Rettungswesen
zur
See, Veranstaltungen an den
Küsten zur
Rettung Schiffbrüchiger, wird meist von Privatgesellschaften
ausgeübt. Zweigvereine dieser
Gesellschaften beaufsichtigen die einzelnen Rettungsstationen mit der Rettungsmannschaft, welche
aus am
Ort wohnhaften Leuten zusammengesetzt ist, und die
Rettungsapparate. Zu letztern gehören ein Rettungsboot, ein
Mörser-
oder Raketenapparat, Rettungsringe,
Beleuchtung- und Signalvorrichtungen etc. Die Rettungsboote sind verschieden konstruiert.
Das englische
Boot (Peakeboot) ist 10,3 m lang, 2,5 m breit,
aus
Holz
[* 2] gebaut und wiegt ohne Inventar 2500 kg. Durch verschiedene im
Boot angebracht metallene Luftkasten und einen äußern
Korkring ist es unversinkbar; sein Auftrieb
[* 3] ist so groß, daß sein zweiter
Boden stets mehrere
Zentimeter über
Wasser bleibt
und eingedrungenes
Wasser durch
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Röhren
[* 5] stets abfließen kann. Die stark konkave Krümmung der obern Fläche, Luftkasten an den Endpunkten und ein schwerer
eiserner Kiel
[* 6] bewirken, daß es nach dem Umschlagen alsbald wieder in seine natürliche Stellung zur
ückfällt. Dieses ausgezeichnete
Boot, welches in England allgemein gebräuchlich ist, eignet sich nicht für unsre flachen Küsten mit dem
unwegsamen Dünensand und der spärlichen Bevölkerung.
[* 7] Man benutzt deshalb das leichtere, 8 m lange, aus kanneliertem Eisenblech
gebaute Francisboot, welches ebenfalls Luftkasten besitzt und verschiedene Einrichtung zeigt, je nachdem es, entsprechend
den geographischen Verhältnissen der betreffenden Station, der Entfernung der gefährlichen Punkte von der Küste etc., zum
Segeln oder zum Rudern oder zum Segeln und Rudern eingerichtet ist.
Die leichtesten Boote dieser Art wiegen nur 900 kg. Die Segelboote besitzen einen Behälter für Wasserballast, der sich durch Öffnen eines Ventils im Boot von selbst füllt und auch in wenigen Minuten wieder entleert werden kann. Die Seitenschwerter, mit denen diese Boote ausgestattet sind, ersetzen den Kiel und vermindern die Abtrift des Boots beim Segeln. Die Boote sind vorn und hinten gleich gebaut; außer mit dem langen Steuerriemen sind sie noch mit einem Steuerruder versehen, über welches ein genau anschließender Mantel aus Eisenblech herabgelassen werden kann, so daß das Boot auch noch zu steuern ist, wenn es seinen Hintersteven aus dem Wasser stampft.
Füllt sich das Boot mit Wasser, so verhindern zwei schnell in der Mitte des Boots zu beiden Seiten mit dem Blatte dem Wasser zugekehrte, gelaschte Riemen das Rollen, [* 8] und das Boot kann leicht ausgeschöpft und ausgepumpt werden. Das Boot steht gewöhnlich vollständig ausgerüstet auf einem Wagen und gleitet von diesem leicht herab, wenn man den Vorderwagen löst und die Helling, auf der das Boot auf Rollen ruht, vorn etwas hebt. Einzelne Stationen haben große Rettungsboote mit Kuttertakelage.
