Niederlass
ungsvertrag
mit
der
Schweiz.
[* 2] Die
Spannung, welche im
Sommer 1889 namentlich infolge der
Affaire Wohlgemuth (s. d.,
Bd. 17) zwischen dem
Deutschen
Reiche und der
Schweiz (s. d., Bd.
17) eingetreten war, hatte zu einer
Kündigung des Niederlass
ungsvertrags zwischen dem
Deutschen
Reiche
und der schweiz
erischen
Eidgenossenschaft vom seitens des
Reiches geführt. Die in jenem
Vertrag vorgesehene einjährige
Kündigungsfrist lief ab, so daß mit
ebendiesem
Tage zwischen den beiden Nachbarländern
ein vertragsloser Zustand
in Ansehung der Niederlass
ungsverhältnisse eingetreten wäre. Im Zusammenhang mit
dem
Wechsel in der
Person des leitenden Staatsmannes in
Deutschland
[* 3] zeigte sich indessen noch vor
Ablauf
[* 4] der
Frist auf deutscher Seite Geneigtheit
zum
Abschluß eines anderweiten Niederlass
ungsvertrags mit
der
Schweiz, und so kam zwischen dem deutschen
Gesandten
in Bern
[* 5] und dem
Chef des schweiz
erischen
Departements des
Auswärtigen ein diesbezügliches
Abkommen zu stande,
bevor noch eine hierauf gerichtete
Interpellation der freisinnigen
Partei im deutschen
Reichstag zur
Verhandlung gekommen war.
Der neue
Vertrag
(Reichsgesetzblatt, S. 131 ff.), welcher nach erfolgter Zustimmung des
Bundesrats und
Genehmigung des
Reichstags zu
Bern
ratifiziert wurde, entspricht im wesentlichen dem frühern Niederlass
ungsvertrag. Die
Deutschen sind hiernach
wie zuvor in jedem
Kanton
[* 6] der
Eidgenossenschaft in Bezug auf
Person und
Eigentum auf dem nämlichen
Fuße und auf die nämliche
Weife aufzunehmen und zu behandeln, wie es die
Angehörigen der andern
Kantone sind oder noch werden sollen.
Sie können insbesondere in der Schweiz ab- und zuziehen und sich daselbst dauernd oder zeitweilig aushalten, wenn sie den Gesetzen und Polizeiverordnungen nachleben. Jede Art von Gewerbe und Handel, welche den Angehörigen der verschiedenen Kantone erlaubt ist, soll es auf gleiche Weise den Deutschen sein, und zwar ohne daß ihnen eine pekuniäre oder sonstige Mehrleistung auferlegt werden darf. Anderseits sind den Schweizern in Deutschland die nämlichen Rechte und Vorteile zugesichert, wie sie die Deutschen in der Schweiz genießen.
Eine Abänderung des frühern Vertragszustandes ist nur in demjenigen
Punkte eingetreten, welcher durch die Verschiedenheit
der
Auslegung einer frühern Vertragsbestimmung die
Kündigung des
Vertrags vom veranlaßt hatte. Die
deutsche
Regierung hatte nämlich den
Artikel 2 jenes
Vertrags so ausgelegt, daß die schweiz
erische
Regierung verpflichtet sei,
von den in der
Schweiz sich niederlass
enden
Deutschen die Beibringung eines Leumundszeugnisses zu verlangen, während die schweiz
erische
Regierung sich wohl für berechtigt, nicht aber für verpflichtet hielt, die Zustimmung zur Niederlassung
eines
Deutschen
in der
Schweiz von der Beibringung des Leumundszeugnisses abhängig zu machen.
Die nunmehrige Fassung des
Artikels 2 des
Vertrags entspricht der letztern Auffassung: »Um die in dem
Artikel 1 bezeichneten
Rechte beanspruchen zu können, müssen die
Deutschen mit
einem
Zeugnis ihrer Gesandtschaft versehen sein, durch welches bescheinigt
wird, daß der
Inhaber die deutsche
Reichsangehörigkeit besitzt und einen unbescholtenen
Leumund genießt«.
Während früher die Gemeindebehörden jene Zeugnisse ausstellten, ist jetzt die Gesandtschaft für zuständig hierzu erklärt.
Die wichtige staatsrechtliche
Frage endlich, ob die deutsche
Regierung ohne Zustimmung des
Bundesrats und ohne
Genehmigung des
Reichstags den frühern Niederlass
ungsvertrag, welcher unter Mit
wirkung jener beiden
Faktoren abgeschlossen
worden war, überhaupt rechtsgültig habe kündigen können, kam nicht zum Austrag, da noch vor
Ablauf der Kündigungsfrist
ein neuer Niederlass
ungsvertrag mit
Zustimmung des
Bundesrats und
Genehmigung des
Reichstags an die
Stelle des frühern
Vertrags
getreten ist.