Titel
Leysin
(Kt. Waadt,
Bez. Aigle).
1263 m. Gem. und Pfarrdorf, am
SSO.-Hang des Bergstockes der
Tour d'Aï (2332 m),
rechts über der
Grande Eau und über dem Eingang ins Thal der
Ormonts. Leysin
besteht aus zwei stark verschiedenen Abschnitten:
dem
alten Dorf, das sich um die 1903 restaurierte Pfarrkirche gruppiert, und dem neuen
Quartier Leysin
-Gare (1450 m), einer
ganz modernen Schöpfung. In Leysin
ein Post- und Telegraphenbureau, einige Kaufläden, Gasthöfe und
Pensionen und ein im Chaletstil gehaltenes schönes Schulhaus; in Leysin
-Gare Postbureau, Telegraph und Telephon, die grossen
Lungensanatorien, die Endstation der Bahn
Aigle-Leysin, je eine katholische und reformierte
Kapelle, einige Gasthöfe, Pensionen
und Kaufläden. Postwagen Leysin-Le
Sépey. Gemeinde: 179
Häuser, 1065 Ew. (wovon 344 Katholiken und 149 Ew.
deutscher Zunge);
Dorf: 109
Häuser, 376 Ew. Zwischen Leysin
und Leysin-Gare reihen sich eine ganze Anzahl von
Chalets und
Pensionen auf, die lange Zeit unter dem Namen
Feydey (nach einigen über dem Dorf gelegenen
Speichern, von denen heute nur
noch zwei oder drei stehen) zusammengefasst wurden.
Leysin
gehörte seit dem Anfang seiner geschichtlichen Existenz dem Hause Savoyen. 1332 gab der
Graf dem Grossrichter des
Chablais den Befehl, die Würde eines Mestral über das Dorf, die bisher auf verschiedene Personen verteilt zu werden pflegte,
von nun an nur noch einem Einzigen zu übertragen (nach Urkunden im
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Gemeindearchiv). 1439 verpflichtete der Edle Petermann von Chivron, Gerichtshalter (Seneschall) und Vitztum von Sitten, die 22 unter
seiner Hoheit stehenden Männer von Leysin
zur Heeresfolge gegenüber dem Herzog von Savoyen. Unter der Berner Oberherrschaft
gehörte Leysin
zum Mandament Aigle und wurde von einem Mestral und seinem Stellvertreter verwaltet. In
kirchlicher Hinsicht war die Gemeinde zunächst nach Aigle eingepfarrt, doch machten es die grosse Entfernung und der schlechte
Zustand der Wege den Bewohnern schwierig, ihren religiösen Pflichten und Bedürfnissen zu genügen.
Sie wandten sich daher an den Bischof von Sitten, Wilhelm von Raron, um Abhilfe und erhielten von ihm am die
Erlaubnis, in ihrem Dorf auf eigene Kosten eine dem h. Theodul und Maria Magdalena geweihte Kapelle erbauen zu dürfen. Den
Gottesdienst versah der Pfarrer von Aigle, der zu diesem Zweck jeden Mittwoch nach Leysin
herauf kam. Nachdem das Land zur
Zeit der Burgunderkriege von Bern
erobert worden war, wurde 1528 die Reformation eingeführt. (Schon zwei
Jahre vorher hatte Farel in Aigle und Umgebung die neue Lehre gepredigt). Die Berner Regierung beauftragte den Diakon von Aigle,
jeden zweiten Freitag in Leysin
zu predigen, verpflichtete aber die Bewohner des Dorfes, jeden zweiten Sonntag den Gottesdienst
in Aigle zu besuchen. 1702 wurde Leysin
dann von der Pfarrei Aigle ganz abgetrennt und zur eigenen Kirchgemeinde
erhoben.
Lange Zeit blieb der Ort fast völlig unbeachtet. Seine Bewohner beschäftigten sich beinahe ausschliesslich mit der Aufzucht
von Gross- und
Kleinvieh, dem die schönen Gemeindealpen von Aï, Mayen, Brion, Prafandaz etc. zur Verfügung
standen. 1822 machte der in Aigle wohnende Arzt Dr. Bezencenet Vater die Beobachtung, dass die damals im Rhonethal noch häufigen
Kretinen nach einem Aufenthalt von 1-2 Jahren in Leysin
wesentlich aufgeweckter und gebessert wieder heimkehrten.
Nun fing man an, zuerst an Rhachitis und Skrofulose Leidende und nachher auch Lungenkranke nach Leysin
hinaufzusenden. Dr. Bezencenet Sohn konnte bald die erreichten ausgezeichneten Erfolge und zugleich auch die Tatsache konstatieren,
dass Tuberkulose eine den eingebornen Bewohnern von Leysin
unbekannte Krankheit sei. Ende Januar 1873 sandte er den ersten
kranken Fremden, einen Deutschen, nach Leysin, und 1878 entstand die erste Pension, die aber vorläufig
nur im Sommer geöffnet war. Im Oktober 1882 kam die erste Kranke für eine Winterkur; sie kehrte gesund heim und fand bald
Nachfolger.
