Lissăbon
(portug. Lisbõa), Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Portugal, [* 2] liegt unter 38° 42' 24'' nördl. Br. und 9° 11' westl. L. v. Gr., am nördlichen Ufer der 8,4 km breiten Bai (Rada de Lisbõa), welche der Tejo hier, etwa 15 km von seiner Mündung in den Atlantischen Ozean, bildet. Die Stadt liegt reizend, teils amphitheatralisch etwa 5 km weit am Ufer der Bai sich hebend, teils auf und zwischen drei großen und vier kleinen Hügeln hingestreckt, von denen der höchste der Hügel Buenos Ayres [* 3] oder Estrella ist, und bietet von den Höhen in der Stadt wie namentlich von der See aus einen ungemein imposanten Anblick, der sich nur mit dem von Neapel [* 4] und Konstantinopel [* 5] vergleichen läßt.
Die eigentliche Stadt zerfällt in drei Stadtteile (bairros): den östlichen, die alte Stadt umfassend;
den mittlern, die Neustadt [* 6] enthaltend, und den westlichen Teil;
sie ist ohne Mauern und Thore und hat einen Umfang von 20 km. Die Vorstädte, darunter die stark bevölkerten Belem und Olivães, dehnen sich nach verschiedenen Richtungen bis zu den umliegenden Ortschaften aus.
Zur Erleichterung des
Verkehrs dienen Omnibusse und neuerdings
Pferdebahnen (hier »Amerikaner« genannt). Lissabon
[* 7] hat
namentlich im östlichen Stadtteil, am
Monte do
Castello, der von dem
Erdbeben
[* 8] vom verschont blieb,
noch enge und unregelmäßige
Straßen; die neuern Teile sind seit jener
Katastrophe schöner und regelmäßiger aufgebaut.
Unter den
Plätzen (praças) verdienen als die schönsten Hervorhebung: die Praça do Commercio, auf der Südseite vom
Tejo,
auf den drei andern Seiten von ansehnlichen
Arkaden begrenzt, die mit den wichtigsten öffentlichen Gebäuden
in
Verbindung stehen: den Ministerien der
Justiz, des
Handels, des
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Auswärtigen, dem Handelstribunal, der Börse u. a. (am Eingang zur Rua Augusta steht der 1873 vollendete prachtvolle Ruhmesbogen, in der Mitte des Platzes die bronzene Reiterstatue Josephs I.); ferner die Praça da Figueira (Marktplatz) und die Praça do Rocio (mit einem Monument Dom Pedros IV.), auf der Nordseite von dem Theater [* 10] Dona Maria II. begrenzt, an dessen Stelle früher das Inquisitionsgebäude stand. Die Plätze Rocio und Figueira, die dicht nebeneinander liegen, sind mit der Praça do Commercio durch schöne, regelmäßige Straßen verbunden, unter denen besonders die Rua aurea (Rua do ouro) und Rua da prata (offiziell Rua da bella rainha) wegen der glänzenden Juwelierläden hervorzuheben sind.
Der Aufenthaltsort der Lissaboner
Elegants ist der eine kurze, aber brillante Straße bildende Chiado (Almeida Garrett), an
dessen Ende der Camoẽsplatz mit dem Denkmal des Dichters Camoẽs sich befindet. Die Stiergefechte finden auf dem Campo de
Santa Anna statt. Die zahlreichen massiven Klöster, welche die Berge krönen und Palästen oder Festungen
gleichen, sind aufgehoben und dienen jetzt zum Teil weltlichen Zwecken. Als die vorzüglichsten Gebäude sind zu bemerken:
die Patriarchalkirche auf einer Anhöhe in der alten Stadt, mit gotischer Fassade und Chor, im übrigen modern;
das Kloster zum Herzen Jesu (Estrella), mit prachtvoller Kuppel von weißem Marmor;
die Kirche São Roque, mit kostbaren Musivbildern;
die Ruinen der gotischen Kirche do Carmo;
die Klosterkirche São Vincent de Flora (die Begräbniskirche des Hauses Braganza);
ferner das vormalige Hieronymitenkloster Belem, von Emanuel d. Gr. 1499 gegründet, ein reicher spätgotischer, mit maurischen und Renaissancemotiven gemischter Bau, jetzt als Findel- und Waisenhaus dienend, mit großer Kirche und prachtvollem Kreuzgang;
der königliche Palast Ajuda bei Belem, mit schönem botanischen Garten; [* 11]
der Palast Nossa Senhora das Necessidades, ehemals Nonnenkloster, mit zahlreichen Kunstwerken, großem Garten und Fontänen;
das Zollgebäude, das Marinearsenal,
die Theater San Carlos und Dona Maria, die Nationaldruckerei, die Münze, die Getreidehalle, die polytechnische
Schule etc. Ein großartiges Bauwerk ist die 1713-32 hergestellte Wasserleitung,
[* 12] die 18 km weit das Wasser von Bellas über das
Thal
[* 13] von Alcantara auf 35 Bogen
[* 14] nach Lissabon
leitet;
seit 1880 besitzt eine zweite, noch ergiebigere Wasserleitung.
