Ovidĭus
Naso, Publius, berühmter röm. Dichter, geb. 43 v. Chr. zu Sulmo im Lande der Peligner, aus altem, begüterten Rittergeschlecht, kam frühzeitig nach Rom, [* 2] wo er nebst seinem Bruder den Unterricht ausgezeichneter Lehrer genoß. Seine Neigung zog ihn zur Dichtkunst hin; doch studierte er auf den Wunsch seines Vaters Beredsamkeit und bekleidete, nach einer Reise in Griechenland [* 3] und Asien [* 4] in den Staatsdienst getreten, mehrere untergeordnete Ämter. Bald aber zog er sich von den öffentlichen Geschäften zurück und führte zu Rom ein der Kunst und den geselligen Vergnügungen gewidmetes Leben, bis er plötzlich 9 v. Chr. von Augustus, zu dessen Haus er durch seine dritte Heirat in nähern Beziehungen stand, aus uns unbekannten, vom Dichter nur dunkel angedeuteten Ursachen nach Tomi, einer Stadt am Schwarzen Meer, verwiesen wurde.
Hier starb er im achten Jahr der
Verbannung, 17
n. Chr. Als Dichter zeichnet sich Ovidius Naso
aus zunächst durch seine Meisterschaft
im Versbau und durch die Leichtigkeit und
Anmut seiner
Darstellung. Tiefe und
Kraft
[* 5] des
Gefühls und der
Gedanken stehen nicht auf gleicher
Höhe; ohne
Stetigkeit springt er von einer
Empfindung zu der entgegengesetzten über,
weil er
sich ganz dem
Eindruck des
Augenblicks überläßt und mehr nach rhetorischen als nach poetischen
Regeln
komponiert.
Dadurch wird er zwar oft witzig und geistreich, oft aber auch leer und nichtssagend. Am meisten entsprach seiner Eigentümlichkeit
die erotische
Elegie. Die bekannteste seiner
Dichtungen sind die
»Metamorphoses«
(»Verwandlungen«) in 15
Büchern, eine kunstvoll
zu einer laufenden
Erzählung geordnete Sammlung griechische und römischer Verwandlungsmythen von der Weltschöpfung aus
dem
Chaos bis auf
Cäsars
Apotheose
(Ausgaben von Gierig, Leipz. 1804-1807, 2 Bde.; 3. Aufl.
von
Jahn, 1821-23;
Bach, Hannov. 1831-36, 2 Bde.;
Baumgarten-Crusius, Leipz. 1835; M.
Haupt, Bd. 1, 6. Aufl., besorgt
von
Korn, Berl. 1878; Bd. 2, 2. Aufl.,
das. 1881;
Magnus, Gotha
[* 6] 1885; übersetzt von
Voß, 2. Aufl., Braunschw. 1829, 2 Bde.;
Tippelskirch, Berl. 1873). Gleichfalls mythologischer und sagenhafter, aber mehr didaktische Art
und in elegischer Form sind die
»Fasti« (»Festkalender«) in 6
Büchern (ursprünglich auf 12, eins für jeden
Monat, angelegt),
worin an die merkwürdigen
Tage und
Feste des römischen
Kalenders
Erzählungen aus der ältern italischen
Mythologie und aus der ältern heimischen Geschichte geknüpft sind (hrsg. unter andern
von Gierig, Leipz. 1812-14;
Merkel, Berl. 1841, und
Peter, 2. Aufl., Leipz. 1883). Als Dichter der sinnlichen
Liebe erscheint
Ovidius Naso
in seinen frühsten Werken, den
»Amores« in 3
Büchern (übersetzt von
Öhlschläger, Leipz. 1880),
in der
»Ars
amatoria«
oder
»Ars amandi« in 3
Büchern und in den »Remedia amoris« (alle drei hrsg.
von L.
Müller, Berl. 1861). Eine eigentümliche
Gattung der elegisch-didaktischen
Poesie schuf Ovidius Naso
gleichfalls in seinen frühern
Jahren in den
»Heroïdes«, d. h. Liebesbriefen von
Heroinen an ihre abwesenden Geliebten und Ehemänner; von den 21 noch vorhandenen
hat jedoch die
Kritik einige für unecht erklärt (hrsg. von Terpstra,
Leiden
[* 7] 1829; Lörs,
Köln
[* 8] 1829-30, 2 Bde., u. Sedlmayer,
Wien
[* 9] 1886; übersetzt von
Metzger, Stuttg. 1855; Lindemann, Leipz. 1867).
Elegien im eigentlichen
Sinn sind die während seines
Aufenthalts in der
Verbannung geschriebenen »Tristia« (»Klagelieder«)
in 5
Büchern (hrsg. von
Jahn, Leipz. 1829;
Merkel, Berl. 1837; Lörs,
Trier
[* 10] 1839) und die »Epistulae ex
Ponto« in 4
Büchern (hrsg. von
Korn, Leipz. 1868). Außerdem sind von ihm erhalten Bruchstücke eines frühern Gedichts:
»Medicamina faciei« (»Verschönerungsmittel
des
Gesichts«),
und der in der Verbannung gedichteten »Halieutica« (von den Fischen im Schwarzen Meer),
endlich
»Ibis«, ein dem
Kallimachos nachgeahmtes Schmähgedicht gegen einen
Unbekannten, gleichfalls aus der
Verbannung. Die von den
Alten sehr gerühmte
Tragödie
»Medea«, ein Jugendwerk, ist verloren. Die wichtigsten Gesamtausgabe von Ovidius Naso'
Werken sind: von
Dan.
Heinsius
(Leid. 1629, 3 Bde.),
Nik.
Heinsius (Amsterd. 1658 u. 1661, 3 Bde.),
Burmann (das. 1727, 4 Bde.),
Jahn (Leipz. 1828-32, 2 Bde.;
unvollendet),
Merkel (das. 1853, 3 Bde.) und
Riese (das. 1872-74, 3 Bde.).
Den
Text mit Übersetzung gab Lindemann (Leipz. 1853-67, 6 Bde.)
heraus. Vollständige deutsche Übersetzungen befinden sich in den Sammlungen von Metzler und
Hoffmann.
Vgl. auch Schönfeld, Ovids Metamorphosen in ihrem Verhältnis zur antiken Kunst (Leipz. 1877).