(griech.), im
Gegensatz zum Erinnerungsvermögen, d. h. der reproduzierenden
Einbildungskraft, welche schon
dagewesene sinnlich anschauliche
Vorstellungen erneuert, das
Vermögen, neue dergleichen zu bilden, also die produzierende
und zwar ästhetisch und logisch schöpferische
Einbildungskraft. Dieselbe unterscheidet sich von der gemeinen (banalen)
Einbildungskraft
dadurch, daß ihre
Erfindungen den ästhetischen Normalgesetzen, von der phantastische (z. B. des
Traums)
Einbildungskraft dadurch, daß dieselben den logischen
Denkgesetzen gemäß sind.
Ersterm Umstand verdanken die
Schöpfungen der Phantasie ihre
Schönheit (Neuheit,
Frische, Lebendigkeit, Anschaulichkeit, Mannigfaltigkeit,
Einheit und Übereinstimmung), letzterm ihre Denkbarkeit (Widerspruchslosigkeit), formale
Wahrheit (Möglichkeit,
Wahrscheinlichkeit),
keineswegs auch materiale
Wahrheit (Wirklichkeit). Von der letztern, welche der
Inhalt des wissenschaftlichen
Denkens
(Wissens) ist, können die
Schöpfungen der Phantasie, des ästhetischen
Denkens (Dichtens), sich so weit entfernen, wie der
Gegenstand des erstern, die wirkliche (beste oder schlechteste)
Welt, von dem Gegenstand des letztern, dem ästhetischen Weltideal
(der
Welt des
Schönen), entfernt ist.
Jenes erkennt die gegebene, die Phantasie schafft eine
neue Welt, wobei sie zwar die
Elemente der erstern, die
durch die ursprünglich empfangenen
Eindrücke gegebenen
Vorstellungen, als
Bausteine verwertet, aber durch neue und originale
Verbindungen derselben neue, originale Vorstellungsgebilde hervorbringt. Durch ihre ursprünglichen
Eindrücke hängt jede
individuelle Phantasie mit ihrer äußern Umgebung zusammen und ihren elementaren Stoffbestandteilen
nach von dieser ab. Die Phantasie gestaltet sich anders im hohen
Norden
[* 2] als unter den
Tropen, im
Morgen- als im
Abendland.
Ihre Neuheit und schöpferische Originalität aber liegt nicht im verbundenen
Stoff, sondern in den verbindenden
Formen. Als
produktives
Vermögen ist sie die eigentliche Geburtsstätte einer ästhetisch-logischen Vorstellungswelt,
welche je nach der
Beschaffenheit dieser entweder eine
Welt musikalischer oder bildnerischer, oder poetischer
Gedanken ist,
deren erzeugende Phantasie infolgedessen als musikalische, bildnerische, poetische Phantasie unterschieden
wird.
Diese drei
Arten weichen so sehr untereinander ab, daß sie als
Anlagen selten oder nie in gleichem
Grad nebeneinander in
demselben
Individuum aufzutreten pflegen. Hauptsächlich ist es die musikalische
Anlage, welche die bildnerische, seltener
die poetische, von sich ausschließt oder doch beschränkt. Als Begabung angesehen, macht die Phantasie die eigentliche
künstlerische Befähigung aus, deren höherer
Grad künstlerische
Talent, deren höchster Kunstgenie heißt.
Vgl. unter andern
Frohschammer, Die Phantasie als Grundprinzip des Weltprozesses
(Münch. 1876), welcher jedoch dieses
Wort nicht
bloß im ästhetischen, sondern in einem viel weitern
Sinn als unbewußt schaffende
Kraft
[* 3] überhaupt versteht.
In der
Musik bezeichnet Phantasie
(Phantasiestück) als
Name für Instrumentalstücke nicht eine bestimmte Form, sondern im Gegenteil
freie Gestaltung ohne Anschluß an feststehende
Formen. So treten viele der ersten ausdrücklich für
Instrumente komponierten
Stücke (G.