Interessant ist auch die Torre de Belem am Tejo, ein massiver, viereckiger, 35 m hoher Turm, [* 15] an den Ecken von schönen gotischen Türmchen flankiert, mit einer Batterie zur Verteidigung der Hafeneinfahrt und Telegraph. [* 16]
Die Bevölkerung [* 17] belief sich 1878 auf 243,010 Bewohner, darunter viele Neger und Farbige aus den Kolonien, an 30,000 Galicier (meist Tagelöhner und Wasserträger) und viele Fremde (meist Kaufleute), namentlich Engländer, die zwei Kirchen besitzen, Deutsche [* 18] mit einer Kirche, Franzosen mit Kirche und Hospital (St.-Louis). Die Industrie der Stadt ist von erheblichem Umfang; ihre Haupterzeugnisse sind Gold- und Silberwaren, Goldstoffe und Juwelierwaren. Blühende Gewerbe sind ferner in und dessen Umgebung vornehmlich Spinnerei und Weberei [* 19] von Baumwolle, [* 20] Wolle, Hanf und Seide; [* 21] ferner sind in Betrieb Eisengießereien, eine Zuckerraffinerie, eine Maschinenfabrik, mehrere Fabriken für Chemikalien, musikalische Instrumente, Hüte und Schuhe, welche Artikel Gegenstand eines bedeutenden Exports sind, Steingut, Seife, Lichte, Messerwaren sowie eine königliche Tabaks- und Zigarrenfabrik.
Zahlreiche Arbeiter sind auch in dem oben erwähnten Marinearsenal (700 Personen) und in der königlichen
Seilfabrik beschäftigt. Der breite Tejo oder die Bai von Lissabon
bildet einen herrlichen und sichern Hafen, geräumig genug, um
die gesamten Flotten Europas aufzunehmen, und so bequem, daß die größten Kriegsschiffe nahe an der Stadt ankern können.
Die durch zwei Forts geschützte Einfahrt in die Bai ist jedoch wegen unterseeischer Felsenriffe gefährlich.
Als Handelsstadt ist Lissabon
, obgleich der ehemals blühende Seehandel Portugals schon seit geraumer Zeit sehr gesunken ist, immer
noch von hoher Wichtigkeit. 1885 sind im Hafen von Lissabon
2882 Schiffe
[* 22] mit einer Tragfähigkeit von 2,033,080 Ton. (darunter 1667 Dampfer
mit 1,773,524 T.) eingelaufen und 2486 Schiffe mit 1,661,206 T. (darunter 1588 Dampfer mit 1,456,705 T.)
ausgelaufen. Am stärksten war dabei die englische, hiernach die deutsche und französische, dann die portugiesische Flagge
beteiligt.
Die Menge und der Wert der nach Lissabon
eingeführten Waren, unter welchen Getreide,
[* 23] Baumwollgewebe, Zucker,
[* 24] Stockfische, Baumwolle, Steinkohlen,
Bau- und Faßholz, Tabak,
[* 25] Kaffee und Petroleum obenan stehen, bezifferte sich 1885 mit 39,56 Mill. metr.
Ztr. im Wert von 122 Mill. Frank, die Ausfuhr mit 35,13 Mill. metr. Ztr.
und 88,8 Mill. Fr., wovon der Hauptteil auf Wein, Korkholz, Fische,
[* 26] Rindvieh, Öl, Salz
[* 27] und Früchte kommt. Der Transithandel ist
sehr zurückgegangen, seit der Handel von und nach den portugiesischen Kolonien Lissabon
mehr und mehr umgeht.
In reger Dampferverbindung steht die Stadt namentlich mit England (Liverpool,
[* 28] Southampton, London),
[* 29] Frankreich (Bordeaux,
[* 30] Havre)
[* 31] und Deutschland
[* 32] (Hamburg
[* 33] und Bremen)
[* 34] sowie mit Brasilien,
[* 35] der Argentinischen Republik und mit den portugiesischen Kolonien an der
Westküste Afrikas und den Inseln des Grünen Vorgebirges. Durch Eisenbahnlinien ist Lissabon
mit Oporto,
[* 36] mit Beja,
Evora und Setubal sowie mit Spanien in Verbindung gesetzt. In Lissabon
bestehen 15 Banken mit einem Aktienkapital von zusammen 300 Mill.
Frank. Der wohlthätige Sinn der Bewohner hat sich bewährt in den Hospitälern (namentlich
[* 7]
^[Abb.: Plan von Lissabon.]
^[Abb.: Wappen
[* 37] von Lissabon.]
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São José), in Asylen für Waisenkinder etc.; auch ein Findelhaus besteht in Lissabon.
