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und Südwales (Merthyr Tydfil), und dem durch jene Gegenden fahrenden Eisenbahnreisenden bieten bei Nacht die zahlreichen Feuerschlöte ein wunderbares Schauspiel, während am Tag dichter Steinkohlenrauch die wenig anziehenden Städte einhüllt. Die Zinnindustrie (36,923 Arb.) beschränkt sich fast ausschließlich auf Südwales (Glamorgan) und Cornwall. Der Maschinenbau beschäftigte 1881: 160,792 Menschen, die Herstellung von Werkzeugen und Geräten 48,558. Birmingham [* 2] und Umgegend liefern namentlich Waffen, [* 3] Stahlwaren aller Art, Juwelierarbeiten, Britanniametallwaren, Nägel, [* 4] Schrauben, [* 5] Knöpfe, Handwerkszeug, Stahlfedern und Maschinen.
Sheffield [* 6] mit Umgegend ist Hauptsitz der Messerschmiede und liefert Feilen, gold- und silberplattierte Waren von vorzüglicher Güte. In Manchester [* 7] und andern Orten Lancashires baut man die Maschinen für die Baumwollfabriken. London [* 8] zeichnet sich aus durch seine Schlosser- u. Goldschmiedewaren. Dampfmaschinen [* 9] werden an vielen Orten gebaut, namentlich in Birmingham, Birkenhead, Nottingham, [* 10] Derby und Newcastle. [* 11] London, Prescot und Coventry zeichnen sich außerdem durch ihre nicht unbeträchtliche Uhrenmanufaktur aus. Der Schiffbau beschäftigte 54,080 Menschen. Eiserne Schiffe [* 12] gehen aus den großartigen Werkstätten der Tynehäfen, Birkenheads und Londons hervor.
Die Zubereitung von Leder bildet einen wichtigen Erwerbszweig, welcher fast in jeder bedeutenden Stadt betrieben wird, wenn auch London fast ausschließlich die feinern Sorten von Leder produziert. Die besten Sattlerwaren kommen aus Birmingham und London, und mit Manchester und Liverpool [* 13] liefern diese Städte auch die schönsten Kutschen. Die Verfertigung von irdenen Waren (46,596 Arb.) bildet die Hauptbeschäftigung der Bevölkerung [* 14] des sogen. Töpferbezirks (Potteries) [* 15] in Staffordshire, wo Wedgwood 1760-95 wirkte.
Das schönste Porzellan kommt aus Worcester, Derby und London. Die Glasmanufakturen (21,630 Arb.) Englands verdanken ihre ersten Erfolge italienischen und französischen Einwanderern. Die erste Spiegelglasfabrik wurde 1773 bei Liverpool errichtet. Das meiste Kron- und Flaschenglas wird in der Tynegegend gefertigt; Prescot, Birmingham, London u. a. O. liefern besonders Flint- und Spiegelglas, und es zeichnet sich namentlich das englische Flintglas durch große Reinheit und Schein aus. Chemische [* 16] Fabriken (43,015 Arb.) finden sich vorzugsweise im Norden [* 17] (Newcastle und Gateshead). Die Papiermühlen (18,629 Arb.) liefern ein in der ganzen Welt geschätztes Fabrikat. Die berühmtesten englischen Brauereien liegen in Burton upon Trent (für Ale) und in London (namentlich für Porter). London, Liverpool und Bristol sind Hauptsitze der Tabaksfabrikation. Weiteres s. Großbritannien. [* 18]
Die Industrie nährt in England einen größern Teil des Volkes als in irgend einem andern Lande der Welt, und von ihrer Blüte [* 19] ist der Wohlstand in viel höherm Grad abhängig, als es bei einer vorherrschend Ackerbau treibenden Bevölkerung der Fall sein würde. Der englische Arbeiter und Handwerker steht sich im allgemeinen gut. Er ist arbeitsam und soll trotz der kürzern Arbeitszeit (54 Stunden die Woche) schneller und besser arbeiten als sein kontinentaler Nachbar, namentlich erfreut sich der englische Erdarbeiter eines großen Rufs.
