Medelserthal
oder Val Medel (Kt. Graubünden, Bez. Vorderrhein). So heisst das erste grössere rechtsseitige Seitenthal des Vorderrheinthals, das von Disentis sw. gegen den Lukmanierpass ansteigt, bis zu dem es eine Länge von etwa 16 km hat. Von Santa Maria, etwa 1,5 km unterhalb der Passhöhe, steigt aber ein anderer Thalarm, das Val Termine, sw. empor zum Passo del Uomo (2212 m), der ins tessinische Val Piora und nach Airolo hinüberführt. Davon zweigt 2 km sw. Santa Maria wiederum das Val Cadlimo ab, das w. zur Bocca di Cadlimo und zur Punta Nera zieht.
Die ganze Thallänge von der Mündung bei
Disentis bis zur
Bocca di Cadlimo beträgt etwa 25 km, das ganze Flussgebiet 128 km2.
Davon gehören aber
Val Termine und
Val Cadlimo nicht zu Graubünden,
sondern zum Kanton Tessin,
da die Grenze von der
Höhe des Lukmanierpasses quer
durch das Thal nach dem
Piz Rondadura geht. Der Name Medelserthal
wird gewöhnlich nur für den bündnerischen Teil des
Thals
(bis zum
Lukmanier) gebraucht, während der Name
Medelserrhein oder Reno di
Medel für den gesamten Flusslauf
vom
Hintergrund des
Val Cadlimo bis zur Mündung bei
Disentis gilt.
Das ganze Thal ist von mächtigen Gebirgen eingeschlossen. Links erhebt sich die Kette des Piz Rondadura (3019 m) und Piz Ganneretsch (3043 m) mit zahlreichen hübschen Felspyramiden und beträchtlichen Terrassengletschern namentlich um die beiden Hauptgipfel herum. Das n. Ende dieser Kette senkt sich mit sanfterem Rücken und breiten Rasenhängen nach der Thalgabel bei Disentis. Rechts des Thals steigt die breite und reich gegliederte Medelsergruppe bis zu 3200 m an. Durch die Fuorcla de Lavaz und die Fuorcla de Valesa zerfällt diese in drei von S. nach N. aufeinander folgende Stücke.
Das südlichste Stück ist natürlich das höchste und gletscherreichste. Hier gehören
Piz Medel (3203 m),
Piz
Camadra (3175
m),
Piz d'Ufiern (3153 m) und
Piz Cristallina (3129 m), sowie der mächtige Medelsergletscher mit seinen nach unten strebenden
Lappen und Zungen
(Glatsché de Plattas u.
Glatsché davos la Buora) dem Gebiet des Medelserthales
an,
während andere Gipfel und
Gletscher auf das Gebiet des
Val Somvix übergreifen. Im mittleren Stück ragen auf der Medelser
Seite der
Piz Caschleglia (2937 m) und der
Piz Cazirauns (2929 m) hervor, im nördl. Stück der
Piz Muraun
(2899 m) und die breite Masse der nach N. steil abgebrochenen
La Garvera (2371 m), ein leicht zu erreichender prächtiger
Aussichtspunkt. In die Gebirgsmasse der Medelser Gruppe schneiden die zwei einzigen etwas bedeutenderen Seitenarme des Medelserthales
ein: das
Val
Plattas bei
Curaglia und das
Val Cristallina bei Perdatsch.
Jenes hat nahe an seinem Ausgang auf sonnigen Terrassen noch die zwei kleinen Bergdörfchen
Soliva (1480 m) und
Biscuolm (1544
m). Sonst sind beide Aeste reine
Alpthäler ohne ständige Bevölkerung. Dasselbe gilt vom Medelserthal
selbst von Perdatsch
an aufwärts. Den Raum zwischen dem obern
Val
Medel und dem
Val Cristallina füllt eine dritte Gebirgsgruppe
aus, nämlich die des gewaltigen, ebenfalls vergletscherten
Piz
Scopi (3200 m), einer ungemein trotzigen, steilen Pyramide,
die das eigentliche Wahrzeichen des
Val
Medel ist und von diesem aus mit seinen Riesenwänden überall in die
Augen springt.
