Pneumatische
Kuren (Atmungskuren). Die Atmung der Menschen geht normal vor sich bei einer Dichtigkeit der äußern Luft von einer Atmosphäre Druck; dieselbe wird sofort verändert, wenn die Spannung der Luft verändert wird. Nimmt die Dichtigkeit der Luft ab, so müssen die Respirationen, um das notwendige Quantum Sauerstoff in den Brustraum eintreten zu lassen, proportional der Verdünnung der Luft häufiger und mühsamer werden, die Muskelanstrengung nimmt zu, das Herz muß stärker arbeiten; gleichzeitig treten Blutüberfüllungen des Kopfes und andrer Organe mit sehr übeln Folgen ein.
Umgekehrt werden beim Einatmen verdichteter Luft die Atemzüge seltener und leichter, allgemeines Wohlbefinden tritt ein, die Erregbarkeit des Nervensystems wird herabgesetzt, Disposition zu Schlaf tritt ein. Man hat frühzeitig daran gedacht, von einer natürlich vorhandenen oder künstlich herzustellenden Modifikation der Luftdichtigkeit bei der Behandlung der Lungenkrankheiten Gebrauch zu machen. Gestützt auf frühere irrtümliche Angaben über das Nichtvorkommen von Lungenschwindsucht an sehr hoch gelegenen Orten, glaubte man dieselbe zu heilen, zu verhüten oder zu bessern dadurch, daß man die Patienten die verdünnte Luft sehr hoch gelegener Orte dauernd einatmen ließ.
Man ist heute davon zurückgekommen und hat im Gegenteil die schädliche Einwirkung sehr verdünnter Luft erkannt. Wenn man Schwindsüchtige nach mäßig hoch gelegenen Orten schickt, z. B. nach Montreux, Lausanne, [* 3] St.-Maurice, Davos etc., so beruht der Erfolg hier nicht darauf, daß die Kranken verdünnte Luft einatmen, sondern eine Luft, rein von allen schlechten Beimengungen der Tiefebene, von trockner Beschaffenheit und namentlich von einer sehr gleichmäßigen Temperatur.
Dagegen wird die pneumatische
Kur vermittelst verdichteter
Luft mit großem Vorteil angewendet gegen
Emphysem,
chronische
Bronchialkatarrhe,
Asthma etc. Die Kranken erfahren nicht allein während der Zeit, wo sie verdichtete
Luft einatmen,
eine augenblickliche Besserung ihres Zustandes, sondern nicht selten werden ihre
Beschwerden für längere Zeit gemindert,
ihre
Krankheit positiv geheilt. Man hat festgestellt, daß die
Lungen beim Atmen komprimierter
Luft erweitert,
die Atemzüge minder häufig, aber tiefer werden, daß die
Ausscheidung von
Harn und
Kohlensäure wächst, der ganze
Stoffwechsel
also sich hebt, und daß infolgedessen die
Ernährung gefördert wird.
Die
Füllung der feinsten
Blutgefäße vermindert sich, die
Aufsaugung der
Lymphe wird beschleunigt, und
das sauerstoffreichere
Blut erzeugt erhöhtes Kraftgefühl. Die Einatmung der verdichteten
Luft geschieht vermittelst der pneumatischen
Apparate. Die gewöhnliche Art derselben, die pneumatischen
Kabinette, sind nach Tabarié (1864) von dicken
Platten aus Schmiedeeisen
umgrenzte, hermetisch abgeschlossene
Räume von der Gestalt eines
oben und unten mit einer
Kuppel versehenen
Cylinders, in
dem eine oder zwei oder mehrere
Personen Platz haben.
Die untere
Kuppel befindet sich unter dem
Fußboden des
Zimmers, in welchem der
Apparat aufgestellt ist; der
Apparat erscheint
danach von der Gestalt einer
Glocke (pneumatische
Glocke). Die
Grenze zwischen unterer
Kuppel und
Cylinder bildet eine hölzerne
Diele, auf welcher
Sessel für die Kranken stehen.
Licht
[* 4] erhält der
Apparat durch luftdichte
Fenster, der
Eingang ist ebenso durch eine hermetisch schließende
Thür. Durch eine
Öffnung in der untern
Kuppel wird vermittelst einer
Dampfmaschine
[* 5] beständig bis zu etwa 1,5
Atmosphären
Druck verdichtet frische
Luft in den
Raum hineingeleitet, welche auf der
andern Seite durch ein
Rohr an der obern
Kuppel wieder entweicht. In neuerer Zeit sind auch pneumatische
Kabinette aus
Stein konstruiert worden.
Die pneumatischen
Kuren gewinnen immer größere Verbreitung, und man findet jetzt in allen größern
Städten pneumatische
Apparate. Von
Waldenburg
[* 6] wurde 1873 ein tragbarer pneumatischer
Apparat angegeben, der sich von dem pneumatischen
Kabinett dadurch unterscheidet, daß der Kranke die verdichtet
Luft nur einatmet, während sein übriger
Körper sich unter
dem gewöhnlichen Atmosphärendruck befindet. Gleichzeitig kann bei diesem
Apparat je nach
Wunsch und
Notwendigkeit Einatmung
und Ausatmung in verdünnter
Luft geschehen.
Diesen und ähnliche
Apparate hat man mit großem Vorteil bei allen Erkrankungen des
Herzens, bei welchen
der Abfluß des
Bluts aus dem
Herzen gehemmt ist, bei
Lungenschwindsucht mit
Bluthusten, bei Luftröhrenkatarrhen und namentlich
bei
Lungenemphysem angewandt. Der einmalige Aufenthalt des Kranken in verdichteter
Luft oder die sogen.
Sitzung (pneumatisches
Bad)
[* 7] dauert in der
Regel zwei
Stunden; die Zahl der
Sitzungen ist je nach dem
Grad und der
Beschaffenheit des
Leidens eine verschiedene, bis 60 und 80.
Vgl. Lange, Über komprimierte Luft, ihre physiologische Wirkung und therapeutische Bedeutung (Götting. 1864);
Vivenot, Zur Kenntnis der physiologischen Wirkungen und der therapeutischen Anwendung der verdichteten Luft (Erlang. 1868);
Knauthe, Handbuch der pneumatischen
Therapie (Leipz. 1876);
Waldenburg, Die pneumatische
Behandlung der
Respirations- und Zirkulationskrankheiten (2. Aufl., Berl. 1880);
Simonoff, Aerotherapie (Gieß. 1876);