Titel
Niebuhr
,
1)
Karsten, Reisender, geb. zu Lüdingworth in der
Landschaft
Hadeln, studierte
zu
Göttingen
[* 2]
Mathematik, wurde 1760 dänischer Ingenieurleutnant und trat 1761 im Auftrag der dänischen
Regierung eine
Reise
nach
Arabien,
Persien
[* 3] und den Nachbarländern an, von der er 1766 zurückkehrte. Seine
»Beschreibung von
Arabien« (Kopenh. 1772)
und
»Reisebeschreibung von
Arabien und andern umliegenden
Ländern« (das. 1774-78, 2 Bde.;
dazu Bd. 3:
»Reisen durch
Syrien und
Palästina«,
[* 4] hrsg. von
Olshausen, das. 1837) sind noch heute klassisch. Niebuhr
gab ferner heraus
den
Nachlaß seines Reisegefährten
Forskal: »Descriptiones animalium etc.« (Kopenh.
1775);
»Flora aegyptiaco-arabica« (das. 1776) und »Icones rerum memorabilium etc.« (das. 1776).
Seit 1808 dänischer Etatsrat in
Meldorf, starb Niebuhr
Sein
Leben beschrieb sein Sohn
Barthold
Georg Niebuhr
(Kiel
[* 5] 1817).
2) Barthold Georg, einer der ausgezeichnetsten Geschichtsforscher der neuern Zeit, Sohn des vorigen, geb. zu Kopenhagen, [* 6] ward zu Meldorf in Süddithmarschen, wohin sein Vater 1778 als Landschreiber versetzt wurde, hauptsächlich durch Privatunterricht vorgebildet, studierte 1794-96 in Kiel, war dann bis 1798 Privatsekretär des Grafen Schimmelmann in Kopenhagen und setzte 1798-99 seine Studien in London [* 7] und Edinburg [* 8] fort. 1800 trat er in dänischen Staatsdienst und ward 1804 Bankdirektor, begab sich aber 1806 auf Einladung des Ministers vom Stein in preußischen Staatsdienst. In diesem wurde er während der nächstfolgenden, für den preußischen Staat bedrängnisvollen Jahre mit dem Titel Geheimer Staatsrat zu verschiedenen außerordentlichen Geschäften, hauptsächlich finanzielle Art, verwendet, hielt dann, wegen eines Zerwürfnisse mit Hardenberg auf einige Zeit von den öffentlichen Geschäften entbunden, 1810-1812 Vorlesungen über die römische Geschichte an der neuerrichteten Berliner [* 9] Universität, leistete seit 1813 wieder dem Staat seine praktischen Dienste [* 10] und wurde 1816 als Gesandter zu Unterhandlungen mit der päpstlichen Kurie nach Rom [* 11] geschickt.
Nachdem er hier 1821 die Vereinbarung, deren Ergebnis die
Bulle
»De salute animarum« war, zu stande gebracht hatte, in welcher
er, die hierarchischen
Pläne der
Kurie unterschätzend, dieser allzu große Zugeständnisse einräumte,
bat er 1823 um seine Entlassung und lebte nun mit geringen
Unterbrechungen in
Bonn,
[* 12] wo er, der
Universität »frei verbunden«,
mit dem größten Beifall Vorlesungen hauptsächlich über die alte Geschichte, aber auch über die Geschichte der neuesten
Zeit hielt. Er starb Niebuhr
verband mit einer außerordentlichen
Gelehrsamkeit (sein
Vater hat einmal 20
Sprachen
aufgezählt, die er verstand, darunter die arabische, persische,
russische, slawonische) einen tief eindringenden
Scharfsinn
und eine schöpferische
Phantasie; er hat sich hierdurch und durch seine
Gewissenhaftigkeit und unbestechliche Wahrheitsliebe
in allen seinen amtlichen
Stellungen eine große
Anerkennung erworben; ein bleibenderer
Ruhm aber knüpft
sich an seine schriftstellerischen Leistungen.