Gabrieli, H. Vecchi u. a.) unter dem
NamenFantasia auf, ohne daß es möglich wäre, dieselben
formell zu unterscheiden von
Ricercar, Sonata,
Toccata etc. Die gemeinsame Eigenart dieser zunächst noch unbestimmten
Bildungen
bestand darin, daß sie einen musikalischen
Gedanken frei imitierend oder fugenartig durchführten, ohne
dabei, wie die nachherige
Quintfuge, ein bestimmtes
Schema innezuhalten.
Als die
Fuge sich zu festen
Formen entwickelt hatte, bedeutete der
NamePhantasie etwas der
Fuge Entgegengesetztes (vgl. J. S.
Bachs
»Phantasie und
Fuge« in
A moll); auch von der
Sonate unterschied sie sich durch die
Abweichung von strenger cyklischer
Gestaltung (vgl.
Mozarts »Phantasie und
Sonate« in
C moll). Die
Befreiung der
Sonate vom Schematismus der
Drei- oder Viersätzigkeit und
der stereotypen Sonatenform des ersten
Satzes führte
Sonate und Phantasie einander wieder näher (vgl.
Beethovens »Sonata quasi
Fantasia«,
Op. 27, 1 und 2); diese Überschrift hätte er aber auch Op.
78, 90 und den »fünf letzten« geben können. Vielfach werden heute auch
potpourriartige Zusammenstellungen von Opernmelodien u. dgl.
für
Pianoforte oder
Orchester mit dem
NamenPhantasie belegt; besser paßt derselbe für
Paraphrasen einzelner
Melodien.
in der Psychologie die Fähigkeit, reproduzierte Vorstellungen (s. d.) zu solchen Komplexen zusammenzusetzen,
wie sie bisher dem Individuum noch nicht in der Wahrnehmung geboten waren, also auch nicht durch eine bloße Erinnerungsleistung
gebildet werden können. Die Phantasie in diesem allgemeinsten Sinne ist dem Manne der Wissenschaft wie dem Künstler
gleicherweise unentbehrlich, und sie arbeitet besonders lebhaft, wenn entweder ein bestimmter Zweck das Hinausgehen über die
Erfahrung erfordert, z. B. in der Aufstellung von Hypothesen, oder die geringe Anzahl von Erfahrungen dem Thätigkeitsbedürfnis
der Seele nicht genügt, z. B. beim Kinde.
Die Erklärung der Phantasie muß auf die Thatsache der fortwährenden Einwirkung unterbewußter psychischer Zuständlichkeiten
auf oberbewußte und auf die Veränderungsfähigkeit der Wahrnehmungsresiduen zurückgehen (s. Bewußtsein und Vorstellung).
Im einzelnen unterscheiden wir drei Arten der Phantasie: 1) Die reproduktive Phantasie, mittels deren wir eine bisher noch nie im Bewußtsein
vorhandene Verbindung zwischen zwei Vorstellungen vollziehen, etwa die Vorstellungen »golden« und »Berg«
zu dem in Wahrnehmung und Erinnerung nicht gegebenen Vorstellungskomplex eines »goldenen Berges« verknüpfen.
2) Die produktive Phantasie, mittels deren die ästhetische Welt geschaffen wird. Sie kann nach den Hauptgruppen künstlerischer
Veranlagung in musikalische, poetische, bildnerische Phantasie gegliedert werden. Diese drei Klassen weichen
so sehr voneinander ab, daß sie als Anlagen selten oder nie im gleichen Grade nebeneinander in demselben Individuum aufzutreten
pflegen; hauptsächlich ist es die musikalische Produktivphantasie, welche die bildnerische, seltener die poetische von sich
ausschließt oder doch beschränkt.
3) Die deutende Phantasie, mittels deren die Metapher des Dichters, die mythologische Naturauffassung, das Spiel
des Kindes u. dgl. zu stande kommt. Sie folgt dem
Gesetz der Substitution (s. Vorstellung), indem sie auf ein neues ObjektEigenschaften bezieht, die in Wirklichkeit bloß mit
ähnlichen Gegenständen verknüpft sind. Überhaupt aber lassen sich alle Formen der Phantasie auf Associationsgesetze zurückführen,
insoweit die intellektuelle Seite der Phantasie in Betracht kommt, und es ist falsch, ihre Wirksamkeit
als ein regelloses Ungefähr zu betrachten, denn wo thatsächlich ein solches Spiel ohne Zusammenhang herrscht, wie z. B.
in wilden Träumen, im Fieber oder in pathologischen Zuständen der Ideenflucht, da sprechen wir zwar populär von »Phantasieren«,
aber nicht wissenschaftlich von einer Leistung der Phantasie.