Mit allen Engländern teilt auch der Arbeiter die hohe Achtung vor dem Gesetz, und bei den leider nur zu häufigen Arbeitseinstellungen (strikes) kommt es sehr selten zu Gewaltthätigkeiten. Die im ganzen Land verbreiteten Gewerkvereine (trades' unions) haben viel dazu beigetragen, Streiks möglich zu machen, da die Mitglieder während derselben eine Unterstützung aus der Vereinskasse beziehen, deren Höhe wesentlich durch die von andern Vereinen und dem Publikum gespendeten freiwilligen Gaben bestimmt wird. Im J. 1883 hatten 144 dieser Genossenschaften (in allem gab es deren 195) 253,088 Mitglieder mit einer Jahreseinnahme von 292,740 Pfd. Sterl. und einem Kapital von 431,495 Pfd. Sterl. Am zahlreichsten war der Bund der Grubenarbeiter von Durham (mit 37,000 Mitgliedern), am reichsten aber der Bund der Dampfkesselmacher und Schiffbauer (27,403 Mitglieder mit 67,361 Pfd. Sterl. Einnahme).
Überhaupt ist das Genossenschaftswesen in England hoch entwickelt. Wenn die Genossenschaften einem von der Regierung ernannten Registrar ihre Statuten und jährlichen Berichte einschicken, erfreuen sie sich der Rechte von Korporationen. Eine hervorragende Stellung unter ihnen nehmen die sogen. freundschaftlichen Vereine (friendly societies) ein, die ihren Mitgliedern ärztlichen Rat und Unterstützung in Krankheitsfällen und wohl auch dabei Alters- und Witwenpensionen gewähren.
Viele von ihnen sind in Nachahmung der Freimaurer als Orden [* 20] gebildet, so namentlich die Odd Fellows und die Foresters. Es bestehen etwa 17,500 dieser Gesellschaften, und 12,867 von ihnen, die für das Jahr 1880 Berichte einschickten, hatten 4,802,249 Mitglieder und ein Kapital von 13 Mill. Pfd. Sterl. Leider sollen die Mitgliederbeiträge vieler dieser Gesellschaften nicht hoch genug sein, als daß sie die versprochenen Vorteile auf die Dauer gewähren könnten, und man will ein Defizit von 5 Mill. Pfd. Sterl. herausgerechnet haben.
Die 1697 Baugesellschaften, welche für das Jahr 1884 Berichte einschickten, hatten 513,667 Mitglieder, eine Jahreseinnahme von 21 Mill. Pfd. Sterl. und ca. 33 Mill. Pfd. Sterl. eignes Kapital. Korporative Vereine für den Betrieb von Fabriken, den Einkauf und Verkauf von Rohmaterial, Lebensmitteln etc. bestehen seit 1844, in welchem Jahr die Gesellschaft der Rochdale Equitable Pioneers ins Leben trat. Jetzt bestehen derer 1113, und 870 derselben, welche für das Jahr 1883 einen Bericht erstatteten, hatten 576,477 Mitglieder, ein Aktienkapital von 6,9 Mill. Pfd. Sterl., einen Absatz von 23,5 Mill. Pfd. Sterl. und einen Gewinn von 1,9 Mill. Pfd. Sterl. Dazu kommen noch 438 Leihgesellschaften mit 42,895 Mitgliedern und einem Kapital von 340,403 Pfd. Sterl. Überhaupt aber hatten die 15,616 Genossenschaften, welche Berichte einschickten, 6,188,376 Mitglieder und ein Kapital von 53,4 Mill. Pfd. Sterl. Die Sparkassen werden teils vom Postamt verwaltet (Post office Savings Banks), teils stehen sie unter staatlicher Aufsicht (als Trustees Savings Banks). Erstere zahlen 2½, letztere 3 Proz. Zinsen. Das eingelegte Kapital beider Klassen war 1850: 28,9 Mill., 1873: 53,6 Mill., 1884 aber 89,8 Mill. Pfd. Sterl. Im J. 1884 wurden 24,3 Mill. Pfd. Sterl. eingezahlt, 21,9 Mill. Pfd. Sterl. ausgezahlt.
Verkehr.