Dr. Louis Secrétan interessierte sich nun für den Ort und liess einige Jahre lang meteorologische Beobachtungen anstellen. Nachdem er sich von den Vorteilen, die das Klima von Leysin bietet, überzeugt hatte, gründete er ein erstes Initiativkomitee, das sich 1886 bildete und 1888 durch Zuzug neuer Mitglieder vervollständigte. 1890 wurde die Strasse vom Dorf nach dem darüber gelegenen Feydey gebaut und zugleich der Grundstein zum ersten Sanatorium gelegt. Damit war für das neue Davos die Bahn frei, auf der es sich nun rasch zu ungeahnter Blüte entwickelte. Nach dem Sanatorium Grand Hôtel entstanden der Reihe nach das Sanatorium du Mont Blanc und Sanatorium du ¶
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Chamossaire, denen sich 1902 das Volkssanatorium beigesellte. Alle diese Anstalten können zusammen 600 Kranke aufnehmen. Ein ehemaliges Frauenasyl ist 1903 zu einer Kinderheilstätte umgewandelt worden, die ohne Zweifel noch einer bedeutenden Zukunft entgegengeht. Endlich ist auch noch eine mit 30-40 Krankenbetten ausgerüstete Anstalt für chirurgische Behandlung von Tuberkulose bei Kindern zu nennen.
Das Wasser von Leysin stammt aus einer Reihe von benachbarten Quellen, die aus der Moränendecke, dem Flysch oder den Schichten roter Kreide kommen. Solche Quellen sind u. a. die von Le Feydey und Brion, welch' letztere in einer Schlucht am Fuss der Tour de Mayen entspringt und durch eine 3 km lange Leitung zum Reservoir von Le Feydey geführt wird. Dazu hat Leysin noch einen Teil (etwa 500 Minutenliter) der Quellen von Coussy erworben, die in etwa 1500 m links über der Grande Eau zwischen La Forclaz und dem Lac des Chavonnes zu Tage treten. Ihr Wasser wird in stählernen Leitungen quer durch das Thal geführt und von hier bis nach Leysin durch einen Siphon nahezu 700 m hoch hinaufgehoben.
Die Terrasse von Leysin bildet geologisch eine Mulde aus jurassischen Gesteinen, in die auch noch schieferige und kalkige Schichten von roter Kreide (Neocom und obere Kreide) und tonig-schieferiger Flysch eingefaltet sind. Der eine der Muldenschenkel steigt bis zur Tour d'Aï auf, während der andere sich an den Fuss des Hanges gegen das Thal der Eau Froide anlehnt. In dieser Mulde sammelt sich das Wasser, das in den Cascades de Fontanney zwischen Aigle und Fontanney zu Tage tritt. Vergl. den Art. Fontanney (cascades de). Einige Teile des Plateaus von Leysin sind etwas sumpfig, weil der Boden aus schwer durchlässigem schieferigem Flysch und lehmigem Moränenmaterial besteht.
Nachdem der Postwagenverkehr mit dem Rhonethal bis 1892 blos bis zum Dorf Leysin ging, wurde er 1893 bis nach Le Feydey hinauf ausgedehnt, dessen Postbureau (jetzt Leysin-Gare) heute wichtiger ist als dasjenige im alten Dorf. Eine blosse Postwagenverbindung konnte aber dem rasch aufblühenden Kurort auf die Länge nicht genügen. So ging man an den Bau einer von Aigle ausgehenden elektrischen Zahnradbahn nach System Abt, die 1900 eröffnet wurde und aus zwei Abschnitten besteht:
1) der Strassenbahn Aigle Gare-Pont de la Grande Eau-Grand Hôtel d'Aigle, mit einer maximalen Steigung von 9,8% und einer Länge von 1,9 km; 2) der Strecke Aigle Dépôt (an der Brücke über die Grande Eau)-Leysin, die von 430 m bis 1393 m steigt und 4,84 km lang ist; mittlere Steigung 19%, maximale Steigung 23%, die Radien der Kurven schwanken zwischen 80 und 200 m. Diese Linie hat zahlreiche Kunstbauten erfordert; sie zählt 3 Tunnels von zusammen 222 m Länge (der grösste ist 154 m lang), mehrere Brücken, Wasserdurchlässe etc. Die Triebkraft wird von der Société romande d'Électricité geliefert, deren Werk in Le Vuargny die Wasserkraft der Grande Eau ausbeutet. In Leysin erscheint ein Wochenblatt. 1232: Leissins; 1355: Lisin; 1402: Lesin, dann Leysins.
Bibliographie.
Artikel «Leysin» im Dictionnaire histor... du cant. de Vaud von Martignier und A. de Crousaz, ferner zwei Leysin betitelte illustrierte Prospekte. - Secrétan, Louis, et Th. Exchaquet: La station climatique de Leysin. - Ferner die Rapports annuels du comité der Sanatorien und des Volkssanatoriums. - Lecoultre, H. Leysin (in der Bibliothèque universelle. 1891). - IIe Rapport du Conseil d'administration du Chemin de fer Aigle-Leysin. - De la Harpe, E. Panorama de Leysin; publié par la Société de Leysin. - Secrétan, Louis. Climatologie hivernale de Leysin; observations météorologiques de 1887 à 1890 (in der Revue médicale de la Suisse Romande. Janvier 1891).
[Eug. de la Harpe.]