Reformierter Bund
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Reformierter
Reformierte
Kirche, im Gegensatz zur lutherischen Kirche diejenige Kirchengemeinschaft, welche sich ebenfalls im 16. Jahrh. von dem Papsttum lossagte, sich von jener durch einen radikalen Charakter unterscheidet u. besonders in Süddeutschland, der Schweiz, [* 3] in Frankreich, den Niederlanden und in Schottland vorherrschend ist. Die Reformation (s. d.) begann in Zürich [* 4] ziemlich gleichzeitig wie in Wittenberg [* 5] und war 1525 in allem Wesentlichen zum Abschluß gekommen. Gleichzeitig erschien auch der erste Teil der 1531 vollendeten Bibelübersetzung.
Vgl. hierüber Mezger, Geschichte der deutschen Bibelübersetzung in der schweizerisch-reformierten
Kirche
(Basel
[* 6] 1876).
Den Glaubensbegriff der neuen Kirche bestimmte Ulrich Zwingli (s. d.), namentlich in seinem »Kommentar von der wahren u. falschen Religion« (Zürich 1525) sowie in seiner »Fidei ratio ad Carolum ¶
Imperatorem« (das. 1530),
am bestimmtesten aber kurz vor seinem Tod in einer Auseinandersetzung des christlichen Glaubens: »Christianae fidei brevis et clara expositio ad regem christianum« (hrsg. von Bullinger, das. 1536). Neben Zwingli ließen zu Augsburg [* 8] auch die Städte Straßburg, [* 9] Konstanz, [* 10] Memmingen [* 11] und Lindau [* 12] ein von Bucer (s. d.) verfaßtes Bekenntnis, die sogen. »Confessio tetrapolitana«, überreichen, woran sich spätere Bekenntnisse der Schweizer Kirchen anschlossen. S. Baseler Konfession und Helvetische Konfessionen. Aber trotz eines bedeutenden Anhangs, worunter namentlich das seit 1528 zur Reformation übergetretene Bern [* 13] imponierend dastand, schien die Sache der Kirchenverbesserung in der deutschen Schweiz seit der Schlacht bei Kappel keiner weitern Ausdehnung [* 14] auf die fünf katholischen Urkantone fähig zu sein.
Dafür aber trat an die Stelle der deutschen Schweiz die französische, an die Stelle Zwinglis Calvin (s. d.) mit seinen Gehilfen,
welchem die reformierte
Kirche ihre Entwickelung und Ausbreitung in der südlichen und westlichen Schweiz und dem angrenzenden Frankreich
verdankte. In Genf
[* 15] hatte bereits 1534 nach Vertreibung des Bischofs protestantische Religionsübung Platz gegriffen. Seit 1536 schlug
hier Calvin seinen Sitz auf. In Neuchâtel reformierte
seit 1530 Farel (s. d.), in Lausanne
[* 16] seit 1531 Viret (s. d.). Calvins Glaubenslehre
hebt die Verderbnis und Unfreiheit des gefallenen Menschen und als Gegengewicht vor allem die unbedingte
göttliche Vorherbestimmung hervor.
Zwinglis mehr im Geiste des Humanismus gehaltene Auffassung der christlichen Glaubenslehre trat seitdem in der reformierten
Kirche
zurück. Die von ihm auf die Bedeutung einer Gedächtnisfeier reduzierte Auffassung des Abendmahls aber, worüber er mit Luther
zerfallen war, wurde von Calvin dahin gewendet, daß die Gläubigen eine von dem verherrlichten Leib Christi
ausgehende Kraft
[* 17] geistig, aber wahrhaft genießen. Daß aber der Mund in Brot
[* 18] und Wein nur Zeichen empfange, stand, im Gegensatz
zu Luther, für beide Schweizer Reformatoren fest.
Durch seine Schriften, insbesondere seine »Institutio rel. christ.«, durch seine
Ratschläge und die zahlreichen Schüler, die er sich heranzog, machte Calvin seinen Einfluß bald über
die ganze reformierte
Kirche geltend und erhob Genf
zu deren Mittelpunkt. Neben ihm übte Theodor Beza (s. d.) eine bedeutende, sowohl gelehrte
als kirchliche Wirksamkeit aus. Diese weite Verbreitung, welche die in reformierte
Kirche Hessen,
[* 19] in der Pfalz, in Norddeutschland (Hamburg,
[* 20] Bremen,
[* 21] Brandenburg,
[* 22] Schlesien),
[* 23] in Polen und Ungarn,
[* 24] in Frankreich, England, Schottland und den Niederlanden
fand, brachte es auch mit sich, daß sie in so verschiedenen Ländern sich auch sehr verschiedenartig entwickelte und gestaltete.
