Jeremias Gotthelf
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Jeremias
Albert, unter dem Namen Jeremias Gotthelf bekannter volkstümlicher Erzähler, geb. zu Murten im schweizerischen Kanton Freiburg, [* 3] wo sein Vater deutscher Pfarrer war, besuchte das Gymnasium in Bern [* 4] und widmete sich dann auf der dortigen Universität den theologischen Studien, die er, nachdem er einige Zeit bei seinem Vater als Kandidat vikariert, seit 1821 in Göttingen [* 5] fortsetzte. Nach seiner Heimkehr versah er die Vikariate zu Herzogenbuchsee und an der Heiligengeistkirche in Bern, bis er 1832 die Pfarrei Lützelflüh im Emmenthal erhielt.
Hier beteiligte er sich bald lebhaft an den öffentlichen Angelegenheiten des Kantons und zwar im liberalen Sinn, indem er sich der Opposition gegen das Familienregiment der Berner Aristokratie anschloß. Als später der Radikalismus sein Haupt immer kühner erhob, trat er demselben, ohne seinen frühern Standpunkt zu verlassen, auf das entschiedenste entgegen. Er starb Das eigentliche Feld, welches er besonders seit 1837 als sehr fruchtbarer Schriftsteller bebaute, war das der Erzählung im volkstümlichen Gewand.
Seine sämtlichen hierher gehörigen Schriften sind Volksbücher im eigentlichen Sinn. Sie fesseln nicht nur durch den trefflichen Humor, der in ihnen waltet, sondern zum Teil auch durch die originelle und spannende Erfindung, die sich bei aller Einfachheit der Motive in ihnen kundgibt und die reiche, echt dichterische Begabung des Verfassers beweist. Wenn er auch, seinem Gegenstand und Zweck gemäß, nicht selten die Farben stark, ja oft entschieden zu stark aufträgt, so fehlen die feinern Züge und eigentlich poetischen Stimmungen nicht durchaus, ja in Darstellung gewisser Erschütterungen und Wandlungen des Gemüts ist Bitzius Meister.
Die sittliche Haltung seiner Erzählungen ist rühmenswert, das Vordrängen pädagogischer Tendenzen, einer energischen und zuletzt selbst fanatischen Polemik gegen den schweizerischen Radikalismus, ebenso die aus der Tendenz entspringende grob naturalistische Darstellung sittlicher Gebrechen und äußerer Verkommenheit aber zerstört in vielen Werken die Wirkung. Bei der Übersättigung des Publikums mit Salonlektüre gewannen Bitzius' Erzählungen durch ihre Frische und Originalität einen weiten Leserkreis, wurden meist wiederholt aufgelegt und fanden auch bei den höhern Kreisen der Gesellschaft Eingang und Beifall, besonders seitdem der Verfasser die ursprünglich stark mit Schweizerdeutsch versetzte Ausdrucksweise durch hochdeutsche Umarbeitungen verständlicher machte.
Momentan trat sogar eine gewisse Überschätzung der Gesamtthätigkeit ein, obschon Geschichten wie »Elsi« und »Der Besenbinder von Rychiswil« kaum überschätzt werden können. Die meisten Erzählungen haben einzelne Zustände und Gebrechen des schweizerischen, insbesondere des bernischen, Volkslebens zum Gegenstand; so: »Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen« (Bern 1839) und »Dursli, der Branntweinsäufer« (Burgdorf 1839; hochdeutsch, 2. Aufl., Berl. 1852). Auf Armenwesen und haus- und landwirtschaftliche Angelegenheiten bezüglich sind: »Der Bauernspiegel« (Burgdorf 1836);
»Die Armennot« (Zürich [* 6] 1840);
»Wie Anna Bäbi Jowäger haushaltet« (Solothurn [* 7] 1843, 2 Bde.);
»Der Geltstag« (Berl. 1846).
Allgemeinern Inhalts, doch in demselben Geist geschrieben sind die »Bilder und Sagen aus der Schweiz« [* 8] (Solothurn 1843-46, 2 Bde.),
denen sich die Jugendschrift »Der Knabe des Tell« (Berl. 1846) anreiht, sowie die »Erzählungen und Bilder aus dem Volksleben der Schweiz« (das. 1852-55, 5 Bde.),
die teilweise trefflichen, aber viel zu weit ausgesponnenen und auch zu kraß realistischen »Leiden [* 9] und Freuden eines Schulmeisters« (Bern 1838, 4 Bde.; hochdeutsch, Berl. 1858),
»Jakobs, des Handwerksgesellen, Wanderungen durch die Schweiz« (Zwickau [* 10] 1847),
»Hans Joggeli, der Erbvetter« und »Harzer Hans, auch ein Erbvetter« (Berl. 1848). Den meisten Beifall fanden und zwar mit Recht die Erzählungen: »Käthi, die Großmutter« (Berl. 1847, 2 Bde.);
»Uli, der Knecht« (Zürich und Frauenfeld 1841) und die Fortsetzung dazu: »Uli, der Pachter« (Bern 1849; beide hochdeutsch, 6. Aufl., Berl. 1878).
Satirischen Inhalts und in direkter Beziehung auf Zeitverhältnisse ist »Doktor Dorbach, der Wühler« (Leipz. 1849) geschrieben. Auch die spätern Schriften: »Die Käserei in der Vehfreude« (Berl. 1850) und »Geld und Geist« (das. 1851) sowie »Zeitgeist und Bernergeist« (das. 1852, 2 Tle.),
haben ein spezifisch schweizerisches Interesse. In den letzten Jahren seines Lebens veröffentlichte Bitzius noch: »Erlebnisse eines Schuldenbauers« (Berl. 1854) und »Die Frau Pfarrerin« (das. 1855),
sein letztes Werk, welches in der Gesamtausgabe seiner Werke fehlt. Letztere erschien in 12 Bänden (Berl. 1856-57; 2. Aufl., das. 1861, 24 Bde.). Eine Auswahl von Bitzius' »Erzählungen« gab sein Sohn Albert heraus (2. Aufl., Berl., 1878, 3 Bde.).
Vgl. Manuel, Bitzius, sein Leben und seine Schriften (in der Gesamtausgabe von Bitzius' Schriften, Berl. 1857);
Brockhaus, Jeremias Gotthelf, der Volksschriftsteller (das. 1876). -
Sein Sohn Albert Bitzius, geb. zu Lützelflüh, entwickelte als Pfarrer zu Twann am Bieler See eine rege Thätigkeit für die Sache der Sozialreform und wurde infolgedessen 1878 als Rat in der Regierung des Kantons Bern mit der Leitung des Erziehungs- u. Gefängniswesens betraut. Er starb in Bern.