenüberliegende schwedische Küste und nötigten Karl XIII. von Schweden zum Frieden von Frederikshamn in welchem Schweden ganz Finnland bis zum Fluß Tornea und die Alandsinseln an Rußland abtrat.
Das zweite Opfer des Tilsiter Bündnisses war die Türkei, welche, von Napoleon angereizt, den dritten russisch-türkischen Krieg (1806-12) begonnen hatte. Die Russen drangen in die Donaufürstentümer ein, siegten im September 1810 bei Batyen an der Donau und im Oktober 1811 bei Rustschuk über die Türken und erzwangen den Frieden von Bukarest [* 27] durch welchen der Pruth zur Grenze zwischen den beiden Reichen bestimmt wurde. Ein Krieg mit Persien [* 28] wurde gleichzeitig durch Abtretung eines Länderstreifens am Westufer des Kaspischen Meers mit Baku beendet.
So waren noch rechtzeitig diese Kriege beendet, und Rußland konnte seine Donauarmee unter Tschitschagow in den Krieg mit Frankreich 1812 eingreifen lassen. Ursache desselben war der Übermut Napoleons, der das russische Bündnis nicht mehr zu bedürfen glaubte und allein in Europa herrschen wollte. So verletzte er Rußland absichtlich, indem er das Herzogtum Warschau [* 29] 1809 durch Westgalizien vergrößerte, den Herzog von Oldenburg, [* 30] einen nahen Verwandten des russischen Kaiserhauses, willkürlich seines Landes beraubte, eine Verschärfung der Kontinentalsperre forderte, dagegen die von Rußland verlangte Räumung Preußens [* 31] ablehnte.
Als Napoleon im Sommer 1812 mit der Großen Armee von 477,000 Mann die russische Grenze überschritt, waren die Russen durch ihre militärische Schwäche (sie zählten kaum 200,000 Mann) zu der Kriegführung gezwungen, welche ihnen den Sieg verleihen sollte, nämlich: möglichste Vermeidung einer offenen Feldschlacht, Rückzug in das unermeßliche Innere des Reichs und Ermüdung des Feindes durch den kleinen Krieg. Um die Bevölkerung [* 32] von jeder Unterstützung des Feindes abzuhalten, wurde die orthodoxe Religion für gefährdet erklärt und der heilige Krieg proklamiert.
Der linke Flügel der Franzosen unter Macdonald, dem das preußische Hilfskorps beigegeben war, rückte in die baltischen Provinzen
ein; der rechte unter Schwarzenberg drang in Wolhynien vor. Die Hauptarmee unter Napoleon selbst schlug
die Richtung nach Moskau
[* 33] ein, erreichte 28. Juni Wilna, 28. Juli Witebsk und stieß erst Mitte August bei Smolensk auf die russische
sogen. Westarmee unter Barclay de Tolly, welche, 116,000 Mann stark, Widerstand leistete, aber 17.
Aug. geschlagen wurde.
Die Russen deckten den weitern
Rückzug durch die Gefechte bei Walutina Gora (19. Aug.), Dorogobush (26. Aug.), Wjasma
(29. Aug.) und Ghatsk (1. Sept.) und wagten, nachdem Kutusow den Oberbefehl übernommen hatte, 7. Sept. bei Borodino noch einmal eine Schlacht.
Zwar mußten sie nach einem hartnäckigen und furchtbar blutigen Kampf ihre Stellung räumen und Moskau preisgeben, in
das Napoleon 14. Sept. einzog; aber das französische Heer war nicht nur auf 100,000 Mann zusammengeschmolzen, sondern auch erschöpft
und kriegsmüde, und statt durch den Besitz Moskaus den Frieden erzwingen zu können, fand Napoleon die Stadt von fast allen
Einwohnern verlassen und der Vernichtung geweiht; denn am Abend des 15. Sept. begann der vom Gouverneur Rastoptschin
befohlene Brand von Moskau, der in sechstägigem Wüten fast die ganze Stadt in Asche legte und die Franzosen der Mittel des Unterhalts
beraubte. Napoleon konnte nun nicht in Moskau überwintern, und nachdem seine Friedensanträge von Alexander erst hingehalten,
dann zurückgewiesen worden waren, trat er 18. Okt. den Rückzug an. Er wandte sich zuerst gegen Kaluga, um
in den noch unberührten südlichen Landstrichen Winterquartiere zu finden, ward aber bei Malojaroßlawez 24. Okt. von Kutusow
nach dem Norden
[* 34] zurückgeworfen und mußte nun durch völlig ausgesogene Gegenden seinen Rückzug nach Smolensk fortsetzen,
wobei seine Nachhut fortwährend von Kosaken umschwärmt und angegriffen wurde. Durch den Mangel an Lebensmitteln
und die früh eingetretene Kälte litt die Armee fürchterlich und war schon in Auflösung, als sie 9. Nov.
Smolensk erreichte.