War auch die Genfer Universität die Pflanzschule reformierter
Geistlichen, so gelang es Calvin doch nicht, seinem strengen Lehrbegriff
von der Prädestination ganz unbedingte Geltung zu verschaffen. Unter den schweizerischen Bekenntnissen
vertreten in dieser Beziehung seine reine Lehre
[* 25] nur der »Consensus pastorum Genevensis ecclesiae« (1554) und die »Formula consensus
Helvetica« (1675). In den meisten außerschweizerischen Bekenntnissen wird dieses Dogma entweder infralapsarisch (s. Infralapsarii)
behandelt, oder geradezu umgangen.
Mit der Entstehung dieser weitern Bekenntnisse verhält es sich folgendermaßen: Schon 1557 entstand für
die reformierten
Gemeinden in Ungarn die »Confessio Hungarica« oder »Czengeriana«. Zuerst unter
den
deutschen Fürstenhäusern wandte sich der Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz der reformierten
Kirche zu. In seinem Auftrag
schrieben 1563 Ursinus und Olevianus den »Heidelberger Katechismus« (s. d.), der in der
deutsch-reformierten
Kirche fortan als Bekenntnisschrift galt.
Für Friedrich III. zunächst war auch die große Bekenntnisschrift Bullingers (s. d.) bestimmt, die als zweite Helvetische Konfession
ein nicht minder weit reichendes Ansehen erlangte. In Sachsen
[* 26] wurde das reformierte
Element, welchem die Schule Melanchthons
im Interesse einer evangelischen Union Aufnahme verschafft hatte, in der Konkordienformel (s. d.) ausgeschieden
(1577). Dagegen trat zu Anfang des 17. Jahrh. (1604) der Landgraf Moritz von Hessen-Kassel zur reformierten
Kirche über, nachdem
er sich vergeblich um Vereinigung der beiden verwandten Kirchen bemüht hatte.
Auch im Anhaltischen, wo der mildere Lehrausdruck Melanchthons schon früher vorherrschend gewesen war,
siegte seit 1589 der Calvinismus. Von bedeutendem Einfluß aber war der Übertritt des Kurfürsten Siegmund von Brandenburg
zum Calvinismus (1614), als dessen Bekenntnis die sogen. »Confessio Marchica« gilt. Die Reformierten
waren zwar in den Augsburger
Religionsfrieden nicht ausdrücklich mit eingeschlossen, galten aber als augsburgische Konfessionsverwandte, sofern sie die
veränderte Augsburgische Konfession (s. d.) von 1540 als Symbol anerkannten, und der Westfälische Friede
von 1648 brachte ihnen eine vollkommen ebenbürtige Stellung neben Lutheranern und Katholiken auch in Deutschland.
[* 27] In Großbritannien
[* 28] entstand neben der katholisierenden Anglikanischen Kirche (s. d.) das echt reformierte
Kirchenwesen der Presbyterianer (s. d.),
welche sich zuerst in Schottland in der »Scotica« (1560),
dann zu London
[* 29] in der »Confessio Westmonasteriensis«
(1648) Bekenntnisse gaben. In den Niederlanden wurde zur Schlichtung der Streitigkeiten zwischen den Arminianern (s. d.) und
Schülern des Gomarus (s. d.) als ökumenisches Konzil der reformierten
Kirche die Synode zu Dordrecht
[* 30] bis
abgehalten, deren Beschlüsse jedoch keineswegs ganz ungeteilte Anerkennung in allen reformierten
Ländern
fanden. Die »Confessio Belgica« und die »Confessio Gallicana« wurden auf der Synode unterzeichnet, welche die während des spanischen
Terrorismus nach dem deutschen Niederrhein geflüchteten holländischen Reformierten
1571 in Emden
[* 31] hielten (Emdener Glaubensbekenntnis);
an diese Flüchtlingsgemeinden schloß sich dann mit der Zeit die in reformierte
Kirche den jetzigen
preußischen Rheinlanden an. Auch bildeten sich im 19. Jahrh. in Holland, der Schweiz, in Frankreich und Schottland (seit 1843)
Freie Gemeinden (s. d.). In Frankreich hatten die Reformierten
(s. Hugenotten) durch Antoine de Chandieu, Prediger zu Paris,
[* 32] ihr