Sein Hauptwerk ist seine aus jenen in Berlin [* 13] gehaltenen Vorlesungen hervorgegangene »Römische [* 14] Geschichte« (Berl. 1811-32, 3 Bde.; Bd. 1, 4. Aufl. 1833; Ausg. in 1 Bd., 1853; neue Ausg. von Isler, das. 1873-74, 3 Bde.), die ältere Geschichte bis zum ersten Punischen Krieg einschließlich umfassend, worin er hauptsächlich durch die Kritik der Quellen und durch Kombination aus den Trümmern der Überlieferung ein deutsches Bild von der Entwickelung des römischen Volkes in dieser Zeit herzustellen sucht, ein Werk, dessen Resultate sich zwar im einzelnen vielfach als nicht haltbar erwiesen haben, welches aber viele wesentliche Grundwahrheiten der römischen Geschichte festgestellt hat und durch seine Methode für die Geschichtsforschung überhaupt bahnbrechend geworden ist.
Außerdem hat er der Wissenschaft durch zahlreiche Abhandlungen historischen und philologischen Inhalts (Sammlung derselben, Bd. 1, Bonn 1828; Bd. 2, das. 1843), durch die Entdeckung und Entzifferung verloren gegangener Schriftwerke des Altertums (des Gajus, der Fragmente des Cicero und des Merobaudes), durch seine Beiträge zu der »Beschreibung Roms« (Stuttg. 1830 ff., 4 Bde.),
durch die Anregung zur Gründung des »Rheinischen Museums« und zur Herausgabe der Byzantiner und durch seine Beteiligung bei beiden Unternehmungen wesentliche Dienste geleistet. Seine politischen und staatswirtschaftlichen Schriften, in denen er sich überall als warmen Freund der Freiheit, aber als Gegner künstlicher, nicht aus einer geschichtlichen Entwickelung hervorgegangener Konstitutionen zeigt, sind großenteils in der Sammlung seiner »Nachgelassenen Schriften nichtphilologischen Inhalts« (Hamb. 1842) erschienen. Seine in Bonn gehaltenen Vorträge über römische Geschichte (Berl. 1846-48, 3 Bde.), über alte Geschichte mit Ausschluß der römischen (das. 1847-51, 3 Bde.), über alte Länder- und Völkerkunde (das. 1851), über römische Altertümer (das. 1858) und über das Zeitalter der französischen Revolution (Hamb. 1845) sind aus nachgeschriebenen Heften herausgegeben worden.
Vgl. »Lebensnachrichten über B. G. Niebuhr
, aus
Briefen desselben und aus
Erinnerungen einiger seiner nächsten
Freunde« (von
Dorothea
Hensler, Hamb. 1838-39, 3 Bde.);
Classen, B. G. Niebuhr
, eine Gedächtnisschrift (Gotha
[* 15] 1876);
Eyssenhardt, B. G. Niebuhr
(das. 1886).
3)
Markus Carsten
Nikolaus von, Sohn des vorigen, geb. zu
Rom, studierte in
Kiel,
Bonn,
Halle
[* 16] und
Berlin die
Rechte, ward 1850
Regierungsrat, 1854 Kabinettsrat des
Königs von
Preußen
[* 17] und
Staatsrat und 1855 geadelt; da der berüchtigte
Depeschendiebstahl (1855) hauptsächlich geheime
Papiere betraf, die Niebuhr
anvertraut gewesen, ward sein
Gemüt so erschüttert,
daß er 1857 in eine
Geisteskrankheit verfiel und in Oberweiler bei
Badenweiler starb. Er ist
litterarisch besonders durch seine »Geschichte
Assurs und
Babels« (Berl. 1858) bekannt. Als eifriger Verfechter der Adelspartei
und der
Orthodoxie redigierte er von 1848 bis 1849 den
»Magdeburger
Korrespondenten«.