Der
Scopi ist zugleich einer der ersten Aussichtspunkte des Bündner
Oberlandes und kann vom
Hospiz
Santa Maria
(1842 m) zwar etwas mühsam, aber ohne Gefahr in etwa 5 Stunden bestiegen werden. Das Medelserthal
steigt in mehreren Stufen
an und zeigt einen reichen
Wechsel landschaftlicher Szenerien. Sein Ausgang erfolgt durch eine enge Fels- und Tannenschlucht,
in der der
Medelserrhein schäumend und brausend dahin eilt und zwei grössere
Wasserfälle bildet. Die
Strasse durchzieht die
Schlucht in meist geringer
Höhe über dem Fluss, so dass man dessen Schönheiten prachtvoll geniessen
kann, u. geht mit 11 kleinen
Tunnels durch vorspringende Felsrippen.
Bei Curaglia (1332 m) weitet sich das Thal und ist bis Perdatsch von einer Reihe von oft recht malerisch auf erhöhten Terrassen gelegenen Dörfchen und Weilern besetzt. Die bedeutendsten sind Curaglia und Platta, wo die Thalkirche steht. Dazu kommen Soliva, Biscuolm und Mutschnengia in erhöhter Lage bei Curaglia, dann Pali, Drual, Pardi, Fuorns, Acla und Perdatsch bei und hinter Platta, die meisten noch mit eigenen Kapellen, aber alle zusammen mit nur 530 kathol. Ew. romanischer Zunge.
Das Thal ist auf dieser Stufe von prächtigen, blumenreichen Wiesen bedeckt und an den steileren Hängen ordentlich bewaldet. Ueberall hat man den Blick auf die erhabenen Gebirge, glänzenden Gletscher und rauschenden Wasser. Weiter hinten wird das Thal wieder enger und rauher, bleibt aber in der Sohle immer noch mit schönen Alpweiden geschmückt. Drei Hospize folgen da rasch aufeinander: San Gion, San Gall und Santa Maria, von den Aebten von Disentis in früherer Zeit zum Schutz der Reisenden und Pilger erbaut.
Von Santa Maria aus erreicht man mit nur noch geringer Steigung in etwa ½ Stunde die Passhöhe. Von Disentis bis hierher misst die Poststrasse 21,4 km (oder etwa 5 Marschstunden) und von da nach Olivone im Val Blenio noch weitere 17,8 km (oder 3 Marschstunden abwärts). Das Hospiz Santa Maria (mit guter Wirtschaft) hat durch Post und Touristen einen ziemlich starken Verkehr. Ausser den schon erwähnten Pässen nach Val Piora und Val Canaria (Bocca di Cadlimo) sind noch zu nennen der schöne Passo Cristallina (2404 m) und der Passo d'Ufiern (2660 m), beide aus dem Val Cristallina nach dem Val Blenio.
Der Name des
Val Cristallina erinnert an den Reichtum an Kristallen verschiedener Art, die man in diesem
Thal und überhaupt im hintern
Val
Medel, besonders aber am
Piz
Scopi findet. Die Bevölkerung des Medelserthales
ist natürlich
fast ganz auf Viehzucht und Alpwirtschaft angewiesen. Die
Wiesen und
Weiden nehmen etwa 50% des gesamten
Bodens ein. Auf
die thaleinwärts nur bis Perdatsch und bis in eine
Höhe von etwa 1900 m reichenden Wälder kommen blos 6,5%, auf Fels und
Schutt 28%, auf Firn
¶
mehr
und Gletscher etwa 13%. Im vordern Teil des Thals bis Platta pflanzt man noch etwas Getreide, Hanf, Flachs, Kartoffeln, Rüben und andere Gemüse.