Der weitere Rückzug ward dadurch gefährdet, daß die russische Südarmee unter Tschitschagow nach Zurückdrängung Schwarzenbergs
und die Nordarmee unter Wittgenstein, welche den Vormarsch der Franzosen in die Ostseeprovinzen nicht hatte
hindern können und zweimal ohne Erfolg bei Polozk gekämpft hatte (17.
u. 18. Aug. und 18.-19. Okt.), sich
nun auf der Rückzugslinie Napoleons vereinigen konnten. Mit Mühe, unter Aufbietung der letzten Kräfte, erzwangen die Franzosen
26.-28. Nov.
noch vor dieser Vereinigung den Übergang über die Beresina; aber in bejammernswertem Zustand
erreichte der Rest des Heers 6. Dez. Wilna, wo es sich auch nicht behaupten konnte. Ja, der Abfall Yorks von den Franzosen (30. Dez.) nötigte
dieselben Anfang 1813 auch zur Räumung der Weichsellinie.
Auch die russischen Truppen waren durch die Verluste und die Strapazen des Winterfeldzugs stark vermindert und erschöpft, und im russischen Hauptquartier waren viele einflußreiche Personen für einen sofortigen, möglichst vorteilhaften Frieden mit Frankreich. Aber zu einem solchen zeigte sich Napoleon keineswegs geneigt, und auch Alexander verlockten Ehrgeiz und Herrschsucht sowie der Wunsch, sich den Besitz ganz Polens zu sichern, zur Fortsetzung des Kriegs im Bund mit Preußen (vgl. Deutscher Befreiungskrieg).
Der erste Feldzug, welchen russische Feldherren, Wittgenstein und Barclay, befehligten, endete nach den Schlachten [* 35] von Großgörschen und Bautzen [* 36] mit dem Rückzug nach Schlesien. [* 37] Im zweiten Teil des Kriegs aber, als Österreich, England und Schweden der Koalition beigetreten waren, nahmen die russischen Truppen hervorragenden Anteil an den Siegen, [* 38] besonders der schlesischen Armee 1813-14, durch welche Napoleon aus Deutschland vertrieben und endlich gestürzt wurde. Im Rate der Verbündeten spielte Kaiser Alexander neben Metternich die hervorragendste Rolle und verhalf den zu ¶
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energischem Handeln drängenden Ratschlägen der preußischen Staatsmänner und Generale oft zum Sieg, bewirkte nach Vereitelung seines Plans, Bernadotte auf den französischen Thron [* 40] zu erheben, die Restauration der Bourbonen und die übermäßige Schonung Frankreichs im ersten Pariser Frieden und wohnte sodann dem Wiener Kongreß bei. Hier führte seine Forderung, daß Preußen für die Erwerbungen der dritten polnischen Teilung durch Sachsen [* 41] entschädigt werden und jene selbst an Rußland fallen sollten, einen Konflikt mit Österreich und den Westmächten herbei, der indes im Februar durch einige Zugeständnisse Rußlands beigelegt wurde. Es erhielt das eigentliche Polen (das sogen. Kongreßpolen) als besonderes Königreich, dem auch eine eigne liberale Verfassung verliehen wurde. Seine Besitzungen dehnten sich nun im Westen bis nahe an die Oder aus, während es sich im äußersten Osten über die Beringsstraße hinaus über einen Teil Nordamerikas ausbreitete; es umfaßte über 20 Mill. qkm mit etwa 50 Mill. Einw.
Rußlands Übergewicht in Europa.
Das Übergewicht, das Rußland durch den Ausgang der Napoleonischen Kriege in Europa erlangt hatte, befestigte Alexander noch durch die Heilige Allianz durch welche er namentlich Österreich und Preußen an die russische Politik fesselte. Die legitimistischen Grundsätze, zu denen Alexander sich bekehrt hatte, wurden zur Richtschnur der europäischen Politik auf den Kongressen zu Aachen, [* 42] zu Troppau, [* 43] Laibach [* 44] und Verona [* 45] genommen. Auch in Deutschland trat der russische Einfluß für dieselben gegen die nationale und freisinnige Bewegung ein.
Durchgreifende Reformen im eignen Reich nahm Alexander daher auch nicht vor, sondern beschränkte sich auf Einführung eines zweckmäßigen Zollsystems, Verbesserung des Geldwesens, Erweiterung des Straßen- und Kanalbaues und Kolonisierung des südlichen Rußland. Petersburg wurde durch zahlreiche Bauten verschönert, Moskau und viele andre im Krieg zerstörte Städte erstanden stattlicher als zuvor aus der Asche. Das Unterrichtswesen ward durch neue Anstalten, namentlich eine Universität zu Petersburg, gefördert und wissenschaftliche Reisen und Arbeiten freigebig unterstützt. Auf einer seiner Reisen nach den verschiedenen Provinzen des Reichs starb Alexander unerwartet in Taganrog.
Da Alexander keine Söhne hinterließ, so schien sein ältester Bruder, Konstantin, der berechtigte Thronfolger zu sein, und auf die Kunde von Alexanders Tod huldigten ihm der Großfürst Nikolaus mit den Garden, welchem Beispiel anfangs das ganze Reich und die Truppen folgten. Konstantin hatte aber schon 1822 auf sein Thronrecht verzichtet, und Alexander hatte den Verzicht genehmigt, aber geheim gehalten. Erst als man sein Testament eröffnete, ward er bekannt, und da Konstantin bei seinem Entschluß beharrte und als Oberbefehlshaber des polnischen Heers seinen jüngern Bruder, Nikolaus, als Zaren ausgerufen hatte, bestieg dieser als Nikolaus I. 1825 bis 1855) den Thron.
