Isis
,
[* 3] ursprünglich ägypt. Göttin, deren Begriff und Kult durch asiatischen und griechischen Einfluß im Lauf der Zeit mannigfachen Modifikationen unterlagen. In der urägyptischen Anschauung galten I. und Osiris [* 4] (s. d.) als die Repräsentanten des Nillandes und des dasselbe befruchtenden Stroms, und die Erinnerung an diese urägyptische Bedeutung zieht sich durch alle Wandlungen, welche diese Gottheiten im Lauf der Zeit erfahren haben. Osiris, der Nilgott, veranlaßt den Gebrauch des Pflugs, und I. erfindet die Behandlung des Weizens und der Gerste. [* 5]
Die Erde, nämlich diese als Nilland gedacht, dem alle Bildungen des Lebens entsprungen sind, ist der Leib der I. Mit Osiris ehelich verbunden, ist letztere das vom Nil befruchtete Land. Typhon, das Symbol des Feuerkults, stört durch sein Dazwischentreten den stillen Frieden des harmlosen Götterpaars. Osiris wird von ihm überlistet und getötet, von I. betrauert und gesucht (d. h. das Nilland dürstet nach dem Segen des Wassers). In ihrem Sohn Horos [* 6] (s. d.) ersteht dem Vater ein Rächer.
Infolge des von Syrien und Assyrien her eindringenden Sonnenkults mit seinen sinnlichen Symbolen gestaltete sich Osiris zum strahlenden Sonnengott, I. zur gehörnten Mondgöttin um. Als solche erhielt I. die ganze umfassende Bedeutung, welche die Alte Welt diesem Gestirn beilegte. Sie ist der Dämon, der die Zu- und Abnahme des Flusses, die Anschwellung der Kanäle leitet; ihre Thränen schwellen den Strom und befruchten das Land. Sie ist, wie Demeter, [* 7] Spenderin der Nahrung, erfindet den Gebrauch von Weizen, Gerste und Lein; sie ist ferner, wie Demeter, Göttin der Unterwelt, beherrscht mit Osiris das Leben auch noch nach dem Tod und hat die Schlüssel des Schattenreichs in ihren Händen.
Weil sie aber auch den Kranken Heilmittel im Traum angibt, so finden in ihren Tempeln Inkubationen statt, besonders von Blinden. Auch ist sie Geburtshelferin, wie alle Mondgöttinnen. Sie tritt ferner, wie Demeter, unter die Gottheiten der sittlichen Weltordnung ein: sie wird Gesetzgeberin, Stifterin der Ehe und Erhalterin der Staaten etc.;
kurz, sie wird allmählich ein Wesen von der umfassendsten Bedeutung.
Aber auch von der verderblichen Seite zeigt sie sich; sie bewirkt namentlich Blindheit, Schwellen des Körpers und andre leibliche Leiden. [* 8] Dann ist sie auch die Göttin der Rache, die ägyptische Nemesis, die besonders den Meineid straft. Nachdem Alexandria Sitz des Welthandels geworden, beherrscht ¶
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I. auch das Meer; sie erfindet das Segel, wird besonders an Handelsplätzen verehrt, und die durch sie vom Schiffbruch Geretteten stiften ihr Votivtafeln (daher ihr Name Pelagia, Pharia). Auch ist sie Beraterin in Liebesintrigen, die sie in ihren Tempeln begünstigt, so daß dieselben oft berüchtigte Häuser der Wollust werden. Endlich wird sie zur Fortuna, aber nicht zur blinden, sondern zur sehenden, die das verwickelte Netz der Geschicke mit weiser Umsicht entwirrt und die verderblichen Einflüsse der Gestirne abwehrt.
Ihre Hauptverehrungsstätte war Memphis; in Sais hatte sie ein verschleiertes Bild mit der Inschrift: »Ich bin das All, das gewesen, das ist und das sein wird; kein Sterblicher hat meinen Schleier gelüftet«.
Zeugnisse der Alten, Namenbildungen
mit I., zahllose Inschriften beweisen, daß sie auch allenthalben, wo hellenisches Wesen Eingang fand, verehrt wurde. In Rom
[* 10] kam der Isis
dienst zu Sullas Zeiten auf. Zwar wurde derselbe wegen des dadurch gegebenen Anstoßes durch einen Senatsbeschluß
vom Kapitol wieder verbannt, später auch der Privatkult der I. und des Serapis verboten, sogar der Tempel
[* 11] derselben niedergerissen;
aber eben diese öfters wiederholten gewaltsamen Reaktionen beweisen, welchen Anklang der Isiskult
in Rom gefunden.
Gleichwohl kam erst mit den Kaisern aus dem Flavischen Haus eine günstigere Zeit für den ägyptischen
Kult. Domitian gründete ein Iseum und Serapeum, und seitdem wetteiferten die Kaiser in Begünstigung und Verherrlichung des
Isis
dienstes, den erst das aufkommende Christentum, wenn auch nur langsam, verdrängte. Der Kult der Göttin bestand in Lustrationen,
Festzügen, geheimen, oft zu sinnlicher Lust mißbrauchten Weihen. Griechen wie Römer
[* 12] pflegten im Frühling, sobald
das Meer wieder schiffbar geworden war, einen feierlichen Umzug zu halten und der Göttin ein Schiff
[* 13] darzubringen (Navigium
Isidis, 5. März). Tacitus berichtet, daß auch die Sueven der I. geopfert hätten, wobei natürlich nur eine germanische Gottheit
anzunehmen ist, deren Name uns verloren gegangen (Grimm
denkt an Berchta oder Holda).
Das Dienstpersonal der Göttin zerfiel in mehrere Grade und Klassen: einfache Eingeweihte, niedere Ministranten und Pastophoren oder eigentliche Priester. Die Lebensweise derselben war vielen Geboten der Enthaltsamkeit unterworfen; sie durften kein Schweine- und Schaffleisch, keine Bohnen und Zwiebeln essen, auch keine Fische, [* 14] mußten oft baden, hatten die Tonsur und trugen leinene Kleidung. Auf ägyptischen Denkmälern trägt I., die oft mit dem jungen Horos auf dem Schoß dargestellt wird [* 3] (Fig. 1), eine Geierhaube, Kuhhörner und dazwischen die Mondscheibe. Da ihr heiliges Tier die Kuh ist, tritt sie auch kuhhäuptig auf. Die alexandrinisch-römische Kunst hat sie wesentlich umgeformt, ihr die steif gefaltete Tunika und ein mit Fransen besetztes, auf der Brust geknotetes Obergewand gegeben, dazu das Sistrum [* 15] (s. d.) und auf dem Haupte die Mondscheibe. Neben ihr steht gewöhnlich der Knabe Horos (Harpokrates) mit dem Zeigefinger auf dem Mund und dem Füllhorn in der Linken. So z. B. in der Münchener Gruppe [* 3] (Fig. 2). S. auch Tafel »Bildhauerkunst [* 16] IV«, [* 17] Fig. 15.
[* 3]
^[Abb.: Fig. 1. Isis
mit Horos (Berliner
[* 18] Museum).]
[* 3]
^[Abb.: Fig. 2. Isis
und Horos (Harpokrates). München.]
[* 19]