Protestant
enverein,
deutscher, ein
Verein deutscher
Protestanten, welcher nach § 1 seiner
Statuten auf dem
Grunde des
evangelischen
Christentums eine Erneuerung der protestant
ischen
Kirche im
Geist evangelischer
Freiheit und
im
Einklang mit der ganzen Kulturentwickelung unsrer Zeit anstrebt. Zuerst hat die (vierte) unter
Zittels von
Heidelberg
[* 2] Vorsitz
tagende
Durlacher
Konferenz im
August 1863 den
Gedanken regelmäßig wiederkehrender Versammlungen solcher deutschen
Protestanten
angeregt, welche die Überzeugung hegen, daß die seit längern
Jahren betretene
Bahn der kirchlichen
Restauration
unser deutsches
Volk dem
Christentum immer mehr entfremdet.
Auf
Grund einiger von dem
Heidelberger
Professor
Schenkel entworfenen Thesen vereinigte man sich zur
Gründung und Einberufung
eines deutschen Protestant
entags und bezeichnete als dessen Hauptzweck die Anbahnung einer deutschen gesamtkirchlichen Nationalvertretung.
Auf der am zu
Frankfurt
[* 3] abgehaltenen, von 131
Notabeln aus sämtlichen größern deutschen evangelischen
Landeskirchen besuchten Vorversammlung wurde auf den
Vorschlag des
Berliner
[* 4] Unionsvereins der Protestant
entag in einen Protestantenverein
umgewandelt,
der die theologische
Arbeit zur
Befreiung und Läuterung der
Lehre
[* 5] von dem noch herrschenden
Dogmatismus der protestantischen
Wissenschaft zu überlassen, dagegen den Anbau des kirchlichen
Verfassungs- und Gemeindelebens und die
Förderung der praktisch-kirchlichen Thätigkeit als Hauptgebiet seiner Thätigkeit zu betrachten habe.
Die endgültige Begründung des
Vereins erfolgte sodann auf seiner ersten eigentlichen Versammlung zu
Eisenach,
[* 6] 7. und
an der sich 300 Theologen und 200
Laien beteiligten.
Professor
Bluntschli von
Heidelberg leitete diese und
die nächst sich anschließenden
Verhandlungen. Nach den hier einstimmig angenommenen
Satzungen will der Protestantenverein
insbesondere dahin
wirken, daß die
Gemeinde der
Hierarchie gegenüber zu ihrem
Recht und dadurch auch zu wirklichem eignen
Leben komme; er will
alles, was die sittliche
Kraft
[* 7] und Wohlfahrt des
Volkes bedingt, zu fördern suchen und für diese
Zwecke
tüchtige
Kräfte aus dem ganzen deutschen protestantischen
Volk sammeln und vereinen.
Die Mitglieder treten da, wo sich eine hinlängliche Zahl derselben in einem Ort oder einem Bezirk findet, in Orts- oder Bezirks- oder Landesvereine zusammen und versammeln sich zeitweise zur Besprechung über wichtige Fragen. Diese besondern Vereine stehen mit dem Gesamtverein in Verbindung und haben ihre besondere Vertretung auf dem Protestantentag. Die Leitung der Geschäfte liegt in der Hand [* 8] eines Ausschusses, vor allem des Büreaus (seit 1874 in Berlin). [* 9] Alljährlich soll womöglich eine Versammlung des Gesamtvereins gehalten werden.
Der zweite dieser Protestantentage fand 1867 zu
Neustadt
[* 10] a.
Hardt, der dritte 1868 zu
Bremen,
[* 11] der vierte 1869 in
Berlin statt.
Schon seit 1866 und noch mehr seit 1870 war der Protestantenverein
wesentlich zugleich im nationalen
Sinn thätig und hat auf
seinen Versammlungen fast alle die Maßregeln, welche in
Preußen
[* 12] zum
»Kulturkampf« und zur Neukonstituierung der evangelischen
Kirche führten, zum voraus gefordert und befürwortet. So auf dem fünften Protestantentag zu
Darmstadt
[* 13] 1871, dem sechsten in
Osnabrück
[* 14] 1872, dem siebenten zu
Leipzig
[* 15] 1873, dem achten in
Wiesbaden
[* 16] 1874, dem neunten zu
Breslau
[* 17] 1875 und
dem zehnten in
Heidelberg 1876.
Schon damals, noch mehr aber seither litt der Protestantenverein
unter entschiedener Ungunst
fast sämtlicher Kirchenbehörden
Deutschlands.
[* 18] In vielen deutschen
Landeskirchen können geistliche Mitglieder des Protestantenvereins
nicht zur
Anstellung, in
Preußen wenigstens thatsächlich nicht zur Beförderung gelangen. Im
Sommer 1877 war es im Zusammenhang
mit der
¶
mehr
kirchenpolitischen Katastrophe, welche bald darauf zum Rücktritt erst des Oberkirchenratspräsidenten Herrmann, dann des Kultusministers
Falk führte, möglich, den Protestantenverein
gleichsam in Acht und Bann zu thun. Seinen Anhängern wurden, wo sie von Gemeinden gewählt wurden,
vom Gesetz nicht immer vorgesehene Kolloquia abverlangt und auf Grund derselben Bestätigung verweigert. Unter dem
Druck so ungünstiger Verhältnisse fanden statt der elfte Protestantentag in Hildesheim
[* 20] 1878, der zwölfte 1880 zu Gotha,
[* 21] der dreizehnte 1881 in Berlin, der vierzehnte 1883 in Neustadt a. Hardt, der fünfzehnte 1885 in Hamburg
[* 22] und der sechzehnte in
Wiesbaden 1886. Organe des Protestantenvereins
sind die zu Elberfeld
[* 23] erscheinenden »Protestantischen Flugblätter«,
das zu Bremen erscheinende »Deutsche
[* 24] Protestantenblatt« und die Berliner »Protestantische Kirchenzeitung« sowie das »Jahrbuch
des deutschen Protestantenvereins«
von Hoßbach und Thomas (1869-72).
Vgl. Rothe, Zur Debatte über den Protestantenverein
, in der
»Allgemeinen kirchlichen Zeitschrift« (1864);
Schenkel, Der deutsche Protestantenverein
(neue Ausg., Wiesb. 1871).