Titel
Jansen
,
1) Cornelius, berühmter holländ. Theolog, geb. zu Acquoi bei Leerdam, widmete sich seit 1602 dem Studium der Theologie, ward 1630 zu Löwen [* 2] Professor der Theologie und lehrte als solcher den strengen Augustinismus, besonders in Bezug auf die Lehre [* 3] vom freien Willen und der göttlichen Gnade, wodurch er mit den Jesuiten in Streit geriet. 1636 ward er Bischof von Ypern, starb aber schon nachdem er sein berühmtes Werk »Augustinus, sive doctrina Sti. Augustini de humanae naturae sanitate, aegritudine, medicina etc.« (1640), woran er 22 Jahre lang gearbeitet, eben vollendet hatte.
Dasselbe erklärte die
Philosophie, insbesondere die
Aristotelische, als die
Mutter der Pelagianischen
Irrlehre und behauptete
in streng Augustinischer
Weise die gänzliche Verderbnis der menschlichen
Natur und des freien
Willens nebst
der
Prädestination. Diese Denkweise nannte man nun
Jansenismus und ihre Anhänger Jansenisten;
ihre eifrigsten Gegner waren
von Anfang an die
Jesuiten. Auf deren Betrieb wurde das
Buch 1642 vom
Papst
Urban VIII. durch die
Bulle In eminenti verdammt,
da es Glaubenssätze lehre, welche schon zu den 1567 verurteilten Irrtümern des
Bajus (s. d.) gehört hätten. Diese
Bulle
erfuhr aber von seiten der
Bischöfe und
Universitäten, namentlich der
Universität
Löwen, erheblichen
Widerspruch.
Noch anhaltender
war der
Widerstand in
Frankreich; das
Kloster
Port-Royal des
Champs unter der jansen
istisch gesinnten Äbtissin Angelika
Arnauld (gest. 1661) ward Hauptsitz des
Jansenismus, welchen nun berühmte
Gelehrte wissenschaftlich ausbildeten. Zu diesen
gehörte der
Abt von St.-Cyran,
Jean du
Vergier de Hauranne, welcher in
Löwen während seiner Studienzeit in enger
Verbindung
mit J. gestanden hatte; seit 1635
Beichtvater in
Port-Royal, ließ ihn
Richelieu 1638-1643 einsperren; er starb
einige
Monate nach seiner
Freilassung.
Sein
Schüler war
Antoine
Arnauld (s. d. 2), dessen
»De la fréquente communion«, gegen die laxe
Theorie der
Jesuiten von der
Buße
gerichtet, in
Rom
[* 4] verurteilt wurde. Als nun
Papst
Innocenz X. fünf
Sätze
aus Jansens
Buch im Mai 1653 als calvinistische Ketzerei
verdammte, erklärte
Arnauld, daß diese
Sätze in dem
Sinn, in welchem
sie der
Papst verdammt habe, vom Verfasser
nicht geschrieben worden seien, was ihm den Ausschluß aus der
Sorbonne 1656 eintrug. Gleichzeitig erklärte
Papst
Alexander
VII., daß jene
Sätze allerdings in dem von J. beabsichtigten
Sinn verdammt worden seien.
Die Genossen von Port-Royal und vier Bischöfe wandten ein, daß dies eine rein historische Frage über eine Thatsache (question du fait) sei, worüber die Kirche nicht mit höherer Autorität entscheiden könne als die Wissenschaft. Während so der Streit die Machtvollkommenheit des Papstes selbst berührte, kämpften die Schriftsteller von Port-Royal für die Augustinische Lehre mit gleichem Ernst wie zuvor und erhoben insbesondere gegen die jesuitische Moral schwere Anklagen, allen voran Blaise Pascal (s. d.), dessen »Provinzialbriefe« (1656 u. 1657) die laxe Moral und Kasuistik der Jesuiten mit ebensoviel Witz wie sittlichem Pathos geißelten.
Sein Freund Peter Nicole (1625-1695),
der sich 1650 ebenfalls nach
Port-Royal zurückgezogen und seit 1654 an
allen
Schritten der Jansenisten
beteiligt war, übersetzte die
»Provinzialbriefe« ins
Lateinische. Als nun von den Bewohnern
von
Port-Royal und den übrigen Jansenisten
die
Unterschrift zu der
Erklärung
Alexanders VII. gefordert wurde, zeigte sich
Pascal
als der entschlossenste
Geist, indem er riet, daß man die offene
Erklärung abgebe, der
Papst befinde sich
hinsichtlich des
Dogmas geradezu im
Irrtum.
Pascal starb bald darauf (1662),
Arnauld und Nicole mußten 1679
Frankreich mit den
Niederlanden vertauschen. Im
Interesse des
Kirchenfriedens kam 1668 unter des
Papstes
Clemens IX. Mitwirkung ein
Vergleich zu stande, wonach die Angelegenheit mit der
Erklärung der
Bischöfe, die verurteilten
Sätze seien zwar verdammlich, aber nicht die
Sätze Jansens
,
auf sich beruhen sollte. Auf Veranlassung
Ludwigs XIV. erließ jedoch
Clemens XI. die
Bulle Vineam domini, die sich wieder ganz
auf den Standpunkt
Alexanders VII. stellte; da die
Nonnen von
Port-Royal dieser
Bulle ihre Zustimmung versagten, wurde das
Kloster
auf päpstliche
Verordnung hin 1709 aufgehoben und 1710 völlig zerstört.
