Rembrandt
als
Erzieher. Unter diesem
Titel erschien Mitte
Januar 1890 in
Leipzig
[* 2] ohne
Namen des Verfassers,
nur mit der Bezeichnung »Von einem
Deutschen« ein
Buch, das die gegenwärtig in
Deutschland
[* 3] auf den Gebieten der
Politik,
Kunst,
Wissenschaft und des gesamten geistigen
Lebens herrschenden Zustände einer scharfen
Kritik unterzog und zu dem
Schlusse kam,
daß nur eine
Wiedergeburt des deutschen
Geistes von
Grund aus uns der geistigen
Misère der Gegenwart entziehen
könne.
Als
besondere
Heilmittel gab der Verfasser
Bescheidenheit,
Einsamkeit,
Ruhe,
Individualismus,
Aristokratismus,
Kunst an und zwar
in der
Steigerung, daß er die
Kunst im
Gegensatz zu dem gegenwärtigen Übergewicht der
Wissenschaft als
Spitze des menschlichen
Daseins bezeichnete. Sobald die
Kunst im allgemeinen
Bewußtsein des
Volkes diese
Stellung erst eingenommen
hätte, wäre die Aufgabe einer wahrhaften
Bildung gelöst. Als
treibende
Grund- und Urkraft alles Deutschtums gilt dem Verfasser
der
Individualismus, und da
Rembrandt nach seiner
Ansicht der individuellste unter allen deutschen Künstlern ist, der deshalb
»vollkommen als
Vorbild den
Wünschen und Bedürfnissen, welche dem deutschen
Volke von heute auf geistigem
Gebiete vorschweben«, entspreche, stellte er die Persönlichkeit
Rembrandts in den
Mittelpunkt seiner kritischen Betrachtungen.
Die Verherrlichung des schrankenlosen, vor keiner Autorität sich beugenden Individualismus einerseits und auf der andern Seite der stark pessimistische Zug, der einer Zeitströmung, einer immer mehr um sich greifenden Unsicherheit in den Kundgebungen der öffentlichen Meinung entgegenkam, scheinen vorzugsweise den großen Erfolg des Buches bedingt zu haben, der sich äußerlich in bisher 34 Auflagen offenbarte. Die geschickte Art des Verfassers, durch kühne Wendungen, ungewöhnliche Bilder und geistreiche Antithesen den Leser zu bestechen und zu blenden, ließ in den ersten Monaten jeden Widerspruch in der Presse [* 4] verstummen. Nachdem aber an Stelle der Bewunderung eine besonnene Prüfung des Bildes getreten war, das der Verfasser von angeblichen unhaltbaren und verrotteten Zuständen in Deutschland entworfen hatte, traten auch zahlreiche Gegner in der Presse und in Einzelschriften auf. Von letztern erschien zuerst eine Parodie unter dem Titel: ¶
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»Höllenbreughel als
Erzieher. Auch von einem Deutschen (F. Pfohl)« (Leipz. 1890,8. Aufl.
1891),
die durch groteske Übertreibungen die pessimistische Anschauung des Verfassers von »Rembrandt«
verspottet. Einer
ernsthaften Widerlegung befleißigt sich dagegen die Broschüre »Billige Weisheit. Antidoton gegen Rembrandt«
von Nautilus (Art. Seemann,
Leipz. 1890),
die es bis zur 6. Auflage brachte. Von andern Gegenschriften sind noch erwähnenswert: »Est!
est! est!, von einem niederdeutschen Bauern« (Dresd. 1890) und »Der heimliche Kaiser« (2. Aufl., Stuttg. 1891). Für den Verfasser
von »Rembrandt«
traten ein M. Bewer in »Rembrandt und Bismarck« (Dresd. 1891) und H. Pudor in »Ein ernstes Wort über Rembrandt«
(Götting.
1891) und andern Schriften. Als
Verfasser des Buches »Rembrandt«
wird Langbehn aus Hadersleben
[* 6] genannt.