Rätien
(Raetia), altröm. Provinz seit 15 v. Chr., im N. bis an und über die Donau reichend (mit Einschluß des von Kelten bewohnten Vindelizien), westlich vom Lande der Helvetier in Gallien, südlich von Gallia cisalpina und im O. von Venetia und Noricum begrenzt, also das heutige Graubünden, Tirol, [* 2] den Süden von Bayern, [* 3] den Osten von Württemberg [* 4] und die italienischen Alpen [* 5] umfassend (s. Karte »Germanien«). [* 6] Letztere wurden schon durch Augustus mit Italien [* 7] vereinigt.
Nun ging die Südgrenze, das
Thal
[* 8] der Rienz anschließend, über
Brixen,
Meran,
[* 9] nördlich von
Chiavenna, über den St.
Gotthard
und den
Kamm der
Lepontinischen und
Penninischen Alpen; die Westgrenze schloß das ganze
Schweizer Hochgebirge
und den
Bodensee ein. Unter
Diokletian wurde Rätien
geteilt in Raetia prima im S., mit der Hauptstadt
Curia
(Chur),
[* 10] und Raetia secunda
im N.; die genaue
Grenze zwischen beiden ist nicht nachzuweisen. Das Land enthielt die
Quellen fast aller
Oberitalien
[* 11] durchfließenden Alpenflüsse, des Addua,
Ticinus, Ollius,
Clusius, Mincius, Athesis
(Etsch) mit dem Nebenfluß
Isarcus
(Eisack), sodann den ganzen
Änus
(Inn).
Auch die nördlichen Spitzen der Seen Oberitaliens, des Lacus Verbanus, Larius und Benacus, sowie der ganze Lacus Venetus (Bodensee) fallen noch nach in seiner weitesten Ausdehnung. [* 12] Die Rätier waren ein wildes, räuberisches Gebirgsvolk, welches den Angriffen der Römer, [* 13] denen es erst im 2. Jahrh. v. Chr. bekannt ward, den tapfersten Widerstand entgegensetzte, aber gleichwohl nach mehrjährigem Kampf gegen Drusus und Tiberius der römischen Übermacht erlag.
Der Meinung der Alten nach waren sie mit den
Etruskern verwandt, und die neuere Forschung (L.
Steub) hat
Gründe zur Unterstützung dieser
Ansicht gefunden.
In den letzten
Zeiten des weströmischen
Reichs fast ganz verödet, hob sich
Rätien
erst wieder etwas, nachdem es von den Ostgoten unter
Theoderich gegen Ende des 5. Jahrh. in
Besitz genommen worden war.
Nach
Theoderichs
Tod breiteten sich die Bajuvarier
(Bayern) von
Noricum
her auch über Rätien
aus. Unter den
Städten
waren Tridentum
(Trient)
[* 14] und
Augusta
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Vindelicorum (Augsburg) [* 16] die bedeutendsten. Bojodurum (Passau-Innstadt) bewahrte den Namen der keltischen Bojer; ebenso führen Radasbona (Regensburg, [* 17] lat. Regina Castra), Sorviodurum (Straubing), [* 18] Campodunum (Kempten) [* 19] keltische Namen. Batava Castra (Passau) [* 20] ist römische Gründung. Brigantium (Bregenz), [* 21] die Bojerstadt am Lacus Venetus, gab demselben später den Namen Brigantinus Lacus. Unter den zahlreichen dort in ihren Resten nachgewiesenen Römerstraßen waren die ältesten und bedeutendsten die von Augusta Vindelicorum über Parthanum (Partenkirchen), Veldidena (Wilten), den Brenner etc. nach Verona [* 22] und die von Augusta Vindelicorum über Brigantium und Curia nach Mediolanum.
Vgl. Planta, Das alte Rätien
(Berl. 1872);