Necker
,
Jacques, franz. Staatsmann, geb. zu Genf, [* 3] wo sein Vater, eingeborner Brandenburger, Professor des Staatsrechts war, erlernte die Handlung, trat 1750 in das Bankgeschäft Vernet zu Paris [* 4] und ward bald Teilhaber an demselben, welches während des Siebenjährigen Kriegs glänzenden Gewinn brachte. Als er 1762 von dem Geschäft zurücktrat, hatte er bereits ein Vermögen von gegen 6 Mill. Frank erworben, womit er gemeinschaftlich mit Thelusson ein großes Bankgeschäft gründete. 1768 ward er zum Ministerresidenten seiner Vaterstadt bei dem französischen Hof [* 5] ernannt und Syndikus der Ostindidischen Kompanie, in deren Interesse er 1769 sein Werk über das Merkantilsystem schrieb.
Dem Staatsschatz kam er wiederholt mit seinem Reichtum und seinem Kredit zu Hilfe. Sein Haus war der Sammelpunkt einer gewählten, geistreichen Gesellschaft. 1772 zog er sich von dem Bankgeschäft zurück, lenkte aber durch seine von der Akademie gekrönte Lobrede auf Colbert (»Éloge de Colbert«, Par. 1778; deutsch, Dresd. 1786),
die sich durch Würde des Stils und leichtfaßliche Behandlung der wichtigsten Fragen der Nationalökonomie auszeichnete, sowie den »Essai sur la législation et le commerce de grains« (Par. 1775, neue Ausg. 1848; deutsch, Dresd. 1777), worin er gegen die Physiokraten auftrat, die öffentliche Aufmerksamkeit so auf sich, daß ihn Ludwig XVI. im Juli 1776 zum Finanzrat ernannte und, obwohl er als Protestant keine Stimme im Staatsrat haben konnte, im Juni 1777 als Generaldirektor des königlichen Schatzes an die Spitze der Finanzen stellte.
Uneigennützig, wohlwollend und gewandt, hatte Necker
doch nicht die
Eigenschaft eines schöpferischen Staatsmanns; seine
Eitelkeit
hinderte ihn oft an der richtigen
Erkenntnis der
Dinge. Zunächst suchte er nur als guter
Bankier zu wirtschaften
und das
Defizit durch
Anleihen, diese
Schulden durch neue
Schulden zu decken.
Sein unbegrenzter
Kredit in der Geschäftswelt und
seine Geschicklichkeit als Börsenmann bewirkten, daß er die
Anleihen zu billigen
Bedingungen erhielt und 1770-80 über 500 Mill.
neue
Schulden machte, was
Frankreich die
Teilnahme am
Krieg in
Nordamerika
[* 6] nicht wenig erleichterte und Necker
Dank
und
Lob auch von seiten des
Hofs eintrug. Allerdings setzte er auch einige Ersparungen durch, beseitigte die Generaleinnahmen
und 1780: 400 königliche Hofstellen, errichtete 1777 eine
Diskontobank und ein
Leihhaus
(Mont de piété) in
Paris, ordnete
und vereinfachte die Finanzverwaltung, wußte jedoch schließlich auch kein andres
Mittel der Besserung
als die
Reformen
Turgots, und als er endlich in seinem
»Compte rendu au roi« (Par. 1781; deutsch, Berl. 1787) den
Zustand der
Finanzen, namentlich die
Verschwendung des
Hofs, rücksichtslos aufdeckte und diesen
Bericht drucken ließ, darauf,
heftig angegriffen, als
Anerkennung seiner bisherigen Leistungen den
Eintritt ins Ministerkonseil beanspruchte,
erhielt er vom König plötzlich seine Entlassung. Er zog sich zunächst nach St.-Ouen zurück und begab sich 1784 in
die
Schweiz,
[* 7] wo er in der
Nähe von Genf
die Herrschaft
Coppet erwarb.
Von hier aus schrieb er zur
Rechtfertigung seiner öffentlichen Thätigkeit die
Schrift »L'administration
des finances«
(Lausanne
[* 8] 1784; deutsch,
Lübeck
[* 9] 1785, 3 Bde.), und als
Calonne 1787 die bald wieder eingetretene Zerrüttung
der
Finanzen Neckers
Verwaltung zuschrieb, begab sich dieser selbst nach
Paris, widerlegte die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen
durch eine treffliche
Denkschrift (1787) und geißelte hierauf, aus
Paris ausgewiesen, in den »Nouveaux
éclaircissements für le
Compte rendu« (1788) die
Verwaltung
Calonnes auf das schonungsloseste. In die Zeit seiner Zurückgezogenheit
fällt auch die Abfassung des beachtungswerten Werkes »für l'importance des opinions
religieuses« (Par. 1788; deutsch von Ströhlin, Stuttg. 1788),
worin sowie indem später erschienenen
»Cours de morale religieuse« (Par. 1800, 3 Bde.)
