Prostitution
(lat.), »Preisgebung«,
besonders Selbstpreisgebung eines
Frauenzimmers zur Unzucht, wenn dieselbe mehr oder minder offen als
Gewerbe betrieben wird.
Schon das frühste
Altertum kannte feile
Frauen. Die
Patriarchen und
Propheten des Alten
Testaments bezeugen,
daß zu ihrer Zeit schon Prostitution
bestand
(1. Mos. 34, 31;. 38, 15);
doch war die Prostitution
den Töchtern
Israels untersagt. In
Chaldäa
herrschte unter den wilden und kriegerischen Bergvölkern die gastliche Prostitution;
in
Babylon trieb man die Prostitution
in
Form eines
Kultus der
Venus oder
Mylitta;
dort zwang das Gesetz jede Frau, einmal in ihrem Leben im Tempel [* 2] der Venus sich einem Fremden preiszugeben.
Dieser
Kultus breitete sich über
Cypern,
[* 3]
Phönikien und andre
Länder
Kleinasiens aus. Auch die Ägypter hatten
zu
Ehren der
Isis
[* 4] (Pascht)
Feste, bei welchen die schrecklichsten
Ausschweifungen stattfanden. Die Griechen
scheinen einen solchen Kult für ihre
Aphrodite
[* 5] nicht gekannt zu haben; dagegen führte
Solon die gesetzliche Prostitution
ein, und das
Hetärenwesen
Griechenlands war nichts andres als eine dem Kulturzustand des
Volkes gemäß verfeinerte Prostitution.
Die
Römer
[* 6] hatten
öffentliche Freudenhäuser (lupanaria und fornices) sowie selbständige Lustdirnen (meretrices und prostibulae),
und in ihren
Bädern pflegten sich feile
Frauen einzufinden.
Der keusche Sinn, die Sittsamkeit und Ehrbarkeit, welche den Frauen und Mädchen der alten Germanen in hohem Grad eigen war, ging zu einem großen Teil mit dem Eindringen römischer Kultur und in der Berührung mit andern Völkern verloren. Zwar suchten die christlichen Gesetzgeber und Regenten dem sittlichen Übel zu steuern; so gab Karl d. Gr. in seinen Kapitularien das erste Beispiel einer übertriebenen Strenge. Allein trotz der harten Strafe, mit der 1158 auch Friedrich I. Barbarossa die Unzucht verfolgte, war doch nichts häufiger als liederliche Frauen und Frauenhäuser.
Hierzu trugen die
Kreuzzüge wesentlich bei, und das europäische
Mittelalter kannte neben der zarten
Minne auch die Prostitution
in ihrer
widerwärtigsten Gestalt. Man sah im
Mittelalter die Prostitution
als einen notwendigen Teil des staatlichen
Organismus an und strebte
in den
Städten dahin, das
Verhältnis zwischen Prostitution
und Stadtregiment auf
Grund eines gegenseitigen
Vertrags
zu ordnen. Die Obrigkeit kontrollierte an manchen
Orten die
Frauenhäuser und nahm die Wirte, welche Bedienstete des
Rats waren,
in
Pflicht und
Eid, daß sie die nötige Anzahl von
Frauen vollständig hielten; anderwärts gab man den Prostituierten eine
Zunftordnung, erhob aber von ihnen
Gefälle und stellte sie unter
Aufsicht des Stockmeisters oder
Henkers.
Überall aber bediente man sich der öffentlichen Buhlerinnen ohne
Scham und
Scheu. Das
Konzil zu
Konstanz
[* 7] (1414) lockte nicht
weniger als 700 feile
Frauen herbei.
Noch im Dreißigjährigen
Krieg folgten den
Heeren große
Scharen von Dirnen.
In den halbzivilisierten
Ländern der Neuzeit tritt die Prostitution
in sehr ungezügelter Form auf. Die
Almehs in
Ägypten,
[* 8] die Nautschmädchen in
Indien sind die Vertreterinnen der gemeinen Prostitution
wie die Puzen auf
Java und die Sives in
Polynesien.
