Regelmäßig wiederkehrende Versammlungen von
Lehrern finden gegenwärtig fast in allen deutschen
Ländern und
Provinzen sowie fast für alle verschiedenen
Zweige des
Schulwesens (Gymnasien,
Realschulen,
Seminare, höhere Töchterschulen,
Volksschulen,
Kindergärten etc.) statt. Dieselben haben, wenn sie auch hier und da der Herrschaft
einseitiger
Richtungen sich nicht völlig haben erwehren können, im ganzen wesentlich zur wissenschaftlichen und sozialen
Hebung
[* 2] des Lehrerstandes und mittelbar zur Verbesserung des
Schulwesens beigetragen.
Den größten Aufschwung hat den Lehrerversammlungen das Jahr 1848 gegeben. Doch
gab es auch vorher schon eine
Reihe von sogen. Wanderversammlungen
für
Lehrer, welche eine allgemeine Bedeutung für ihre
Kreise
[* 3] besaßen oder erstrebten. Unter den ersten sind die Versammlungen
des
Vereins norddeutscher Schulmänner (gegründet vonLübeck
[* 4] aus 1834) für die nordwestdeutschen Gymnasien
zu nennen. Berühmter und einflußreicher wurden die noch jetzt fortdauernden Jahresversammlungen des 1837 bei dem
Jubiläum
der
UniversitätGöttingen
[* 5] gegründeten
Vereins deutscher Philologen, Schulmänner und
Orientalisten (s.
Philologenversammlungen).
Auch ein
Verein für deutsches
Real- und höheres
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Bürgerschulwesen, gegründet zu Meißen
[* 7] 1845, tagte seitdem jährlich in den Herbstferien. Im Sommer 1848 erging von Dresden
[* 8] aus die Aufforderung an alle deutschen Lehrer und Jugenderzieher (gleichviel, ob sie »dem Knaben das ABC aufschlössen oder den
Jüngling in die heiligen Hallen der Wissenschaft einführten, ob sie an den erschienenen oder an einen künftigen
Messias glaubten« etc.) zur Bildung eines Allgemeinen Deutschen Lehrervereins. Derselbe kam im Herbst 1848 zu Eisenach
[* 9] zu stande
und gewann durch seine Verbreitung und seine feste Gliederung in Landes- und Bezirksvereine anfangs großen Einfluß, beschränkte
sich aber von vornherein fast ausschließlich auf die Kreise der Volksschule und verfiel, je mehr mit dem
Umsichgreifen der Reaktion ihm die Ungunst der Regierungen entgegentrat.
Doch sind die Versammlungen des Vereins, deren Besuchsziffer einigemal bis gegen 5000 stieg, ziemlich regelmäßig abgehalten
worden, seit 1876 abwechselnd mit einem Delegiertentag des deutschen und des preußischen Landeslehrervereins. Im J. 1887 tagte
die 27. Lehrerversammlung in Gotha.
[* 10] Daneben hat sich inzwischen eine Anzahl ähnlicher Versammlungen
von besonderer Richtung aufgethan, wie z. B. der deutsche evangelische Schulkongreß, dessen 4. Versammlung 1886 in
Hannover
[* 11] stattfand. Der Verein für das höhere Mädchenschulwesen hielt seine 10. Hauptversammlung 1886 in Berlin,
[* 12] der 9. deutsche
Seminarlehrertag tagte 1887 in Nürnberg,
[* 13] die 39. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in
Zürich
[* 14] 1887.
Vgl. Weinlein, Geschichte der allgemeinen deutschen Lehrerversammlung (Leipz. 1887).
Von den während der Jahre 1889 und 1890 in Deutschland
[* 15] abgehaltenen größern
Lehrerversammlungen erwähnen wir die folgenden: A.
Für das höhere Schulwesen: Der Delegiertentag des Allgemeinen deutschen Realschulmännervereines,
der im Juli 1889 in Berlin tagte, faßte folgende Beschlüsse:
1) Wir stehen mit schmerzlicher Überraschung der von neuem angegebenen Erklärung des HerrnMinisters von
Goßler gegenüber, daß die Gleichberechtigung der Realgymnasien mit den Gymnasien in gefahrdrohender Weise den Zudrang zur
Universität zu vermehren geeignet sei. Diese Anschauung ist durch die Erfahrung wie durch die wissenschaftlichen Untersuchungen
berufener Männer widerlegt; die Versammlung erachtet es für ihre Pflicht, ebenfalls erneut auszusprechen, daß gerade die
jetzige Alleinberechtigung die gefährlichste Förderung jenes volkswirtschaftlichen Übels bildet.
2) Der Realschulmännerverein erblickt in dem Entstehen jüngerer Schulreformvereine nicht das Hervortreten gegnerischer
Strömungen, sondern wertvolle Zeugnisse für das immer allgemeiner erwachende Bewußtsein von der Notwendigkeit zeitgemäßer
Fortbildung des gesamten höhern Schulwesens.
