Messen
(Handelsmessen),
Märkte, welche sich von den gewöhnlichen
Jahrmärkten nur durch ihren größern
Umfang, längere
Dauer und größere Zahl der Besucher unterscheiden. Einen gesetzlichen Unterschied zwischen beiden kennt
die deutsche
Gewerbeordnung nicht. Dieselben sind bei wenig entwickeltem
Verkehr unentbehrliche Sammelpunkte von
Angebot und
Nachfrage, welche eine vollständigere Übersicht über
Bedarf und Vorrat gewähren, größern
Absatz und sicherere
Deckung mannigfaltiger
Bedarfe ermöglichen. In Mitteleuropa gaben den ersten
Anlaß zur Entstehung von Messen
wohlbefestigte
Lager
[* 2] der
Römer
[* 3] nach der
Okkupation von
Frankreich und
Deutschland
[* 4] und später der deutschen
Heerführer nach Unterwerfung der wendischen
und slawischen
Stämme im östlichen
Deutschland. Die meisten Messen
sind im Anschluß an kirchliche
Feste entstanden, welche große
Menschenmengen und mit diesen viele Handelsleute herbeizogen. So erwuchs besonders um größere
Kirchen
ein vollständiger Marktverkehr. Der deutsche
Name
Messe sowie das Ein- und Ausläuten der Messen
erinnern an die Entstehung dieser
Märkte aus der kirchlichen
Messe. Im mohammedanischen
Orient
¶
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sind noch jetzt die heiligen Städte, wie Mekka mit seiner Kaaba in Arabien, Hardwar in Ostindien,
[* 6] als Zielpunkte großer Wallfahrten
auch gleichzeitig Hauptpunkte des Marktverkehrs. Da die Messen
nicht allein gemeinnützig waren, sondern auch dem
Landesherrn reiche Einnahmen erbrachten, so suchte man dieselben durch verschiedene Verordnungen und Veranstaltungen, welche
den Meßverkehr sicherten, erleichterten und regelten, besonders zu heben. Man setzte die Zahl der Verkaufsläden
fest, damit die Verkäufer, nicht durch eine zu große Konkurrenz gedrückt, ihre Rechnung finden könnten, und bewilligte
den Meßbesuchern gewisse Freiheiten (Meßfreiheiten).
Nun war in den frühern Zeiten des Mittelalters bei mangelhaften Transportanstalten, großer Unsicherheit des Verkehrs, ungenügender Rechtspflege für die Bedürfnisse des Handels noch sehr wenig gesorgt; daher mußten die an den Orten eines regen Verkehrs begründet und mit wichtigen Freiheiten ausgestattet, schnell Zentralpunkte des Handels werden. Die Regierungen verliehen den Meßplätzen gewisse Vorrechte (Meßprivilegien), die entweder bleibend oder auf die Meßzeit beschränkt waren, z. B. das Recht der Warenniederlage (Zwang zur Benutzung der städtischen Speicher gegen eine Abgabe), das Münzrecht, das Zollerhebungsrecht, das Geleit (Schutz der Reisenden gegen eine Abgabe), freien Handel während der Meßzeit (Befreiung von dem sonst geltenden Innungszwang), Veranstaltung von Lustbarkeiten aller Art, zeitweilige Gestattung sonst verbotener Spiele etc. Ferner wurden gewährt: gänzlicher oder teilweiser Erlaß von Zöllen sowie von lokalen Abgaben und Lasten, Befreiung der Handeltreibenden und ihrer Waren vom Arrest bis zum Zahltag, sicheres Geleit und die Errichtung eines eignen Meßgerichts, welches in allen zwischen den Meßbesuchern entstandenen Rechtsstreitigkeiten nach dem Meßrecht ohne die üblichen Formalitäten mit beschleunigtem Verfahren entschied.
Die Gesamtheit der die Messe betreffenden Verfügungen bildet die Meßordnung. Die Zeit der Abhaltung der Messen
richtete sich
nach dem Klima
[* 7] (Benutzbarkeit von Land- und Wasserstraßen) und nach den Produktionsverhältnissen (Ernte)
[* 8] des Landes. Bezüglich
der Meßzeit selbst sind zu unterscheiden die für die eigentlichen Meßgeschäfte bestimmten Meßtage und die
zur Abrechnung und zur Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeiten festgestellten Zahltage. Die größern Messen
haben ihre
eigentliche Meßwoche und ihre eigne Zahlwoche, letztere aber meist mit einem bestimmten Zahltag oder sogen. Skontro.