An öffentlichen
Anstalten für Bildung und Wissenschaft besitzt die Stadt eine polytechnische Schule (nach dem Muster der Pariser Anstalt mit
Kursen für den Generalstab, Militär- und Zivilingenieure, Artillerie- und Marineoffiziere, Marinekonstrukteure etc. eingerichtet
und von 200 Schülern besucht), einen höhern Kursus für Litteratur, eine medizinisch-chirurgische Schule,
eine Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt, mehrere Lyceen, ein Industrie- und Handelsinstitut, ein landwirtschaftliches Institut,
eine Akademie der schönen Künste, ein Konservatorium für Musik und dramatische Ausbildung, eine Armee- und eine Seeschule, ferner
eine öffentliche Bibliothek von 150,000 Bänden mit 10,000 Manuskripten, ein numismatisches Kabinett (mit
25,000 Stück Münzen),
[* 39] ein reiches Archiv, ein königliches Naturalienkabinett, ein astronomisches Observatorium, eine Akademie
der Wissenschaften, Akademie der Geographie, eine Gesellschaft zur Beförderung der schönen Künste etc. sowie fünf Haupttheater.
ist der Sitz der höchsten Staatsbehörden, des Gesetzgebenden Körpers, des obersten Justiztribunals, des königlichen Gerichtshofs,
des Patriarchen, zahlreicher Zivil- und Militärbehörden und vieler auswärtiger Gesandtschaften und Konsulate
(darunter auch eines deutschen).
Die Umgebung von Lissabon
, an sich schon höchst reizend, ist mit unzähligen Landhäusern besetzt und mit großen Gärten und Pflanzungen
von Oliven- und Orangenbäumen sowie mit Weinbergen bedeckt. Am Ufer des Tejo ist eine großartige, aber wenig
benutzte Promenade nach Belem geschaffen, wo sich auch eine königliche Menagerie, der Marstall und Gewächshäuser befinden.
Zur Verteidigung von Lissabon
gegen die Landseite wird gegenwärtig an der Herstellung einer aus mehreren Forts bestehenden Befestigungslinie
gearbeitet.
Geschichte. Lissabon
hieß in der ältesten Zeit als Hauptstadt der Lusitaner Olisipo. Diesen Namen machten die
Erklärer fälschlich zu Ulissippo, als von Ulysses, oder von Elisa, Enkel Japhets, gegründet; andre leiteten den Namen von
dem phönikischen Alis ubbo (»lustiger Meerbusen«) her. Unter den Römern war es Munizipium und hieß Felicitas Julia; die Goten
nannten es nach dem alten Namen Olissipona. In der Folge (716) bemächtigten sich die Mauren der Stadt und
nannten sie Al Oschbana (Al Oschbunoch). Im 10. Jahrh. eroberte sie Ordoño III. von Leon und zerstörte sie, doch bauten sie
die Mauren wieder auf. Zu Anfang des 12. Jahrh. wurde sie von Dom Henrico eingenommen, wieder verloren, vom König Alfons I.
von Portugal 1147 aber mit Hilfe französischer, englischer und deutscher Kreuzfahrer wieder in eine christliche Stadt verwandelt.
Seitdem kommt der Name Lissabon
vor. Papst Eugen III. machte nun die Stadt zum Sitz eines Bistums. Ihre Größe und Bedeutung wuchs unter
den christlichen Königen, bereits im 14. Jahrh. war sie eine bedeutende Handelsstadt. 1344 ward
sie von einem furchtbaren Erdbeben heimgesucht, 1348 ein großer Teil der Einwohner von der Pest hingerafft. König Heinrich
II. von Kastilien eroberte Lissabon
1373 infolge der Feigheit der Einwohner, dagegen belagerten es 1384 die Kastilier fünf Monate
vergebens. Herzog Alba
[* 40] nahm es 1580 für Philipp II. von Spanien in Besitz und ließ viele, die sich für
die Unabhängigkeit Portugals aussprachen, hinrichten. Als aber 1640 das Haus Braganza auf den portugiesischen Thron
[* 41] kam, wurden
die Spanier verjagt und durch den Frieden von Lissabon
die Herrschaft der Braganza bestätigt.
Am wurde die
Stadt durch ein schreckliches Erdbeben zu zwei Dritteilen zerstört und verlor dabei über 30,000 ihrer Einwohner.
Ende November 1807 wurde sie von den Franzosen besetzt, aber durch die Engländer wieder befreit. Seitdem wurde das
bis dahin nicht befestigte Lissabon
durch eine Linie von Verschanzungen vom Tejo bis ans Meer auch auf der Landseite
gedeckt. Seit 1815 war es als die Hauptstadt von Portugal oft der Schauplatz innerer Parteikämpfe.
Vgl. Baptista de Castro, Mappa de Portugal, Bd. 2; Macedo, Guide to Lisbon (Lond. 1875);
kleinere Lokalschriften von Machado (1872), Ruanod (1881).