er die
Religion als die Grundlage der menschlichen
Gesellschaft darzustellen suchte. Am trat Necker
, von der öffentlichen
Meinung als der Retter aus der Notlage bezeichnet, mit dem
Titel eines Generaldirektors der
Finanzen von neuem in den
Staatsdienst
ein und steigerte seine
Popularität noch dadurch, daß er sich für die Einberufung der
Generalstaaten
erklärte. Er eröffnete die
Generalstaaten mit einer dreistündigen
Rede, in welcher er die wirkliche
Lage der
Finanzen
verhüllte und nur ein
Defizit von 56 Mill. angab. Vergeblich versuchte Necker
durch die in der königlichen
Sitzung vom 23. Juni verheißenen
Reformen den dritten
Stand zur Nachgiebigkeit gegen den
Hof zu bewegen. Dieser entschloß sich zu einem
Staatsstreich, und Necker
erhielt seine
Entlassung mit der Weisung, insgeheim
Frankreich sofort zu verlassen,
¶
mehr
worauf er sich über Brüssel
[* 11] nach seinem Landgut Coppet begab. Das Bekanntwerden dieses Schrittes der Hofpartei führte den
Aufstand in Paris (12. und 13. Juli) und die Erstürmung der Bastille (14. Juli) herbei, infolgedessen sich der König genötigt sah,
den verabschiedeten Minister zurückberufen. Als Necker
nach langem Zögern nach Paris zurückkehrte, glich
seine Reise einem Triumphzug. Es gelang ihm jedoch nicht, nach dem Vorbild der englischen Verfassung ein Zweikammersystem einzuführen.
Unsicher hin- und herschwankend, verlor er allen Einfluß und ward zuletzt fast gar nicht mehr beachtet. Als sein Plan zu einer
Anleihe an der Ungefügigkeit der Deputierten scheiterte und Mirabeau die Krëierung der Assignaten durchsetzte,
forderte und erhielt Necker
im September 1790 seine Entlassung, vom Pöbel verhöhnt und bedroht. Von der Schweiz aus die politischen
Bewegungen in Frankreich aufmerksam verfolgend, beleuchtet er unter anderm die Fehler der Konstitution in seinen Schriften: »Sur
l'administration de M. Necker
, par lui-même« (Par. 1791; deutsch,
Hildburgh. 1792) und »Du pouvoir exécutif dans les grands États« (Par. 1772; deutsch, Nürnb. 1793, 2 Bde.)
mit großer Schärfe.
Seine »Réflexions présentées à la nation française« (Par. 1792; deutsch, Passau
[* 12] 1793) zur Verteidigung Ludwigs XVI. hatten
für Necker
die Einziehung seiner Güter zur Folge. Nach dem Sturz des Konvents trat er mit seiner trefflichen
Schilderung der französischen Revolution (»De la Révolution française«, Par. 1796, 4 Bde.;
deutsch, Zürich
[* 13] 1797, 2 Bde.) hervor. Die Machinationen des Ersten Konsuls veranlaßten Necker
zur Darlegung der Grundsätze der wahren
Republik in der gehaltreichen Schrift »Les dernières vues de politique et des finances«
(Par. 1802). Er starb auf seinem Landgut Coppet. Seine Tochter war die berühmte Frau v. Staël-Holstein (s. d.). Seine
»Œuvres complètes« erschienen Paris 1821-22, 17 Bde.
Vgl. Madame de Staël, Neckers
Charakter und Privatleben (deutsch, Rost.
1805);
Nourrisson, Trois révolutionnaires: Turgot, Necker
, Bailly (2. Aufl., Par. 1886).
Neckers
Gemahlin Susanne, geborne Curchod de la Nasse, geb. 1739 zu Crassier im Waadtland als Tochter
eines unbemittelten protestantischen Geistlichen, lernte als Erzieherin in Paris Necker
dort kennen und verheiratete sich 1764 mit
ihm. Ihr Haus wurde bald der Sammelplatz der bedeutendsten Männer ihrer Zeit. Als Necker
Generaldirektor der Finanzen geworden
war, wandte sie ihre Sorgfalt insbesondere dem Gefängnis- und Hospitalwesen zu und gründete 1778 ein Hospital in Paris, das
noch heute ihren Namen trägt. Später wandte sie sich der Schriftstellerei zu und starb im Mai 1794 in Coppet. Ihr »Mémoire
sur l'établissement des hospices« und die Abhandlung »Des inhumations
précipitées« (1790) sowie die »Réflexions sur le divorce« (Lausanne 1794, Par. 1881) bekunden die edelsten
Grundsätze.
Die nach ihrem Tod von ihrem Gatten herausgegebenen »Mélanges extraits des manuscrits de Madame Necker« (Par. 1798, 3 Bde.; deutsch, Chemn. 1799-1800, 2 Bde.) und die »Nouveaux mélanges« (Par. 1801, 3 Bde.; deutsch, Gieß. 1804, 2 Bde.) enthalten viele beachtenswerte Aufschlüsse über das geistige und gesellschaftliche Leben in jener stürmischen Zeit. Ihr Leben beschrieb Aug. de Staël-Holstein (Par. 1820; deutsch in den »Zeitgenossen«, Bd. 1, Leipz. 1821).
Vgl. Haussonville, Le [* 14] Salon de Madame Necker (Par. 1882).