Kinemátik
(v. griech. kinema, »Bewegung«),
nach Ampères Bezeichnung (cinématique) die Wissenschaft, deren Inhalt: die Theorie der Bewegungsmechanismen, früher in andern Disziplinen, Geometrie, Mechanik und Maschinenlehre, verstreut behandelt zu werden pflegte. Kurz nach der Gründung der polytechnischen Schule zu Paris [* 2] 1794 fand eine Sonderung der Bewegungsmechanismenlehre von der allgemeinen Maschinenlehre durch Monge und Carnot statt, und die neue Wissenschaft wurde fortan an jener Schule als Unterabteilung der darstellenden Geometrie zunächst von Hachette gelehrt, eifrig gepflegt und gefördert.
Der bedeutsamste Fortschritt, welcher namentlich für den heutigen
Stand der Kinemátik
grundlegend war, erfolgte, als von 1830 an
auf
Ampères Veranlassung durch
Chasles und Poinsot die bereits im vorigen
Jahrhundert von
Euler gegebene geometrische Betrachtungsweise
der
Bewegungen fester
Körper nach ihrem ganzen Wert erkannt wurde. Der vollständig neue
Gesichtspunkt,
unter welchem durch
Eulers
Lehre
[* 3] vom momentanen Drehungspol die
Geometrie der
Bewegung erschien, gab zu wertvollen mathematischen
Arbeiten Anstoß und veranlaßte, daß sich dieselben unter dem
Namen cinématique pure nach Résal 1862 mit einem besondern
Rahmen umgaben, von der gegenüberstehenden cinématique appliquée lossagten und in eine
Richtung gerieten,
welche in
Deutschland
[* 4] von
Redtenbacher eingeschlagen war.
Gegenwärtig ist
Reuleaux der Hauptvertreter der Kinemátik
, die er die
Theorie des Maschinenwesens oder Maschinengetriebelehre nennt
und wesentlich anders als seine Vorgänger behandelt, indem
er den Kausalzusammenhang der Bewegungserscheinungen in der
Maschine
[* 5] aufsucht, beleuchtet und auf ein paar einfache Grundgedanken und kinematische
Elemente zurückführt,
welch letztere er zu Elementenpaaren vereinigt, um diese sodann zu kinematischen
Ketten zu verbinden. Eine bestimmte
Anordnung
dieser
Ketten, nämlich die, »daß jede Stellungsveränderung eines
Gliedes gegen das benachbarte eine Stellungsveränderung
aller andern
Glieder
[* 6] gegen das genannte hervorruft«, nennt er eine geschlossene
Kette. Ist hierin ein
Glied
[* 7]
¶
mehr
festgestellt und damit eine gezwungene absolute Bewegung erreicht, so entsteht der Mechanismus oder das Getriebe [* 9] als Grundlage der Maschine. Der Wert des Reuleauxschen Systems liegt nicht in der Produktion neuer, noch nie angewendeter Mechanismen, sondern darin, daß es ihm gelungen ist, scheinbar sehr verschiedene Mechanismen durch obige Grundgedanken unter gemeinschaftliche Gesichtspunkte zu bringen und so einen innern Zusammenhang herzustellen, durch welchen ein vollkommneres Verständnis und zweckmäßigere Benutzung des reichen vorhandenen Materials ermöglicht ist.
Vgl. Reuleaux, Theoretische Kinemátik
(Braunschw.
1875).
Berühmt sind Reuleaux' kinematische Modelle, welche sich in der technischen Hochschule zu Berlin
[* 10] befinden. Neben Reuleaux haben
namentlich Aronhold und Burmester (»Handbuch der Kinemátik«
, Leipz.
1886) den geometrischen Teil der Kinemátik
oder die kinematische Geometrie gefördert.