Kalewala
Name des finn. Nationalepos, hergeleitet von Kalewa (»Vater der Helden«),
dem Beinamen Wäinämönens, der Hauptgestalt der finnischen Sage. Die drei göttlichen und halbgöttlichen Helden: Wäinämönen, ein zaubermächtiger Sänger und Erfinder der Leier (Kantele), dessen Tönen selbst die Tiere mit Entzücken lauschen, sein Bruder, der Schmiedekünstler Ilmarinen, der die wunderbarsten Dinge durch Zauber aus dem Feuer hervorgehen läßt, und der Gegner beider, Lemminkäinen, der allen Mädchen die Köpfe verdreht, bilden mit ihrem Thun und Treiben den Hauptstoff des Gedichts.
Die Geschichten drehen sich hauptsächlich um zwei Punkte, einmal darum, die Tochter Lonhis, der Wirtin in Pojohla (Lappland?), zur Frau zu erhalten, und sodann, den Sampo zu verfertigen, eine Zaubermühle, welche Mehl, [* 2] Salz [* 3] und Geld auswirft und überall Fruchtbarkeit und Gedeihen verbreitet. Nach großen Anstrengungen gelingt dies dem Ilmarinen, wogegen er sowohl als Wäinämönen in seinen Brautfahrten anfangs unglücklich ist, da Lonhi eine starke Zauberin ist und ihre Tochter die wunderlichsten Bedingungen stellt. Da Ilmarinen dieselben endlich löst, namentlich den Sampo schmiedet, so heiratet ihn die Tochter, bei welcher Gelegenheit die Hochzeitsfeierlichkeiten der Finnen ausführlich beschrieben werden.
Den Sampo holen sie unter vielen
Gefahren nach Wainölä (Kalewala
); doch zerbricht er unterwegs auf dem
Meer, so daß sein
Segen sich verteilt. Die
Darstellung ist in echt epischem
Ton ganz objektiv gehalten, nicht bloß mit geisterhaften
Umrissen zeichnend, sondern mit individualisierender
Kraft
[* 4] die Wirklichkeit bis ins einzelne hin malend. Von der
Landschaft,
den
Tieren und
Menschen des baltischen
Nordens wird ein farbenhelles
Bild entworfen, und auch die Gemütsart der nordischen
Menschen,
»mit der Zärtlichkeit für das
Kleine den
Sinn für das
Große und Maßlose zu vereinen«, tritt überall
hervor.
Das
Innerste aber aller Vorgänge bildet die
Magie und zwar in dem
Grade, daß
Rosenkranz das finnische
Epos andern Nationalepen
gegenüber geradezu als das Zauberepos bezeichnet.
Konzeption und Ausführung der Kalewala
sind noch ganz heidnisch.
Alle
Götter
der
Finnen treten auf: Jumala, der Gott des
Himmels;
Ukko der Alte, der Donnergott;
Ahto, der Wasserfürst;
Tapio, der Waldkönig;
Tuoni, der Todesgott;
Hiifi, das böse Prinzip, etc. Am Schluß des Ganzen aber gebiert eine Jungfrau, Mahrjatto, einen Knaben (offenbar Anspielung auf Jesus), den Wäinämönen töten will, Ukko aber zum König von Karjala erhebt, worauf Wäinämönen mißmutig bis zum Rande des Horizonts fortsegelt, seine Kantele und seine Gesänge dem Suomivolk (Finnen) hinterlassend.
Unter den mannigfachen
Episoden, an welchen die
Dichtung reich ist, sind besonders der hochpoetische
Abschnitt von Kullerwo, die sinnigen Hochzeitslieder und die liebliche Ainosage hervorzuheben. Das
Epos ist in vierfüßigen
reimlosen Trochäen gedichtet und ward in der Form von
Rhapsodien
(Runos) in den ungeheuern
Wald- und Sumpfgegenden,
welche die
Finnen seit uralter Zeit bewohnen, bis in die neueste Zeit mündlich überliefert. Den Bemühungen patriotischer
Männer, vor allen
Lönnrots, ist es gelungen, die einzelnen
Gesänge zu sammeln und als ein
Ganzes herzustellen. Die erste
Ausgabe
des Gedichts, dem
Lönnrot den
Namen Kalewala
gab, erschien 1835 und enthielt 12,000
Verse; die zweite, vermehrte
und berichtigte
Ausgabe, welche 1849 herauskam, zählte in 50
Gesängen 22,793
Verse. Eine schwedische Übersetzung lieferte
Castrén (1841), eine französische Leóuzon le
Duc (in »La Finlande«, Par. 1845, 2 Bde.),
deutsche, nach der zweiten Ausgabe, Schiefner (Helsingf. 1852) und Paul (das. 1885).
Vgl. Jak. Grimm, Über das finnische Epos (in den »Kleinen Schriften«, Bd. 2, Berl. 1865);
Cäsar, Das finnische Volksepos Kalewala
(Stuttg. 1862);
v. Tettau, Über die epischen
Dichtungen der finnischen
Völker, besonders
die Kalewala
(Erfurt
[* 5] 1873).
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