Die Bemannung der Boote trägt Korkjacken (Wardsche Jacken) aus feinstem Kork,
[* 9] der in schmalen Stücken auf
Segeltuch genäht ist. Eine solche Jacke hält den schwersten Mann, bekleidet mit dickem Wollzeug und Seestiefeln, 24 Stunden
und länger mit den Schultern über Wasser. Wird ein Schiffbruch gemeldet, so eilen auf das Signal die Mannschaften herbei, Pferde
[* 10] oder Menschen bespannen den Bootswagen etc., und man sucht alsdann eine günstige
Stelle an der Küste in der Nähe des Wracks, möglichst luvwärts (windwärts), um das Rettungsboot ins Wasser zu lassen. Das
Boot, mit dem Bug nach See zu, alle Mann in demselben und festgebunden, um nicht herausgespült zu werden, die Ruder zur
Hand,
[* 11] wird in einem günstigen Moment, wo die Brandung einer Welle fast zu Ende ist, mit dem Wagen ins Wasser geschoben,
bis es schwimmt und fortgerudert werden kann. Ein besonders schwieriger Moment ist die Annäherung an das Wrack, an dem zerschmettert
zu werden das Boot Gefahr läuft, wenn nicht mit äußerster Vorsicht verfahren wird.
Die Rettungsgeschosse bezwecken die Herstellung einer Verbindung zwischen Land oder Rettungsboot und Schiff [* 12] mittels geworfener Leinen. Die Raketenapparate werfen eine Leine von 200-500 m. Bei den Mörsern ist die Leine an dem Geschoß [* 13] befestigt, und dieses wird durch Pulver fortgeschleudert. Der Mörser schießt mindestens ebenso weit und ist billiger als die Rakete, aber namentlich bei Regen und Dunkelheit schwerer zu bedienen, auch führt die große Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses leicht zu Verwickelungen und Abreißen der Leine.
Auf Entfernungen von 70 m stellt man eine Verbindung zwischen Rettungsboot und Schiff mittels eines Handgewehrs her, welches auch benutzt wird, um Leuchtkugeln zu schießen. Ankerraketen werfen eine Leine, an deren vorderm Ende ein Anker [* 14] befestigt ist. Man benutzt sie unter besonders schwierigen Verhältnissen, um das Abkommen des Boots vom flachen Strand zu ermöglichen. Hat der Anker gefaßt, so ziehen die vordersten vier Mann an der Leine, während die übrigen rudern.
Ist mittels Rakete oder Mörser den Schiffbrüchigen eine Leine vom Land glücklich zugeworfen, so holen jene sich mit derselben einen Block (Kloben) an Bord, in den eine andre stärkere Leine eingeschoren ist, deren beide Enden an Land bleiben und zusammengesplißt werden. Den Block befestigen die Leute auf dem Schiff, und somit ist eine Kommunikation mit dem Land fertig. Zunächst wird jetzt das eine Ende einer schweren Troß (starkes Tau) nach dem Wrack geschafft und dort so hoch wie möglich an einem Mast od. dgl. befestigt, während man das andre Ende der Troß am Land an einem Anker befestigt.
Die ausgespannte Troß dient gleichsam als Brücke,
[* 15] indem an ihr hängend eine Art Korb mit der andern dünnen
Leine hin- und hergezogen werden kann, welcher, zur
Aufnahme einer Person geeignet, allmählich die ganze gefährdete Mannschaft
an das Land transportiert. In neuester Zeit hat man auch Öl im Rettungsdienst angewandt. Die Resultate sind aber an den deutschen
Küsten gering, da das Öl zwar in tiefem Wasser nachgewiesenermaßen eine überraschend beruhigende Wirkung auf den Seegang
ausübt, der an den flachen Küsten besonders heftig auftretenden Brandung gegenüber aber machtlos bleibt.
Die Geschichte des Rettungswesens zur
See ist mit der der Gesellschaften zur
Rettung Schiffbrüchiger eng verbunden. Eine solche
entstand zuerst 1789 zu Shields in England. Äußere Veranlassung war der vor den Augen der Bewohner stattfindende
Untergang des Schiffs Adventure. Das erste »unversinkbare« Rettungsboot baute 1790 ein
Londoner Wagenbauer, Lionel Lukin; Henry Greathead, ein gewiegter Bootbauer, verbesserte es bald darauf erheblich, und langsamere
Fortschritte folgten diesen ersten Versuchen.
