Pseudoisidōr
,
Dekretalen des, oder pseudoisid
orische Dekretalen, eine kirchliche Rechtssammlung,
welche um die Mitte des 9. Jahrh. im Frankenreiche auftritt und von einem unbekannten, wahrscheinlich
westfränkischen und der Reimser Kirchenprovinz angehörigen Geistlichen veranstaltet ist. Dieselbe giebt sich den Anschein
identisch zu sein mit einer ältern, dem Isidor von Sevilla
[* 2] fälschlich zugeschriebenen kirchenrechtlichen Sammlung, die
auch im Frankenreiche verbreitet war, der sog. Hispana.
Sie unterscheidet sich aber von derselben namentlich dadurch, daß sie viele Bestandteile enthält, die in jener fehlen und die sich durchweg als Fälschungen charakterisieren. Der Verfasser hat nämlich nicht nur eine Anzahl gefälschter Aktenstücke, die schon verbreitet waren, in seine Sammlung aufgenommen, sondern auch selbst zahlreiche Briefe gefertigt, welche er mosaikartig aus Stellen von Schriftstellern, Gesetzen, Konzilienbeschlüssen zusammensetzte und als von den ältesten Päpsten des 1. und 2. Jahrh. ausgegangen bezeichnet.
Bei dieser groben Fälschung ist als ausgesprochene Tendenz erkennbar, die ältesten Zeugen des Christentums Lehren [* 3] aussprechen zu lassen, welche zu den Zuständen des Fränkischen Reichs in scharfem Gegensatz stehen, und somit diese als schädlich und abänderungswürdig zu bezeichnen. Insbesondere handelte es sich dabei um eine vollständige Emancipation der Kirche von der Staatsgewalt, speciell von der weltlichen Gerichtsbarkeit. Daneben ist die Stärkung des röm. Primats hauptsächliche Tendenz der Fälschung.
Die Päpste haben die pseudoisid
orischen Materialien benutzt, die denn auch in die Rechtssammlungen und
in das Corpus juris canonici eingeschlossen sind und die Rechtsentwicklung der
Kirche seit Ende des 9. Jahrh.
(Nikolaus Ⅰ.)
geradezu entscheidend beeinflußt haben.
Daß das pseudoisid
orische Werk Fälschungen enthalte, ist seit dem 14. Jahrh.
(Nikolaus von Cusa)
geahnt, seit dem 16. Jahrh.
(Magdeburger Centuriatoren,
Blondel) nachgewiesen, und die
Vertreter der Echtheit
(Torres) sind gänzlich widerlegt worden. Heute ist die Fälschung unbestritten. Eine kritische
Ausgabe mit wertvollen Specialuntersuchungen
hat Hinschius (Lpz. 1863) veranstaltet. –
Vgl. Maaßen, Neun Kapitel über freie Kirche und Gewissensfreiheit (Graz [* 4] 1876).