Unter den Anstalten, welche den ungemein lebhaften Binnenverkehr Englands fördern, nehmen die Eisenbahnen unbedingt den vornehmsten Rang ein. Bereits seit 1797 bestehen Pferdebahnen in Shropshire und Südwales, aber die erste von einem Dampfwagen befahrene Bahn (die von Stockton nach Warrington) wurde erst 1825 eröffnet. Seit jener Zeit hat das Eisenbahnwesen einen ungemein raschen Aufschwung genommen, obwohl der Staat sich jeder ¶
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Einmischung enthielt und den Bau ausschließlich Privatgesellschaften überließ. Im J. 1859 hatten die Eisenbahnen von England und Wales eine Länge von 11,762 km, 1873 von 18,296 km, 1884 von 21,468 km, deren Bau und Ausrüstung 665 Mill. Pfd. Sterl. gekostet haben. 621 Mill. Reisende (ohne die Inhaber von Saisonbillets) und 220 Mill. Ton. Güter wurden befördert, die Betriebskosten beliefen sich bei einer Bruttoeinnahme von 60 Mill. Pfd. Sterl. auf 31,7 Mill. Pfd. Sterl. Für die Herstellung von Landstraßen wurde bereits 1555 durch ein Gesetz gesorgt, welches den Lokalbehörden die Pflicht auferlegte, für die Instandhaltung der innerhalb ihres Gebiets gelegenen Straßen zu sorgen.
Thatsächlich gilt dieses Gesetz noch heute, und die Gemeindevorstände haben seit 1835 das Recht, für Instandhaltung der Wege eine Steuer zu erheben. Außer diesen eigentlichen Gemeindewegen gibt es jedoch noch zahlreiche von Privatunternehmern gebaute sogen. Schlagbaumwege (turnpike-roads), von welchen indes viele in den Gemeindebesitz übergegangen sind. Insgesamt hatten die außerhalb der Städte gelegenen Landstraßen 1884 eine Länge von 190,180 km.
Die schiffbaren Flüsse [* 22] sind bereits erwähnt worden. An Kanälen ist zwar das Land nicht arm, und mehrfach kreuzen sie das ganze Land und setzen die Nordsee mit dem Irischen Meer in Verbindung; die Kanäle haben indes aufgehört, dem Handel die erwarteten Dienste [* 23] zu leisten, seitdem ein großer Teil derselben in den Besitz von Eisenbahngesellschaften übergegangen ist, durch welche jede Konkurrenz ausgeschlossen wurde. Eine Parlamentsakte vom Jahr 1873 bestimmte daher, daß Verträge zwischen Kanal- und Eisenbahngesellschaften nur dann gebilligt werden sollen, wenn sie nichts enthalten, was dem öffentlichen Interesse zuwiderläuft. Auch sollen die Eisenbahngesellschaften gezwungen werden, die in ihrem Besitz befindlichen Kanäle in brauchbarem Zustand zu erhalten. Die Gesamtlänge der Kanäle beträgt 4023 km. Ein großartiger Schiffahrtskanal von Liverpool nach Manchester, auch für große Seeschiffe zugänglich, ist im Bau begriffen. Weiteres über Handel, Reederei, Post- und Telegraphenwesen s. Großbritannien.
Armenwesen.
In E. besteht ein Armengesetz seit 1661, und das Armenwesen wurde 1834 in seiner gegenwärtigen Gestalt geregelt. Jedes Kirchspiel ist verpflichtet, seine Armen zu erhalten. Von den Friedensrichtern ernannte Overseers (Aufseher) sorgen für Eintreibung der Armensteuer; die Verwaltung liegt in den Händen von Guardians (Armenpflegern), welche von den Steuerzahlenden gewählt werden, und zu welchen die Friedensrichter ex officio gehören. Als Regel werden mehrere Kirchspiele zu einem Armenbezirk vereinigt (Poorlaw Union), welche gemeinschaftlich ein Armenhaus (workhouse), eine Armenschule und ein Krankenhaus [* 24] unterhalten.
