Pflichtteil
(lat. Portio legitima, auch bloß Legitima), derjenige Teil des Vermögens eines Erblassers, welchen gewisse Verwandte desselben gesetzlich beanspruchen können, wofern sie sich dies Recht nicht durch schlechtes Betragen verscherzt haben. Dem Prinzip nach ist nämlich im römischen Recht sowohl als in den modernen Gesetzbüchern die Testierfreiheit, d. h. das Recht des Erblassers, über seinen Nachlaß letztwillig beliebig zu verfügen, anerkannt.
Eine Ausnahme davon ist nur zu gunsten der nächsten Verwandten statuiert, deren Enterbung als ein Akt der Lieblosigkeit und eben darum als unbillig erscheinen würde. Diese Verwandten sind die Deszendenten oder Verwandte in absteigender Linie, wie Kinder und Enkel, die Aszendenten oder Verwandte in aufsteigende Linie, wie Eltern und Großeltern, und die Geschwister, letztere aber nur dann, wenn ihnen eine anrüchige Person (persona turpis) vorgezogen worden ist.
Neuere
Gesetze und so auch der
Entwurf eines deutschen bürgerlichen
Gesetzbuchs (§ 1975 ff.) zählen die
Geschwister nicht
mehr zu den Pflichttei
lsberechtigten, während sie dem überlebenden Ehegatten ein
Recht auf den Pflichtteil
einräumen. Diese Pflichtteilsberechtigten
können einen gewissen Teil desjenigen Erbteils beanspruchen, welcher ihnen zufallen würde, wenn kein
Testament vorhanden und wenn also die gesetzliche
Erbfolge eingetreten wäre. Dieser Teil der sogen. Intestatportion ist eben
der Pflichtteil
, und der
Erblasser ist also in seiner
Testierfreiheit zu gunsten jener sogen.
Noterben nur insofern beschränkt, als
er ihnen wenigstens den Pflichtteil
hinterlassen muß, wofern
nicht etwa ein gesetzlicher Enterbungsgrund
vorliegen sollte.
Ein Hauptgrund, warum insbesondere Eltern die
Kinder enterben können, ist die Lieblosigkeit der letztern, bethätigt durch
Lebensnachstellungen, Thätlichkeiten oder sonstige grobe
Injurien. Die
Größe des Pflichtteils
bestimmt sich nach gemeinem
(römischem)
Recht nach der Zahl der im einzelnen
Fall vorhandenen Pflichttei
lsberechtigten. Sind dies
mehr als vier, so beträgt er ½, sind es weniger
Noterben, ⅓ der Intestatportion. Neuere
Gesetzgebungen, wie die österreichische
und die italienische, statuieren dagegen für
Deszendenten stets ½, für
Aszendenten ⅓ der Intestatportion.
Das preußische
Landrecht hat den Pflichtteil
für 1-2
Noterben auf ⅓, für 3-4 auf ½ und für 5-6 und mehr Berechtigt
auf ⅔ der Intestatportion festgestellt, während nach französischem
Rechte dem
Erblasser gestattet wird, beim Vorhandensein
eines
Kindes über ½, bei zwei
Kindern über ⅓ und bei drei oder mehreren
Kindern nur über ¼ des
Nachlasses frei zu verfügen,
so daß also hiernach der Pflichtteil
½, ⅔, ¾ der Intestatportion oder ½, ⅓, ¼ etc.
des
Nachlasses beträgt.
Nach dem
Entwurf eines deutschen bürgerlichen
Gesetzbuchs beträgt der Pflichtteil
die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Der Pflichtteilsberechtigte
muß sich in seinen Pflichtteil
alles dasjenige mit einrechnen lassen, was er aus dem
Nachlaß durch den letzten
Willen des
Erblassers
oder bei dessen Lebzeiten mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden
Bedingung erhalten hat, es sich dereinst auf seinen
Erbteil anrechnen zu lassen, wie z. B.
Mitgift, Berufsausstattung, Studienkosten u. dgl.
Übrigens wird auf die
Klage des Pflichtteil
sberechtigten hin nicht das ganze
Testament hinfällig, sondern es wird eben nur
insoweit aufgehoben, als der Pflichtteil
verletzt ist.
Vgl. außer den Lehrbüchern des Privatrechts Francke, Das Recht der Noterben (Götting. 1831);
Schultzenstein, Beitrag zur
Lehre
[* 2] vom Pflichtteil
srecht (2. Ausg., Berl. 1883).