Die vorübergehende Unsicherheit, welche durch das Interregnum hervorgebracht wurde, benutzte eine Anzahl vornehmer Offiziere, welche die Ideen der französischen Revolution in sich aufgenommen hatten, um einen Umsturz des Staats herbeizuführen, der die Verwirklichung ihres Ideals ermöglicht hätte (Aufstand der Dekabristen, s. d.). Dieselben, ein Oberst Pestel an der Spitze, spiegelten den Garden, die dem Zaren Nikolaus huldigen sollten, vor, Konstantin sei der rechtmäßige Zar und Nikolaus Usurpator, und bewogen sie, nicht nur die Huldigung zu verweigern, sondern sogar Hochrufe auf Konstantin und die Konstitution (worunter die Soldaten die Gemahlin Konstantins verstanden) auszustoßen. Der außerordentliche Mut, mit dem Nikolaus persönlich den Rebellen entgegentrat und sofort mit Kartätschen unter sie feuern ließ, erstickte den Aufstand im Keim. Gegen die Teilnehmer und Urheber desselben wurde nun mit Strenge eingeschritten, Pestel, Rylejew, Murawjew und andre Offiziere hingerichtet, viele nach Sibirien verbannt, die meuterischen Regimenter nach dem Kaukasus geschickt.
Nikolaus wurde in Moskau feierlich gekrönt. Von einem gewaltigen, ja übermäßigen Bewußtsein seiner eignen Herrschaft
und der Festigkeit
[* 46] und Macht des russischen Reichs erfüllt, sah der neue Zar auf die europäische Kultur mit Verachtung herab,
da sie nur die Treue und Unterwürfigkeit unter Thron und Altar
[* 47] untergrabe, hielt die absolute Kaiserherrschaft
für fähig, das russische Reich und Volk zur höchsten Entfaltung seiner Kräfte zu bringen, und glaubte sich berechtigt, die
russischen Ansprüche nach allen Seiten hin rücksichtslos geltend zu machen. In dem Krieg mit Persien (1826-28),
den der Sohn des Schahs, Abbas Mirza, durch einen Einfall in Kaukasien begonnen hatte, wurde Abbas Mirza 1826 bei Jelissawetpol
geschlagen, worauf Paskewitsch 1829 in Persien selbst eindrang, die Perser bei Abbas Abad (17.
Juli) und bei Etschmiadsin (29. Aug.) besiegte,
Eriwan und Tebriz besetzte und im Frieden von Turkmantschai die Abtretung eines Teils von Armenien
erlangte.
Nicht lange darauf begann der Zar den vierten russisch-türkischen Krieg (1828-29), angeblich wegen Nichterfüllung der die Donaufürstentümer betreffenden Verträge seitens der Türkei, in Wirklichkeit, um die Unabhängigkeit der Griechen zu erzwingen, deren Aufstand von Rußland aus angeregt und fortwährend begünstigt worden war, noch 1827 durch die Vereinigung einer russischen mit einer englisch-französischen Flotte, welche vereinigte Schiffsmacht die türkisch-ägyptische Flotte bei Navarino vernichtete. Im Mai 1828 rückten die Russen unter Wittgenstein in die Donaufürstentümer ein, überschritten die Donau und eroberten im Oktober nach hartnäckiger Verteidigung Warna, während Paskewitsch in Türkisch-Armenien eindrang und Kars (5. Juli), Achalkalaki (23. Juli), Achalzych (9. Aug.) und damit das ganze Paschalik Bajesid in seine Gewalt brachte. 1829 besiegten die Russen unter Diebitsch die Türken bei Kulewtschi (11. Juni), nahmen Silistria ein (20. Juni) und zogen darauf über den Balkan. Adrianopel fiel 20. Aug. in ihre Hände, und selbst Konstantinopel schien bedroht; in Armenien hatte Paskewitsch Erzerum besetzt. Unter diesen Umständen nahm die Pforte die preußische Vermittelung für einen Frieden an, der am in Adrianopel zu stande kam: Rußland erhielt die Donaumündungen und einen Teil Armeniens sowie eine Kriegskostenentschädigung von 10 Mill. Dukaten; außerdem erkannte der Sultan die Unabhängigkeit Griechenlands an und gewährte den Donaufürstentümern fast vollständige Selbständigkeit.
Die Julirevolution 1830 hatte, obwohl Polen von Rußland bisher mild und rücksichtsvoll behandelt worden war, den polnischen Aufstand zur Folge, durch welchen der Großfürst Konstantin, der in Warschau befehligte, so überrascht wurde, daß er ganz Polen räumte. Die Wiedereroberung 1831 (s. Polen, S. 179) wurde dadurch erschwert, daß die Cholera viele Soldaten, auch den ¶