Das Interesse für das in England war aber bis 1823 ein sehr geringes geblieben; es neu zu beleben, machte
sich 1824 Sir William Hallary zur
Aufgabe. Auf seine Anregung vereinigten sich 1850 alle bis dahin bestandenen Vereine zur
Royal
National Lifeboat Institution, welche heute über mehr als 300 Rettungsstationen an den englischen Küsten
verfügt. Auf etwa 5000 Rettungsfahrten (seit 1855) wurden gegen 12,000 Menschen gerettet. Die Gesamtzahl der Geretteten beziffert
sich auf 30,000 Mann.
Auf dem europäischen Festland folgten zuerst die Holländer dem von England gegebenen Beispiel. In Frankreich wurde die Société
centrale de sauvetage des naufragés 1866 gegründet, nachdem aber schon Boote seit 1825, Mörser seit 1846 im
Gebrauch gewesen waren. Statt der letztern ist jetzt eine Kanone, welche einen Pfeil mit Leine nach der Angabe von Delvigne schießt,
allgemein gebräuchlich. Preußen
[* 16] errichtete seit 1850 für seine Küsten einige Rettungsstationen. In den Jahren 1861-64 aus
der Initiative einzelner Küstenstädte hervorgegangene Vereine bildeten 1865 die Deutsche
[* 17] Gesellschaft
zur
Rettung Schiffbrüchiger, in deren Händen gegenwärtig der gesamte Rettungsdienst an den deutschen Küsten vereinigt ist.
Die
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Gesellschaft besitzt 111 Stationen (66 an der Ostsee, 45 an der Nordsee, und zwar 39 Doppelstationen mit Boot und Raketenapparat, 53 Bootsstationen und 19 Raketenstationen), 57 Bezirksvereine, 242 Vertreterschaften und 47,173 Mitglieder. Die Jahresbeiträge bezifferten sich im J. 1887/88 auf 141,171 Mk., die Gesamteinnahme auf 278,253 Mk. Seit Gründung der Gesellschaft wurden 1703 Menschen gerettet. Die Bedienung der Rettungsapparate erfolgt durch freiwillige Mannschaften, welche sich durch den Ortsausschuß zum festen Dienst einschreiben lassen.
Festen Gehalt bezieht nur der Vormann der Station, welcher dafür zugleich die Rettungsgeräte in Ordnung zu halten hat. Den Mannschaften werden für Übungs- und Rettungsfahrten bestimmte Vergütungen und für geglückte Rettungen Prämien (20-40 Mk. pro Kopf der Geretteten) gezahlt. Auch wer der Station die erste Nachricht von einer Strandung überbringt, erhält eine Prämie. Jene Prämien werden auch an Besatzungen fremder Schiffe [* 19] gezahlt, die durch aktives Eingreifen deutsche Seeleute an deutschen Küsten retten, während an außerdeutsche Rettungsstationen, die Mannschaften deutscher Schiffe geborgen, oder an deutsche Schiffe, welche in außerdeutschen Gewässern Rettungen vollführt haben, Diplome und Medaillen verliehen werden.
Bis jetzt hat die Gesellschaft 60,020 Mk. an Prämien gezahlt. Gegen Tod im Rettungs- oder Übungsdienst versichert die Gesellschaft die Mannschaften der Rettungsstationen mit 2500 Mk., auch hat sie einen Fonds für Extraunterstützungen an die Hinterbliebenen der Verunglückten gebildet. Zur Belehrung der Seeleute über die Benutzung der ihnen vom Land zugebrachten Hilfe dient ein in 20,000 Exemplaren verteiltes Büchlein: »Seemann in Not«. Organ der Gesellschaft ist die seit 1872 in Bremen [* 20] erscheinende Vierteljahrsschrift: »Von den Küsten und aus der See« ^[richtig: »Von den Küsten und aus See«].
Vgl. Lewis, History of the life-boat and its work (Lond. 1874);
Schumacher, Das Rettungswesen
(Berl. 1868);
Werner, Die Gefahren der See und die Rettung Schiffbrüchiger (Heidelb. 1880);
»Annual report of the Royal National Life-boat Institution«.