I.
Rom
[* 2] unter
den
Königen.
Die aus dem
Altertum überlieferte Geschichte
Roms weiß die Entstehung des röm.
Staates mit
Jahr und
Tag zu bestimmen, wobei freilich das Jahr verschieden
berechnet wird, und setzt die Gründung der Stadt selbst in
Verbindung mit einer weit ausholenden
Vorgeschichte. Sie läßt
Rom
21. April, nach
Varros Berechnung im 3. Jahre
der 6. Olympiade = 753 v.Chr., von den
Zwillingsbrüdern
Romulus (s. d.) und Remus gegründet werden
, setzt dabei
Rom in
Beziehung
mit
Albalonga, einer Stadt der Latiner im
Albanergebirge, diese wieder mit Lavinium und endlich Lavinium selbst mit
Troja:
[* 3] trojanische Einwanderer unter
Äneas sollen sich mit den
Ureinwohnern Latiums, den sog. Aborigines, vereinigt haben. (S.
Lateiner.) Daneben berichten andere Überlieferungen von ältern, vor
Romulus bestehenden
Ansiedelungen auf röm.
Boden durch
die
Götter
Janus,
[* 4]
Saturn, Faunus, den Arkader
Evander.
Dieser ganze Kreis [* 5] von Erzählungen ist aber nicht nur in seinen rein sagenhaften Elementen, sondern auch da, wo er die Form geschichtlicher Thatsachen annimmt, zum größten Teil zu verwerfen. Er ist in der uns vorliegenden Fassung das Werk schriftstellerischer Erfindung und Komposition. Auch die neuere Forschung über röm. Geschichte sucht jedoch über Rom selbst hinauszugehen und seine Entstehung aus den Verhältnissen Latiums zu begreifen, aber in ganz anderer Weise.
Sie sucht vor allem die röm. Nationalität festzustellen. Nach der Überlieferung war die Bevölkerung Roms von vornherein in drei Stämme (Tribus) eingeteilt, die Ramnes, Tities und Luceres, in denen man verschiedene Bevölkerungselemente, Latiner, Sabiner, Etrusker (oder wieder Latiner, die Bewohner des zerstörten Albalonga) zu erkennen glaubte, aber die neueste Forschung hat diese Überlieferung als recht jung (auf Varro zurückgehend) nachgewiesen und stark angefochten.
Jene angeblichen Stämme begegnen zunächst nur als in ihrem Ursprung nicht mehr bestimmbare Abteilungen der röm. Ritterschaft. Die Römer [* 6] sind wie ihre Sprache, [* 7] wie die gute alte Überlieferung beweist, ihrem Hauptelement nach Latiner; wahrscheinlich ist im Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. eine neue Wohnstätten suchende Latinerschar nach der Stätte des spätern Roms vorgedrungen. Sie fand dort bereits, wie nach topogr. Gesichtspunkten und der mit diesen übereinstimmenden Überlieferung angenommen werden kann, auf dem Quirinal und dem Kapitol eine Niederlassung, die ¶
mehr
949 gewöhnlich, allerdings ohne entscheidenden Grund, als sabinisch gilt, und nach längern Kämpfen wuchsen beide zu einem Staat zusammen. Die staatlichen Voraussetzungen Roms sind demnach dieselben wie überhaupt in Latium und Italien [* 9] um diese Zeit. Es ist eine latinische Gaugemeinde, ohne doch dem Bund der Latiner anzugehören, in Kurien (angeblich 30), Geschlechter (gentes, angeblich 300) und Haushaltungen (familiae, angeblich 3000) sich gliedernd. Viehzucht [* 10] und Ackerbau bilden die Hauptbeschäftigung, erst nach und nach entwickelt sich der Handel; aber die Wohnstätte ist gemeinsam, genau vermessen und eingeteilt und mit Mauer oder Wall befestigt. Daß man die Wohnstätte an einem weder besonders fruchtbaren, noch besonders gesunden Orte aufschlug, hat wohl die Lage an dem großen, bis dorthin schiffbaren Tiberstrom veranlaßt. Eben diese Lage ist von bedeutendem, vielleicht entscheidenden Einfluß auf Roms Geschichte geworden.