Bekenntnis erhalten, das als »Gallicarum ecclesiarum confessio fidei«
auf einer Synode zu Paris 1559 angenommen und dann auf einer Nationalsynode zu La Rochelle 1571 von neuem
als Bekenntnisschrift der französisch-reformierten
Gemeinden anerkannt ward. Nachdem sie durch das Edikt von Nantes
[* 33] 1598 Duldung
erlangt hatten, sahen sie sich infolge der Aufhebung des letztern 1685 neuen heftigen Verfolgungen ausgesetzt. Erst die
Revolution machte diesen traurigen Verhältnissen ein Ende, und erst 1830 erlangte die in reformierte
Kirche Frankreich Gleichstellung mit
der katholischen. Aber jetzt kam es wegen des auch hier ausbrechenden Kampfes zwischen der Orthodoxie und der freien Richtung
zu den
¶
heftigsten innern Kämpfen, gelegentlich auch, im Mai 1849, zu einer Lossagung von der Nationalkirche durch Bildung der sogen. evangelisch-reformierten Kirche von Frankreich (Union des églises évangeliques de France). In Nordamerika [* 35] hat sich die in reformierte Kirche ganz freier Weise entwickelt und zeigt daher sehr verschiedene Richtungen, welche sich jedoch teils um die Presbyterianer, teils um den Methodismus (s. Methodisten) gruppieren.
Vgl. Baird, Kirchengeschichte von Nordamerika (Berl. 1844).
Was die Kultuseinrichtungen der reformierten Kirche anlangt, so wollte schon Zwingli alles auf die christliche Einfachheit zurückgeführt wissen und verbannte daher Altäre, Gemälde, Lichter bei der Kommunion, Orgeln, priesterliche Kleidung, Hostienausteilung und Privatbeichte der Kirche, und die reformierte Kirche blieb in dieser Beziehung den Grundsätzen ihres ersten Stifters getreu. Daher der schmucklose, nüchterne Gottesdienst in den Kirchen und der eigentümliche Abendmahlsritus (s. Abendmahl). Hinsichtlich der Verfassung aber hat die reformierte Kirche den unbezweifelbaren Vorzug vor der lutherischen Kirche, daß sie von Anfang an die Presbyterial- und Synodalverfassung (s. d. 2) annahm, während in jener durch Übertragung der bischöflichen Rechte auf die Landesherrn die Konsistorialverfassung (s. d.) vorherrschend ward.
Was endlich den Lehrbegriff anlangt, so stellt derselbe sich zwar keineswegs bloß in Beziehung auf das Abendmahl und die Prädestination als ein eigentümlich gedachtes, von dem lutherischen charakteristisch verschiedenes System dar. Dennoch erwiesen sich die dogmatischen Differenzen zwischen beiden Kirchen auf die Dauer nicht als so bedeutend, daß darüber ihre innere Verwandtschaft und ihr gemeinsame protestantischer Charakter in Frage gestellt werden konnten, und es sind daher die Vereinigungsversuche, die man in manchen deutschen Ländern, namentlich in Preußen [* 36] (s. Union), gemacht hat, meist von Erfolg gewesen.
Vgl. Basnage, Histoire de la religion des églises réformées (Rotterdam [* 37] 1690, 2 Bde.);
Schweizer, Die Glaubenslehre der evangelisch-reformierten Kirche (Zürich 1844 bis 1847, 2 Bde.);
Derselbe, Die protestantischen Zentraldogmen in ihrer Entwickelung innerhalb der reformierten Kirche (das. 1854-56, 2 Bde.);
Hagenbach, Die in reformierte Kirche Bezug auf Verfassung und Kultus (Schaffh. 1842);
Merle d'Aubigné, Die lutherische und die reformierte Kirche, ihre Verschiedenheit und Einheit (deutsch, Berl. 1861);
Hundeshagen, Beiträge zur Kirchenverfassungsgeschichte des Protestantismus (Wiesb. 1864);
Schneckenburger, Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformierten Lehrbegriffs (Stuttg. 1855);
Heppe, Ursprung der Bezeichnungen reformierte und lutherische Kirche (Gotha [* 38] 1859), und das Sammelwerk »Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformierten Kirche« (Elberf. 1857-62, 10 Bde.).