3) Der Realschulmännerverein weiß sich mit den Vertretern dieser Bestrebungen einig in der Forderung
gleicher Berechtigungen sowie in einer Reihe grundsätzlicher Überzeugungen und wichtiger Ziele: allmähliche Ausgestaltung
des Unterrichts und der Erziehung auf nationaler Grundlage, sorgfältigere Pflege der körperlichen Entwickelung, Ausrüstung
des heranwachsenden Geschlechts mit den Kenntnissen und dem Pflichtgefühl, deren es bedarf, um die großen wirtschaftlichen
und sittlichen Aufgaben der Neuzeit klar und zielbewußt zu erfassen.
4) Aber auch in Übereinstimmung mit hervorragenden Vertretern der Gymnasien sieht der Realschulmännerverein eine
Erweiterung der Berechtigungen der zur Zeit bestehenden neunklassigen Reallehranstalten als eine notwendige Vorbedingung jeder
fernern gedeihlichen Entwickelung an. Die 40. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner fand vom 1.-5. Okt. 1889 in
Görlitz
[* 16] unter zahlreicher Beteiligung statt. Neben den eigentlichen Gegenständen der Verhandlung erregte die vom GörlitzerVerein fürJugendspiele und Knabenhandarbeit veranstaltete Ausstellung von Knabenhandarbeiten sowie die Vorführung der Spiele
auf dem großen dortigen Spielplatz die Teilnahme der versammelten Gymnasiallehrer und Philologen. Der deutsche Verein für
das höhere Mädchenschulwesen hielt im September 1890 seine Jahresversammlung in Heidelberg
[* 17] ab, der im
Auftrag der preußischen, badischen und andrer deutscher Schulverwaltungen Kommissare beiwohnten.
B. Für das Volksschulwesen. Im J. 1889 vom 10.-12. Juni fand die 28. allgemeine deutsche Lehrerversammlung in Augsburg
[* 18] statt.
Sie war von 1500 Teilnehmern besucht und erledigte eine Reihe von Gegenständen aus dem innern Schulleben
in eingehenden Debatten; so die Reform des naturkundlichen Unterrichts nach dem Prinzip der sogen. Lebensgemeinschaften, des
Rechenunterrichts im Sinne der Vereinfachung, Wert der formalen Unterrichtsstufen der Herbartianer für den Unterricht, Umgestaltung
des Sprachunterrichts nach FranzKern, Ziel und Methode des Schulzeichnens, auch die gesundheitliche Beaufsichtigung
der Volksschule durch den Arzt. Der bei dieser Versammlung erstattete Bericht ergab, daß der deutsche Lehrerverein jetzt 33,000
Mitglieder gegen 3500 im J. 1873 zählt, die sich auf 1030 Vereine in 34 Landes- oder Provinzverbänden verteilen. Wenige Tage
zuvor, vom 23.-25. Sept. 1889, hatte in Nürnberg der 9. deutsche
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Seminarlehrertag unter Beisein und Mitwirkung verschiedener Regierungskommissare und unter Vorsitz des Hamburger Seminardirektors
(jetzt Schulrats) Mahraun verhandelt. Den Hauptgegenstand der Verhandlung: »die Aufgabe der Lehrerbildung im Hinblick auf das
sozialpolitische Leben«, leitete Seminarlehrer Keferstein aus Hamburg
[* 20] durch einen ausführlichen Vortrag ein. Der nächste Seminarlehrertag
soll 1892 in Braunschweig
[* 21] stattfinden und sich mit der Internatsfrage, den Reformen auf dem Gebiet der
Naturwissenschaften und den Seminarübungsschulen beschäftigen.
In den letzten Maitagen 1890 sah Berlin den 8. deutschen Lehrertag versammelt. Als erfreuliches Zeichen der Zeit muß man den
Austausch durchaus achtungsvoller Grüße und Wünsche zwischen der Versammlung und dem abwesenden Minister v. Goßler
sowie die Bewillkommnung des Lehrertags durch den leitenden Schulmann des Ministeriums, Geheimen Oberregierungsrat Schneider,
auffassen. Um so unerwarteter kam es, daß Dittes, früherer Leiter des Wiener städtischen Pädagogiums, die von ihm übernommene
Gedächtnisrede auf Diesterweg (geb. 1790) zu herber Kritik gerade der preußischen Schulverwaltung benutzte, da sein Vorredner
Schneider mit großer Umsicht und Offenheit eben zuvor die Bestrebungen des Ministers ebenso wie die entgegenstehenden
Hemmnisse und Schwierigkeiten klar dargelegt hatte. Die Folge war ein ziemlich stürmischer Widerhall des Lehrertags im preußischen
Landtag und in der Presse.
[* 22]