Mahâbhârata
(»der große Kampf der Bhârata«),
Titel eines von den Hindu Vorderindiens hochverehrten Heldengedichts, dem Inhalt nach mehr eine Encyklopädie der Mythologie, der Sagen und der Philosophie der arischen Inder als die Erzählung einer bestimmten Begebenheit. Letztere bildet nur den Rahmen, in welchen die übrigen Teile als Erzählungen und Abhandlungen eingefügt sind. Als Verfasser des aus etwa 100,000 Doppelversen (Sloka) bestehenden Gedichts wird Wyâsa genannt, ein Name, der aber nichts weiter als »Ordner« bedeutet.
Man kann wenigstens eine dreimalige, jedesmal erweiternde Redaktion des Gedichts unterscheiden; die dem Wyâsa zugeschriebene Fassung soll nur 24,000 Doppelverse enthalten haben. Mehrere Teile sind gewiß erst nach den Zügen Alexanders entstanden; die letzte Überarbeitung scheint kurz nach der Zeit Açokas zu fallen, wie das Vorkommen späterer Götter und die antibuddhistische Tendenz mehrerer Teile beweist; indessen sind auch später noch einzelne Stücke, z. B. die Bhagavad-Gitâ (s. d.), hinzugefügt worden.
Den mythischen Inhalt des Epos bildet der Thronfolgestreit zwischen den Söhnen zweier Brüder, Pându und Dhritarâschtra (beide vom Bharatastamm). Der erstere hat fünf Söhne, die jedoch nicht er, sondern Gottheiten mit seiner Frau gezeugt hatten; 100 zählt Dhritarâschtra, der ältere, aber blinde Bruder. Die Söhne Pândus, die Pândava, werden als gutmütig, gemäßigt im Zorn und gerecht, dagegen die Dhritarâschtras, die Kaurava, als anmaßend, neidisch und böswillig geschildert.
Das 1. Buch berichtet die Genealogie und Jugendzeit der Helden sowie die Eifersucht der Kauraven auf die Pândusöhne; letztere sollen heimlich durch Feueranlegen an ihren Palast aus der Welt geschafft werden, entkommen zwar auf unterirdischen Gängen, lassen jedoch die Nachricht ihres Unterganges verbreiten, während sie sich in die Wälder zurückziehen und hier als Einsiedler leben. In die Öffentlichkeit treten sie im 2. Buch bei der Werbung um die schöne Draupada, wobei sie im Bogenspannen alle übrigen Bewerber, darunter auch ihre Vettern, übertreffen und die Draupada gewinnen.
Dhritarâschtra beschließt nun, das Reich mit Pândus Söhnen zu teilen, was auch geschieht. Aufs neue erregt den Argwohn der Kaurava der Umstand, daß sich Judhischthira, der älteste der Pândaven, nach vielfachen Verheerungen der Nachbarreiche als Großkönig krönen läßt. Während der Festlichkeiten bei diesem Anlaß bringen die Söhne Dhritarâschtras ein Würfelspiel in Vorschlag; Judhischthira, ein leidenschaftlicher Spieler, verliert seinen Palast, sein Königreich, sein Weib, seine Brüder, zuletzt seine eigne Freiheit.
Auf Bitten Draupadas werden zwar die Pândusöhne freigegeben; allein Judhischthira wagt sich noch einmal an das Spiel, und da er wiederum verliert, wird er mit seinen Brüdern zu einem Exil von zwölf Jahren verurteilt. Das 3. Buch füllt die Beschreibung des Aufenthalts der Brüder in der Einsamkeit; das 4. beschreibt ihre Abenteuer im 13. Jahr und ihre Leistungen im Dienste [* 3] des Königs Wirata, dem sie sich gegen Ende des Jahrs zu erkennen geben; dieser wird ihr Verbündeter zur Wiedergewinnung ihres Reichs.
Das 5. Buch zählt die beiderseitigen Vorbereitungen zum Krieg auf und beschreibt die einzelnen Verbündeten; das 6. bis 9. Buch sind ausführlicher Schilderung der Kämpfe gewidmet. Einige dieser Erzählungen sind fast homerisch, im ganzen aber wird das Interesse durch Wiederholungen und schwülstige Breite [* 4] beeinträchtigt. Nur wenige Führer entkommen dem Gemetzel in diesen Schlachten, [* 5] die Pândusöhne behalten die Oberhand; ein nächtlicher Überfall, der im 10. Buch breit behandelt wird, mißlingt.
Das kurze 11.
Buch besingt den
Schmerz Dhritarâschtras und der
Witwen; das 12. ergeht sich in ermüdender
Breite über die
Pflichten
der
Könige, den Nutzen guter Werke und die
Mittel, um endliche
Erlösung von der
Notwendigkeit der
Existenz
zu erreichen. Ebenso breit behandelt das 13.
Buch die Kastenvorschriften und ist, wie das vorhergehende, reich an Einschiebseln
und
Erzählungen. Im 14.-18.
Buch erfolgt darauf die Schilderung des Roßopfers, das Judhischthira zum
Beweis seiner
Oberhoheit
vollzieht, der
Rückzug und
Tod Dhritarâschtras, sodann die
Thronentsagung Judhischthiras' und seine und
der
Brüder Rückkehr in die einsamen
Thäler des
Himalaja, endlich seine
Aufnahme in den
Himmel
[* 6] und Rückkehr in die
Gottheit
(Krischna), welche in ihm und seinen
Brüdern menschliche Form angenommen hatte. Eine Art
Supplement mit dem besondern
Titel:
»Harivamça«, das sich hauptsächlich mit den Thaten des
Gottes
Krischna befaßt und reich an mystischen
Abhandlungen, an mythologischen und sagenhaften
Überlieferungen ist, bildet den
Schluß des Ganzen. - Der
Text des Mahâbhârata
wurde
zu
Kalkutta
[* 7] 1834-39 gedruckt auf Anregung des
Komitees für Volkserziehung und füllt vier starke Foliobände und einen Registerband;
eine vollständige, in philologischer Beziehung häufig fehlerhafte Übersetzung gab der
Franzose
Hippolyte
Fauche: »Le
[* 8] Mahâ-Bhârata traduit complètement pour la première fois«,
in 10
Bänden ( Par. 1863-70). Einzelne
Episoden sind mehrfach herausgegeben und übersetzt worden; so die
Episode von
Nalas
(s. d.), von der
Sündflut von
Bopp (Ausg. u. Übers., Berl. 1829),
vom
Raub der Draupadî (übers. von Fertig, Würzb. 1841), von Sâwitrî
(übers. von
Merkel, Aschaffenb. 1839), das Hariwamça (von Langlois, Par.
1834), die
Bhagavad-Gitâ (s. d.).
Vgl. Foucaux, Le Mahâbhârata
Onze épisodes traduits en français (Par. 1862), und A.
Holtzmann,
Indische
Sagen (2. Aufl., Stuttg. 1854, 2 Bde.),
worin der
Versuch gemacht wird, die ursprünglichste Gestalt des
Epos zu gewinnen.
Grundlegend waren die
Untersuchungen von
Lassen (»Beiträge zur
Kunde des indischen
Altertums aus dem Mahâbhârata«
in der
»Zeitschrift für die
Kunde des
Morgenlandes«,
Bd. 1-3).
Vgl. ferner H. Wilson, Essays on the religion of the Hindoos, Bd. 1 (Lond. 1862);
Williams, Indian epic poetry (das. 1863);
Wheeler, The vedic period and the Mahâbhârata
(das. 1867);
Lassen, Indische Altertumskunde, Bd. 2 (2. Aufl. 1874).