Gewöhnlich werden jedoch schon vor dem Eintritt der Meßwoche, oft in der gar nicht zur Messe gehörigen Vorwoche, die
wichtigsten Geschäfte des Großhandels abgeschlossen, weil sich die Einkäufer in der Auswahl aus den Vorräten zuvorkommen
wollen. Nicht alle in der laufenden Messe entstandenen Schuldverpflichtungen werden auch während der Dauer derselben erledigt,
vielmehr erfolgen viele Käufe auf Kredit mit Fälligkeit der Zahlung in der nächsten oder einer der nächsten Messen.
Schon
frühzeitig wurden auf vielen Messen
Geschäfte auf Lieferung nach Proben und mit Zahlfrist bis zur nächsten Messe abgeschlossen;
ja, einige Messen
, wie im 16. Jahrh. die zu Lyon,
[* 9] Besançon,
[* 10] Medina del Campo und Piacenza, nahmen vorwiegend den Charakter von Abrechnungstagen
an. Zahlung und Einkassierung von Meßwechseln vereinigten sich in den Händen von wenigen Bankiers.
Infolgedessen dienten auch die Messen
in ähnlicher Weise zur Ausgleichung gegenseitiger Forderungen wie die heutigen Clearinghouses.
Während die Messen
mit wirklicher
Warenzufuhr in Ländern mit mangelhaften Transportmitteln noch heute von großer Wichtigkeit
sind (wie die zu Kiachta, zu Nishnij Nowgorod), haben sie in andern mit zunehmender Entwickelung und Sicherheit
des Verkehrs ihre alte Bedeutung mehr und mehr eingebüßt, oder sie behaupten sich mit Erfolg nur noch dadurch, daß sie
mehr und mehr den Charakter von Gewerbeausstellungen und Musterlagern annehmen, welche Gelegenheit zu reicherer Auswahl von
Neuem, zur Annahme von Bestellungen und zu Abrechnungen bieten.
Dagegen haben die Spezialmärkte mit ihrem heutigen großen Umfang vielfach den Charakter der Messen
angenommen,
insbesondere für solche Güter, welche, wie Vieh, Pferde,
[* 11] dann auch mancherlei Rohstoffe, einen persönlichen Verkehr erfordern.
So ist die Leipziger Messe ein wichtiger Markt für die Rauchwaren geblieben, von denen oft in einer Messe für 6-9
Mill. Mk. umgesetzt werden. Eine hervorragende Stelle nimmt ferner die Tuchmesse in Augsburg
[* 12] für wollene und halbwollene Stoffe
ein.
Die wichtigsten deutschen Messen
sind diejenigen in Leipzig
[* 13] (Oster- und Michaelismesse), dann die Messen in Frankfurt
[* 14] a. M. (Frühjahrs-
und Herbstmesse), welche aber neuerlich bedeutend gesunken sind, ferner die Messen in Frankfurt a. O. (Margareten-,
Reminiscere- und Martinimesse), deren Hauptverkehr nach dem Osten (Polen, Ost- und Westpreußen,
[* 15] Schlesien
[* 16] und Pommern)
[* 17] gerichtet
ist. Auch sie haben neuerlich an Frequenz sehr abgenommen. Dasselbe gilt von den jetzt wenig erheblichen Braunschweiger Messen (Lichtmesse
und Laurentiusmesse).
Die übrigen in Deutschland noch bestehenden Messen sind nur noch als Jahrmärkte zu betrachten. Nur der »Umschlag« in Kiel [* 18] mag noch eine Erwähnung verdienen, weil er zugleich eine Geldmesse für den Umsatz von Hypothekenkapitalien ist. Von den außerdeutschen Messen in Europa [* 19] sind besonders wichtig: diejenigen von Basel [* 20] in der Schweiz; [* 21]
Pest und Debreczin [* 22] in Ungarn; [* 23]
Sinigaglia, Alessandria und Bergamo (Seide) [* 24] im Königreich Italien; [* 25]
Beaucaire, die wichtigste französische, ehemals ungleich bedeutender;
Nishnij Nowgorod, Irbit, Poltawa und Charkow in Rußland, deren Besucher zum großen Teil aus dem Innern Asiens kommen;
ferner Usundschowa und Tultscha in der Türkei. [* 26]
Von den außereuropäischen Messen sind vorzüglich zu nennen: diejenigen von Tanta in Oberägypten, Kiachta im südlichen Sibirien, Mekka in Arabien und Hardwar in Hindostan. Über die Buchhändlermesse in Leipzig s. Buchhandel.
Vgl. Philippi, Beiträge zur Geschichte und Statistik der deutschen Messen (Frankf. a. O. 1857);