(grch.) oder Einbildungskraft, Name für eine große Anzahl von psychischen Vorgängen,
in denen die Erzeugung sinnlicher Bilder das Gemeinsame bildet. Faßt man das Wort in allgemeinster Bedeutung, so gehört
darunter schon die ursprüngliche Bildung aller unserer Wahrnehmungen, insofern dabei aus den Elementen der Empfindung zusammenhängende
Anschauungen gebildet werden. Diese Art der Phantasie ist, da sie zu bewußten Objektvorstellungen führt,
als appercipierende Phantasie zu bezeichnen.
Eine zweite Thätigkeit der Phantasie ist die Wiedererzeugung der Bilder vergangener Wahrnehmungen. Dies ist die sog. reproduktive
Phantasie. Sie fällt zusammen mit der Erinnerungsthätigkeit, insofern darunter ein neues Bewußtwerden der in der
Seele auf unbewußte Art aufbewahrten Gedächtnisspuren verstanden wird. Erzeugen sich hingegen aus den
durch das Gedächtnis aufbewahrten Spuren neue Bilder und Bildergruppen, so heißt diese Thätigkeit schöpferische oder produktive
Phantasie. Man unterscheidet außerdem die anschauliche und die kombinierende Phantasie, je nachdem die Fähigkeit
überwiegt, Vorstellungen von sinnlicher Lebhaftigkeit zu bilden, oder die andere, sie mannigfaltig zu verknüpfen.
Ferner redet man von einer analytischen und synthetischen Phantasie bei der künstlerischen Thätigkeit
und beim Genießen und Würdigen eines Kunstwerkes. Herrscht dort die Richtung vom Ganzen zu den Teilen vor, so entsteht auf
synthetischem Wege erst das Ganze durch die successive Aneinanderreihung der Einzelheiten. Das Höchste, was die Phantasie hervorbringen
kann, leistet sie in der Kunst. In den bildenden Künsten schließt sie sich am engsten an die sinnliche
Anschauung an, aus der sie ihre Stoffe entlehnt.
In der Musik tritt das die bildnerische Phantasie in Thätigkeit versetzende Gefühl vorherrschend hervor. In der Dichtkunst halten
beide Elemente einander das Gleichgewicht,
[* 4] wobei der Gedanke als Herrscher und Ordner über beiden seine
Gewalt aufs höchste steigert. Die fortwährende Verschmelzung der Bilder und Gefühle in der Poesie kündigt sich durch die
sinnliche Anschaulichkeit der bilderreichen, d. h. in Gleichnissen sich bewegenden Sprache
[* 5] an. Wenn die Erzeugnisse der produktiven
Phantasie den Boden der Wirklichkeit so weit verlassen haben, daß sie darauf gar nicht mehr denkbar erscheinen,
so nennt man sie phantastisch. Der Wert der Phantasie für die ästhetischen Untersuchungen ist namentlich von den
deutschen Romantikern, wie Schelling, Solger u. a., betont worden-. J. G. Fichte
[* 6] betrachtete die Phantasie als das schöpferische
Grundprincip des gesamten geistigen Lebens, und in neuerer Zeit hat Frohschammer («Die
Phantasie als Grundprincip des Weltprozesses», Münch. 1877) den Versuch gemacht, die Phantasie zum metaphysischen Kardinalbegriff zu erheben.
-
Vgl. Ölzelt-Newin, über Phantasievorstellungen (Graz1889);
In der Musik heißt Phantasie eine Komposition, in welcher der Tonsetzer weder auf eine bestimmte Form noch auf eine ganz
genau zusammenhängende Ordnung der musikalischen Gedanken Rücksicht nimmt. Bindet er sich weder an ein
gewisses Thema noch
an Takt und Rhythmus, so nennt man die Phantasie frei; gebunden hingegen, wenn eine bestimmte Taktart zu Grunde liegt und in allen
Teilen eine gewisse Einheit beobachtet wird, wie in Mozarts C-moll-Fantasia.