Solcher »Unions« gibt es 647. Die Zahl der Armen wechselt ungemein, je nach den Jahren. Sie finden teilweise Aufnahme in die Armenhäuser (indoor relief),
teils erhalten sie Unterstützung außerhalb (outdoor relief). Durchschnittlich war die Zahl der »Armen« 1880: 808,030, 1884: 765,914. Darunter waren arbeitsfähig bez. 115,785 und 94,377. Die Ausgaben für das Armenwesen beliefen sich 1880 auf 8,0 Mill. Pfd. Sterl., 1884 auf 8,4 Mill. Pfd. Sterl. Auf je 10,000 Bewohner kamen Arme 1875: 336, 1880: 319, 1884 nur 286. Am Tag der Volkszählung (1881) befanden sich 179,620 Menschen in Armenhäusern, 24,087 in Krankenhäusern, 54,617 in Irrenanstalten, 27,889 in Gefängnissen und 16,856 in Anstalten für jugendliche Verbrecher. Damit ist jedoch keineswegs die Armut des Landes erschöpft, da die Mildthätigkeit der Privaten für viele sorgt, welche sonst dem Gemeinwesen zur Last fallen wurden.
Rechtspflege.
Man unterscheidet in England zwischen gemeinem Recht (Common Law) und dem statutarisch vom Parlament erlassenen Statute Law. Bei Auslegung des Gesetzes werden die Rechtssprüche der Richter, wie sie in den Akten der Gerichtshöfe mit Archivrecht (Courts of record) niedergelegt sind, als maßgebend betrachtet. Nur in den ekklesiastischen und Admiralitätsgerichten kommt teilweise das römische und kanonische Recht zur Anwendung. Die Rechtspflege (auch bei Voruntersuchungen) ist stets öffentlich. Es steht jedem frei, seine Angelegenheiten vor Gericht persönlich vorzutragen; gewöhnlich aber geschieht dies durch Advokaten (counsel, barrister) oder Anwalte (attorney, solicitor).
Vier alte Korporationen besitzen das Recht, Personen »zur Barre« zu rufen (s. Barrister). Eine Anzahl der Advokaten wird zu Queen's Counsels ernannt, aus deren Mitte die Richter hervorgehen. Attorneys gehen bei einem Rechtspraktikanten in die Lehre [* 25] und werden, nachdem sie von der Incorporated Law Society geprüft sind, durch einen Richter des obersten Gerichtshofs vereidigt. Die Privatklage ist in allen Fällen zulässig, und nur bei Kriminalvergehen und in Ausnahmefällen tritt die Krone als Kläger auf und läßt sich durch einen Queen's Counsel vertreten.
Kriminalfälle, wenn es der Angeklagte verlangt, politische und Preßvergehen werden stets mit Zuziehung von Geschwornen entschieden. Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt und können nur wegen schlechten Betragens entlassen werden. Der oberste Gerichtshof des vereinigten Königreichs ist das Haus der Lords, in welchem der Lordkanzler den Vorsitz führt, und in welchem Peers, die ehemals Richter waren oder es noch sind, Sitz und Stimme haben. Seine Gerichtsbarkeit ist indes jetzt eine sehr beschränkte.
Ein Ausschuß des Geheimen Rats für Gerichtsbarkeit (Judicial Committee of the Privy Council), dem zwei Richter zugeordnet sind, hört Appellationen von den Gerichtshöfen der Kolonien. Den obersten Gerichtshof von England und Wales bildet der 1873 errichtete Supreme Court of Judicature, welcher aus einem obersten Gerichtshof (High Court of Justice) und einem Appellationsgericht (Court of Appeal) besteht. Ersterer besteht aus einer Chancery division (Erbschaftsteilungen, Vormundschaftssachen u. dgl.), einer Queen's Bench division (für Kriminal- und Zivilsachen, welche nach dem gemeinen Recht entschieden werden, indem der Richter das Gesetz auslegt, Geschworne aber über Thatsachen entscheiden) und einer Probate, Divorce and Admiralty division, welche die Wirksamkeit der frühern Gerichte für Testaments-, Ehe- und Admiralitätssachen umfaßt.
Ein Court of Arches hat die geistliche Gerichtsbarkeit. Für die Metropole besteht außerdem ein Zentralkriminalgericht (Old Bailey), in welchem der Recorder und Common Serjeant der City von London präsidieren. Jährlich zweimal machen Richter des obersten Gerichtshofs eine Rundreise (circuit) durch England und halten kraft einer fünffachen Ermächtigung in 59 Städten des Landes Gerichtssitzungen ab. Diese Ermächtigung erstreckt sich 1) auf Streitigkeiten wegen liegenden Eigentums (assize), 2) auf Fälle, welche vor den obersten Gerichtshof in London gehören, falls nicht zuvor einer der Richter in die ¶