Konstitution
(lat.), Zusammensetzung, Begründung, Anordnung, Einrichtung; in der Rechtssprache s. v. w. Festsetzung, Satzung, Rechtsbestimmung. Im altrömischen Staat bezeichnete Constitutio jede kaiserliche Verordnung, neben den alten Volksschlüssen (leges) und den Senatuskonsulten Hauptquelle der Rechtsbildung. Ihrer Form nach waren die Constitutiones principum entweder allgemeine Anordnungen (edicta), oder Aufträge und Instruktionen für Beamte (mandata), oder Urteile (decreta) in Rechtssachen, oder endlich Antworten (rescripta) auf Anfragen von Beamten oder auf Bittgesuche von Privaten.
Sammlungen kaiserlicher Konstitutionen
wurden wiederholt veranstaltet von
Papirius Justus,
Julius
Paulus, im »Gregorianus
Codex«
(nach 295) und im »Hermogenianus
Codex« (nach 365).
Offizielle waren der 438 publizierte
»Theodosianus Codex«
von
Theodosius II. und der einen
Bestandteil des
»Corpus juris civilis« bildende
»Codex Justinianeus«. Eine Zusammenstellung
der von Justinian erlassenen und außerhalb der Konstituti
onen-Sammlungen erhaltenen Konstitutionen
besorgte G.
Hänel
(»Corpus
legum«, Leipz. 1857-1860). Auch im
Mittelalter und bis in die neuere Zeit kommt die Bezeichnung Konstitution
für
die
Gesetze der
Kaiser (z. B. die dem
»Corpus juris civilis« beigefügten Konstitutionen
Friedrichs II.) und der
Landesherren
vor, unter welch letztern die sogen. kursächsischen Konstitutionen
von 1572 (vgl.
Schletter, Die Konstitutionen
Kurfürst
Augusts von
Sachsen,
[* 2] Leipz. 1857) hervorzuheben sind. - In der
Kirchengeschichte nennt
man Konstitutionen
der
Apostel eine aus acht
Büchern bestehende Sammlung von Kirchenrechtssätzen, welche
eine alte
Sage irrig auf die
Apostel zurückführt, die aber meist noch der Zeit vor dem
Konzil zu
Nicäa (325) angehören; sie
sind herausgegeben von Ültzen (»Constitutiones apostolicae«,
Schwer. 1853).
Im Staatswesen bedeutet Konstitution
Verfassung, auch Verfassungsurkunde (Konstitution
surkunde, Konstitutionsakte), besonders
eine solche, welche im monarchischen
Staate das
Repräsentativsystem und die
Ministerverantwortlichkeit feststellt; daher man
als konstitutionelle
Monarchie diejenige bezeichnet, in welcher der
Regent bei Ausübung des
Gesetzgebungsrechts an die Zustimmung
der
Volksvertretung gebunden ist, welch letzterer zudem das Steuerbewilligungsrecht und das
Recht der
Genehmigung des
Staatshaushalts,
damit aber auch dasjenige der
Kontrolle der
Staatsverwaltung selbst zusteht.
Konstitutionell nennt man ferner
denjenigen, welcher auf die Wahrung dieser
Rechte bedacht, und ein Verhalten, wie es einer derartigen
Verfassung entsprechend
ist.
In der
Medizin bezeichnet Konstitution
die größere oder geringere
Neigung eines
Individuums oder einer Bevölkerungsgruppe zu gewissen
Erkrankungen und das besondere
Vermögen, diese
Krankheiten leichter oder schwerer zu überstehen. Bei
der individuellen Konstitution
hat man wohl eine robuste oder kräftige, eine debile oder schwächliche, eine floride
oder reizbare, eine torpide oder träge, dann auch eine arterielle, venöse, lymphatische und nervöse Konstitution
unterschieden
und erkennt diese
Formen schon am Körperbau,
Blick, Gesichtsausdruck, an der
Farbe und
Beschaffenheit der
Haut,
[* 3] an den Äußerungen der geistigen Thätigkeit etc. Diese individuelle
Beschaffenheit ist zurückzuführen auf Abstammung
und Lebensweise, aber wohl auch
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mehr
auf Verhältnisse, die noch völlig unbekannt sind und zum Teil bei der Zeugung und während des Fötallebens eingewirkt haben
mögen. Bei den verschiedenen Konstitutionen
kann Gesundheit vorhanden sein, aber wie dieselben allmählich ineinander übergehen,
so finden sich auch Ausschreitungen, welche Allgemeinkrankheiten oder Leiden
[* 5] einzelner Organe bedingen. Dabei zeigen die einzelnen
Konstitutionen
auffällig ungleiches Verhalten gegenüber verschiedenen Krankheiten, ohne daß der Zusammenhang immer deutlich
erkennbar wäre.
Wie aber bei einzelnen Personen, so zeigt sich auch bei Bevölkerungsgruppen, den Bewohnern eines kleinern oder größern
Gebiets eine dauernde eigenartige Neigung zu bestimmten Erkrankungen (endemische Konstitution
), die hier gewissermaßen heimisch sind,
wie Kropf und Kretinismus in manchen Gebirgsgegenden. Hier wirken Klima,
[* 6] Beschaffenheit des Bodens und des
Trinkwassers, die Einrichtungen des Ortes und des Hauses, Nahrung und Erwerbsweise, Sitten und Gebräuche bestimmend, ohne daß
man im stande wäre, im einzelnen Fall die Ursachen mit Sicherheit anzugeben.
Gegenüber dieser dauernden Neigung zu bestimmten Erkrankungen beobachtet man auch eine wechselnde, die epidemische Konstitution, welche das Auftreten und Verschwinden gewisser Krankheiten bedingt. Die großen Volksseuchen des Mittelalters haben jetzt kaum noch Bedeutung, während Typhus und Cholera an ihre Stelle getreten sind und Scharlach und Diphtherie unter unsern Augen an Bedrohlichkeit zunehmen. Auch hier mögen ähnliche und zum Teil dieselben Faktoren wie bei der endemischen Konstitution bestimmend sein; Klima und Bodenverhältnisse haben sich vielfach im Lauf der Jahrhunderte geändert, mehr noch die sozialen Einrichtungen und die ganze Lebensweise, welche wieder einen Wechsel der individuellen Konstitution hervorrief, so daß diese vielleicht in erster Linie zur Erklärung heranzuziehen ist.
Vgl. Liebermeister, Über die Ursachen der Volkskrankheiten (Basel [* 7] 1865);
Österlen, Die Seuchen, ihre Ursachen, Gesetze und Bekämpfung (Tübing. 1873);
Beneke, Die anatomischen Grundlagen der Konstitutionsanomalien der Menschen (Marb. 1878).