Dazu kam als neues Streitobjekt das
Neue Testament des
Paschasius
Quesnel (s. d.), welches, 1687 erschienen, mit moralischen
Betrachtungen ausgestattet, den
Jansenismus im
Volk verbreiten sollte. Die
Jesuiten setzten nicht allein das Verbot des
Buches
und die Ausstoßung
Quesnels aus dem
Oratorium durch, sondern erwirkten auch 1713 vom
Papst
Clemens XI. die
Konstitution
Unigenitus, worin 101
Sätze des Quesnelschen
Neuen
Testaments, darunter
Aussprüche der
Bibel
[* 5] und der
Kirchenväter,
weil sie jansen
istisch gedeutet werden konnten, verdammt wurden.
Ein ansehnlicher Teil des französischen Klerus, die sogen. Antikonstitutionisten, an ihrer Spitze der Erzbischof von Paris, [* 6] Kardinal Noailles, verweigerte jedoch die Annahme der Konstitution, bis der Papst die nötigen Erläuterungen dazu gegeben haben würde, und legte, als der Papst mit Exkommunikation drohte, 1717 Appellation an ein zu berufendes allgemeines Konzil ein. Aber 1719 erging in dem Breve Pastoralis officii die Exkommunikation über alle, welche sich der Bulle nicht unterwerfen würden. Das Parlament jedoch wies das Breve zurück; von seinem Minister Dubois, den nach dem Kardinalshut [* 7] gelüstete, umgestimmt, dekretierte nun der Regent, der Herzog von Orléans, [* 8] 1720 die Annahme der Bulle ¶
mehr
für Frankreich, und jetzt nahm das Parlament die Bulle unter dem Vorbehalt der Rechte der Krone und der Freiheiten der gallikanischen Kirche an. In derselben Weise unterzeichnete auch Noailles die Bulle. Alle, welche seinem Beispiel folgten, hießen Acceptanten; die Nichtacceptierenden traf harte Strafe. Als aber Papst Benedikt XIII. die unbedingte Annahme der Bulle Unigenitus auf einer Synode zu Rom (1725) forderte, sah sich Noailles (1728) zu vollständiger Unterwerfung genötigt, und das Parlament ward durch einen Akt der königlichen Souveränität (lit de justice) zur Einregistrierung derselben als Reichsgesetz (1730) gezwungen. Schon vor seiner nunmehr erfolgenden gänzlichen Unterdrückung war der Jansenismus vielfach in Mystizismus umgeschlagen (s. Konvulsionäre).
In gesunder Gestalt dagegen hat er sich fortgepflanzt in den Niederlanden, wohin sich die Jansenisten
aus Frankreich flüchteten.
Nachdem schon früher die Erzbischöfe von Utrecht
[* 10] der jesuitischen Moral und Praxis Widerstand geleistet und deshalb oft Gegenstand
jesuitischer Verdächtigungen in Rom gewesen waren, kam es unter dem Erzbischof Codde (gest. 1710), welcher
wenigstens im Punkte der Question du fait jansen
istisch dachte, 1703 zum Bruch, indem Codde abgesetzt, das päpstliche Urteil
vom Utrechter Kapitel jedoch nicht anerkannt wurde.
Ein nach 13jährigem Interregnum gewählter Nachfolger, Cornelius Steenowen, erhielt die päpstliche Bestätigung nicht, und so kam es 1723 zur Gründung eines eignen, öffentlich anerkannten Kirchenwesens, dem der Erzbischof von Utrecht und die Bischöfe von Haarlem [* 11] und Deventer vorstehen. Sie und ihre Anhänger erklärten sich zwar ihrem Glauben nach für Glieder [* 12] der katholischen Kirche, erkannten auch den Papst als sichtbares Oberhaupt der Kirche an, verwarfen aber seine Infallibilität und die Bulle Unigenitus.
Mehrere päpstliche Breven (1765, 1778) verdammten diese Beschlüsse, und Papst Leo XII. belegte den neuerwählten Bischof von Utrecht und den Bischof von Deventer (1825) mit dem Bann. Es wird jede Neuwahl eines Bischofs der »Kirche von Utrecht« zu Rom angezeigt und hier regelmäßig mit einem Bannfluch beantwortet. Dieser Kirche gehören jetzt etwa noch 27 Gemeinden mit etwa 8000 Seelen in Holland an. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat sich ihnen namentlich wieder infolge ihrer Verwerfung sowohl der 1854 von Pius IX. oktroyierten Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariä als auch der Neuerungen des vatikanischen Konzils und ihrer Verbrüderung mit dem Altkatholizismus zugewendet, welcher die »Kirche von Utrecht« des Jansenismus im dogmatischen Sinn ledig sprach und sich ganz auf eine Grundlage mit ihr stellte.
Vgl. Reuchlin, Geschichte von Port-Royal (Hamburg [* 13] u. Gotha [* 14] 1839-44, 2 Bde.);
Nippold, Die altkatholische Kirche des Erzbistums Utrecht (Heidelb. 1872);
Schill, Die Konstitution Unigenitus (Freiburg [* 15] 1876);
Sainte-Beuve, Port Royal (4. Aufl., Par. 1878, 7 Bde.);
Fuzet, Les Jansénistes
du XVII. siècle (das. 1877).