Nitroglycerīn
(Salpetersäure-Triglycerid,
Trinitrin,
Glonoin,
Nitroleum) C3H5(NO3)3 entsteht bei Einwirkung
konzentrierter
Salpetersäure auf
Glycerin und wird dargestellt, indem man
Glycerin in ein erkaltetes Gemisch
von konzentrierter
Salpetersäure und
Schwefelsäure
[* 2] einfließen läßt und dabei einen
Apparat benutzt, welcher eine energische
Kühlung und die innige Mischung der
Bestandteile durch Einblasen von
Luft gestattet. Das durch viel
Wasser ausgeschiedene Nitroglycerin
wird
gut ausgewaschen, zuletzt mit Sodalösung völlig entsäuert und durch
Filz filtriert. Es bildet ein farbloses,
gewöhnlich gelbes bis bräunliches
Öl vom spez. Gew. 1,6, ist geruchlos, schmeckt brennend
süß, wirkt schon in kleinen
Dosen und selbst bei Einwirkung auf die äußere
Haut
[* 3] giftig.
Das Einatmen des Dampfes erzeugt Kopfweh, es löst sich in Alkohol und Äther, nicht in Wasser, erstarrt bei +8° kristallinisch, schmilzt bei 11°, ist schwer entzündlich, brennt selbst in größern Quantitäten ruhig ab, ist bei vorsichtiger Erwärmung über 100° flüchtig, siedet bei 185° unter Zersetzung und hat dann Neigung zu detonieren; über 250° detoniert es mit großer Heftigkeit, aber auf einer rotglühenden Platte verbrennt ein Tropfen ohne Geräusch.
Ein
Gefäß
[* 4] mit Nitroglycerin
kann an einem
Stein zerschellt werden ohne
Explosion, aber durch kräftigen
Stoß und
Schlag explodiert es
besonders in dünner
Schicht mit furchtbarer
Gewalt.
Größere
Massen kommen zu heftigster
Explosion, wenn
man in denselben eine
geringe
Menge
Knallquecksilber (in einem Kupferhütchen) zur
Detonation bringt. Besonders gefährlich zu
handhaben ist das gefrorne Nitroglycerin.
Reines Nitroglycerin
hält sich lange unverändert; unreines, namentlich saures, Nitroglycerin zersetzt
sich aber beim Aufbewahren und explodiert dann sehr leicht. Bei der
Explosion zerfällt es in
Kohlensäure,
Wasser,
Stickstoff
und
Stickstoffoxydul; durch
Kalilauge wird es in
Glycerin und salpetersaures
Kali zersetzt. Das Nitroglycerin
übertrifft
an explosiver
Kraft
[* 5] das
¶
mehr
Schießpulver
[* 7] bei weitem, weil seine Zersetzung in weit kürzerer Zeit verläuft. Das Verhältnis der größten Pressungen bei
Explosionen im geschlossenen Raum verhält sich etwa wie 100:8, und diesem Verhältnis ist etwa die Sprengwirkung gegen sehr
feste Substanzen proportional, während sich in weichen Substanzen (Erde) das Kraftverhältnis zu gunsten des Schießpulver
ändert. Am auffälligsten aber ist das Übergewicht des Nitroglycerins
bei Sprengungen mit offen liegenden Ladungen. Nitroglycerin
wurde 1847 von
Sobrero entdeckt und 1862 von dem Schweden
[* 8] E. Nobel als Sprengmittel empfohlen (Nobelsches Sprengöl) und fand bald weite Verbreitung.
Vielfache Unglücksfälle bei der Darstellung und Handhabung des Öls
[* 9] führten zu verschiedenen Vorschlägen,
das Präparat für den Transport und die Aufbewahrung unexplodierbar zu machen; auch wurde empfohlen, es am Gebrauchsort jedesmal
frisch in kleinen, nur für einen Tag ausreichenden Quantitäten herzustellen. Es wurde aber vollständig aufgegeben, als Nobel 1864 entdeckte,
daß es, mit porösen Körpern gemischt, Explosivstoffe gibt, welche alle Vorzüge des Nitroglycerins
besitzen,
aber viel weniger gefährlich sind.
Diese neuen Explosivstoffe sind die Dynamite. Man benutzt zur Herstellung des Dynamits gewöhnlich Kieselgur, welche 3 Teile
Nitroglycerin
aufnimmt. Es bildet eine graubraune, geruchlose, fette, teigartige Masse vom spez. Gew. 1,6, explodiert nicht durch
Stoß, verbrennt im offenen Raum oder in der üblichen Verpackung ohne Explosion und zeichnet sich vor Schießpulver
durch große Arbeitsersparnis, große Beschleunigung der Arbeit und Ersparnis von Sprengmaterialkosten aus.
Dynamit ist viermal teurer, leistet aber achtmal mehr als Schießpulver. Man benutzt es in geleimten Papierpatronen und entzündet es mittels Zündschnur und eines auf diese aufgeschobenen und festgekniffenen Patentzündhütchens. Dies versenkt man 3 cm tief in das Dynamit, drückt dann letzteres fest an und schließt die Patrone mit einem Papierstöpsel. Der Besatz wird aus losem Sand hergestellt. Gefrorne Dynamitpatronen sind in der Handhabung sehr gefährlich und explodieren oft beim Herabfallen.
Indem man die Kieselgur durch andre poröse Körper ersetzte, hat man mehrere Sorten von Dynamit hergestellt und unter Zusatz andrer Substanzen zahlreiche Sprengmaterialien erhalten. So ist der Lithofrakteur dem Dynamit ähnlich zusammengesetzt;
Dualin enthält Holzstoff, [* 10] welcher mit Salpeter getränkt oder durch Behandeln mit konzentrierter Salpeter- und Schwefelsäure nitriert worden war;
Coloniapulver besteht aus Nitroglycerin
und gewöhnlichem Sprengpulver, Fulminatin soll statt Kieselgur
Scherwolle enthalten;
Sebastin, Serranin scheinen dualinähnliche Mischungen zu sein etc. Eine eigentümlich zubereitete
Kollodiumwolle (in Äther lösliche Schießbaumwolle) löst sich in Nitroglycerin
und bildet eine gelatine- oder gummiartige Masse, welche
gegen Wasser und mechanische Impulse sehr unempfindlich ist und eine Sprengkraft besitzt, welche die des besten Dynamits und
der komprimierten Schießbaumwolle sehr bedeutend übertrifft.
Dies Präparat kommt als Sprenggelatine zur
Anwendung. Löst man weniger als 7-8 Proz. Schießbaumwolle in Nitroglycerin
, so entsteht ein Sirup, der viel weniger poröses Pulver braucht,
um eine pulverige Masse zu liefern. Auf diese Weise kann man Dynamite herstellen, die das Nitroglycerin
im Wasser und unter
Druck fester halten als das Kieselgurdynamit und in ihrer Wirkungsart sich beliebig modifizieren lassen, so daß man
neben der starken brisanten auch eine schiebende Wirkung erreichen kann.
Die Gelatinedynamite dürften daher das Kieselgurdynamit
mehr und mehr verdrängen. Nitroglycerin
dient auch als Arzneimittel gegen Migräne, hysterische Krämpfe, Schwindel, manche Herzkrankheiten,
Nierenleiden etc.
Vgl. Sprengstoffe und die dort angegebene Litteratur.