In schlimmster
Weise treiben das
Geschäft der Prostitution
die »Blumenmädchen« in
China,
[* 9] die teils in »Blumenbooten« auf dem
Wasser,
teils in »blauen
Häusern« auf dem Land
Gäste empfangen; dort werden arme
Kinder, die gestohlen oder von ihren Eltern verkauft
wurden, lediglich zur Prostitution
herangebildet. Auch die
Japaner betreiben Prostitution
in großem
Stil: unbemittelte Leute verkaufen ihre Töchter
in die »Theehäuser«, welche unter dem
Schutz der
Regierung stehen;
Sinagawa, eine Vorstadt Tokios, wird nur von Freudenmädchen bewohnt;
allein kein Schimpf ist mit dem
Gewerbe verknüpft, die öffentlichen Dirnen sind sogar sehr
gesucht als
Frauen und leben später in der
Ehe unbescholten. -
In den zivilisierten
Ländern der Gegenwart bemüht man sich
in immer erhöhtem
Grad um die Einschränkung der Prostitution.
Im allgemeinen beobachtet man zwei entgegengesetzte
Systeme: auf der einen Seite die bedingte
Toleranz, auf der andern Seite die gewaltigsten Anstrengungen zur Unterdrückung
der Prostitution.
Man hat indes erfahren, daß die heimliche Prostitution in
¶
mehr
umgekehrtem Verhältnis zur öffentlichen steht und dort am zügellosesten herrscht, wo die offene Prostitution
unterdrückt
wird. Sie steckt dann alle Gesellschaftsklassen und selbst das Familienleben an. Man sucht deshalb mehr und mehr die Prostitution
durch
zweckmäßige Maßregeln zu beschränken, aber nicht zu unterdrücken, sondern zu regeln und zu überwachen. Dadurch
erhielt das Vorgehen des Staats eine moralische Bedeutung, zugleich aber gelang es auf diese Weise, der Verbreitung der Syphilis
erfolgreich entgegenzuwirken.
Internationale Kongresse haben sich wiederholt für das Verbot der heimlichen, strenge polizeiliche Kontrolle der offenen Prostitution, häufige und regelmäßige ärztliche Untersuchung der Mädchen ausgesprochen und die Einrichtung leichter kontrollierbarer Prostitutionshäuser (Bordelle, maisons tolérées) empfohlen. Von andrer Seite wurde gegen das offizielle Bordellwesen und für die bloße Beaufsichtigung und Duldung der zerstreut wohnenden Prostituierten (Einspännerinnen) besonders geltend gemacht, daß aus einem Bordell der Rücktritt eines reuigen Mädchens in eine geordnete Lebensweise schwer möglich ist.
Im Königreich Preußen, [* 11] insbesondere in Berlin, [* 12] wurden die Bordelle streng verboten, bald wiederum (1851) geduldet und offiziell kontrolliert; dann ward 1856 abermals der Schluß der Bordelle angeordnet, und es begann von da an wieder das System, die Einzelprostitution zu kontrollieren. Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich [* 13] bedroht in § 361 nur solche gewerbsmäßig Unzucht treibende Weibspersonen mit Strafe, welche polizeilichen Anordnungen zuwiderhandeln.
Infolgedessen haben denn die Prostituierten, welche sich den von städtischen Polizeibehörden erlassenen Prostitutionsregulativen allenthalben fügen, das Recht, ihr Gewerbe unter den vorgeschriebenen Beschränkungen (Einschreibung, Stellung zur ärztlichen Untersuchung, Vermeidung öffentlichen Skandals etc.) ungehindert zu betreiben. Dagegen ist die Konzessionierung und das Halten von Bordellwirtschaften insofern nicht gestattet, als das Strafgesetzbuch in § 180 und 181 die Kuppelei oder die gewohnheitsmäßige Vermittelung von Gelegenheit zur Unzucht verbietet. Trotzdem bestehen in fast allen größern Städten Deutschlands [* 14] Bordelle, wenn auch nur stillschweigend geduldet.
In Österreich [* 15] stammen die Gesetze betreffs der Prostitution meist aus der Zeit Maria Theresias; seit 1827 ist die Prostitution strafrechtlich verboten, doch wurde auch der Polizei die Überwachung derselben vorgeschrieben; aber erst 1872 regelte die Regierung auf Antrag des Wiener Gemeinderats die Beaufsichtigung der Prostitution durch Einführung sogen. »Gesundheitsbücher« bei den Freudenmädchen. - Frankreich entbehrt noch jetzt einer einheitlichen Regelung der Angelegenheit: in Paris [* 16] wurden zuerst 1802 regelmäßige Untersuchungen angeordnet;
man unterschied offiziell »filles isolées« und »filles de maison«;
die konzessionierten Prostitutionshäuser nannte man maisons tolérées.
Wiederholt wurden dann mehr oder weniger scharfe Maßregeln getroffen. Die Mädchen werden mit einer Karte versehen, dürfen sich nicht an bestimmten öffentlichen Orten zeigen etc. Allein die Vorschriften greifen keineswegs durch, und die Zahl der Inskribierten ist verhältnismäßig klein. Ähnliche Zustände bestehen in Lyon, [* 17] Marseille [* 18] etc. -
In Belgien [* 19] ist eine recht zweckmäßige Regelung des Prostitutionswesens durchgeführt; Brüssel [* 20] ging schon 1844 vor und verschärfte 1856 die Maßregeln; man beaufsichtigt dort die Bordelle verschiedener Klassen (maisons de débauche und maisons de passe) in einer Art, welche glänzenden Erfolg hinsichtlich der Verringerung der Syphilis hatte. - In England wurden die Ausschreitungen der Prostitution sowie die Erkrankungen im Heer so bedeutend, daß 1866 eine Bill erlassen ward, welche lediglich in einigen Garnisonorten die Prostitution unter spezielle Aufsicht stellte, 1868 zum Act (Gesetz) erhoben wurde und von da an diese Maßregel auf eine größere Anzahl von Plätzen ausdehnte. - Da die Seestädte ganz besondere Herde der Prostitution und gleichzeitig für Verbreitung der syphilitischen Krankheiten höchst gefährliche Infektionsherde sind, so wurde von vielen Seiten beantragt, auf internationalem Weg an diesen Plätzen die Prostitution unter strenge, allgemein vereinbarte Aufsicht zu stellen.
Die Statistik der Prostitution in den zivilisierten Staaten kann nur höchst unzuverlässige Zahlen aufstellen. Nach Huppés Angaben lebten in Berlin 1870 ungefähr 16,000 Prostituierte, d. h. etwa 4 Proz. der weiblichen Bevölkerung; [* 21] dagegen hatte Wien [* 22] 25,000, New York 30,000, Paris 50,000, London [* 23] 60,000 Prostituierte. 1884 standen in Berlin unter sittenpolizeilicher Kontrolle 3769 Personen, aber die Gesamtzahl der Prostituierten, also auch derjenigen, die sich der Polizei zu entziehen wissen, wurde auf 30,000 geschätzt.
Schlechte Erziehung der Mädchen, Not, die Fabrikarbeit der Kinder, namentlich der heranwachsenden Mädchen, die sozialen Verhältnisse, welche die Begründung von Familien erschweren, Arbeitsscheu, Putzsucht und namentlich auch die Verführung seitens junger Männer führen der Prostitution stets neue Opfer zu. Eine wirksame Bekämpfung der Prostitution dürfte erreicht werden durch Reformen im Erziehungs- und Vormundschaftswesen, Regelung der Frauenarbeit auf allen Gebieten, Errichtung von Zufluchtsstätten für arbeits- und mittellose Mädchen, größte Strenge besonders gegen die gefährlichsten Klassen der Prostituierten und die Stiftung von Asylen für solche Mädchen, welche ins bürgerliche Leben zurückzutreten wünschen (Magdalenenstifter).
Vgl. Lacroix (Dufour), Histoire de la p. (Par. 1851-54, 6 Bde.);
Acton, Prostitution in its moral, social and sanitary adspects (2. Aufl., Lond. 1869);
Hügel, Zur Geschichte, Statistik und Regelung der Prostitution (Wien 1865);
Jeannel, Die Prostitution in den großen Städten im 19. Jahrhundert etc. (deutsch, Erlang. 1869);
Wichern, Denkschrift, im Auftrag des Zentralausschusses der innern Mission (Hamb. 1869);
Huppé, Das soziale Defizit von Berlin (Berl. 1870);
Lecour, La p. à Paris et à Londres 1789-1871 (3. Aufl., Par. 1877);
Kühn, Die Prostitution im 19. Jahrhundert etc. (3. Aufl., Leipz. 1888);
Duboc, Behandlung der Prostitution im Reich (3. Aufl., Magdeb. 1879);
»Das deutsche Strafgesetzbuch und polizeilich konzessionierte Bordelle. Aktenstücke« (Hamb. 1877);
Sailer, Die Magdalenensache in der Geschichte (das. 1880);
Schrank, [* 24] Die Prostitution in Wien (Wien 1886, 2 Bde.);
Stursberg, Die Prostitution in Deutschland [* 25] (Düsseld. 1887).