An der Spitze des kleinen Staates steht zunächst ein König (Rex, s. d.). Die Überlieferung zählt deren sieben auf, die sich
in zwei größere Gruppen teilen: einmal die nationalen Könige Romulus, Numa Pompilius, Tullus Hostilius, Ancus Marcius und
die eingewanderten etrusk. Tarquinier, Tarquinius Priscus und Tarquinius Superbus, zwischen beiden Tarquiniern wahrscheinlich
als der jüngste eingeschoben Servius Tullius. Über die den verschiedenen Königen
zugeschriebenen Thaten s. die Einzelartikel.
Romulus erscheint als der Gründer des politischen, Numa als der Gründer des sakralen Roms. Den übrigen
Königen
werden meist bestimmte Erfolge gegenüber den Nachbarvölkern (Latinern, Sabinern, Etruskern, Volskern) zugewiesen.
Tullus Hostilius zerstört Albalonga, Ancus Martius sichert die Tibermündung für Rom und gründet Ostia. – Als äußeres Resultat
der Königszeit ergiebt sich allerdings ein stetiges Wachsen der röm. Macht. Die Zerstörung von Albalonga,
des Vorortes der Latiner, ist eine kaum anfechtbare histor.
Thatsache; Rom hat sich auf Kosten der umliegenden Latinerstädte ausgedehnt und schließlich, angeblich schon unter
Servius Tullius,
gleichberechtigt mit dem latinischen Gesamtbund ein Bündnis abgeschlossen. Der aus dem ersten Jahr der Republik (509)
stammende erste Handelsvertrag Roms mit Karthago
[* 11] nennt als röm. Gebiet: «Ardea, Antium, Laurentum, Circeji, Terracina und andere
unter
thänige Latinerstädte.» Diese große und rasche Machtentfaltung hat Rom vielleicht mit seinen engen Beziehungen zu den
damals die nördl. Westhälfte des Mittelmeers
[* 12] beherrschenden Etruskern in der letzten Königszeit zu danken.
Die Tarquinier sind als Geschlecht sicher historisch und sicher etruskisch, mögen sie nun aus Etrurien
eingewandert sein oder mag ihre Herrschaft eine Abhängigkeit Roms von Etrurien andeuten. Auch kulturell haben die Etrusker
Rom stark beeinflußt in Religion, Baukunst
[* 13] (die gewaltigen, den Tarquiniern zugeschriebenen Bauten des kapitolinischen Jupitertempels
und der Cloaca maxima, der Mauerbau des Servius Tullius), überhaupt im Handwerk, in der Verfassung. Sehr
bedeutend (und das weist auf eine frühe Selbständigkeit Roms, trotz des etrusk. Einflusses) sind aber auch die Einwirkungen
der unter
ital. Griechen, namentlich Cumäs, auf Rom gewesen. Von hier haben sie die Buchstabenschrift in der Königszeit unmittelbar
erhalten; Maß und Gewicht zeigen mit dem karthagisch-sicilischen die
engste Verwandtschaft. Mit Massalia
und Delphi unter
hielten die Könige Verbindung.
Im Innern bildete sich während der Königszeit die Gliederung und Gruppierung der Bürgerschaft, wie sie uns in der spätern Zeit entgegentritt: Patriciat (s. Patricier) und Plebs (s. d.), Senat und Volk. Außerdem schreibt die Überlieferung dem Könige Servius Tullius die Verteilung aller Bürger in bestimmte Heeres- und Steuerklassen zu. Ganz natürlicherweise hat das Königtum gegenüber dem nach Anteil am Regiment strebenden Senat und Patriciat, den Geschlechtern, seine Stütze in der Plebs gesucht und gefunden.
Daß schließlich doch das Königtum gestürzt wird, ist zum großen Teil wohl ein Werk der Geschlechter, die vielleicht neben anderm den fremden Ursprung des letzten Königs Tarquinius Superbus benutzt haben, um die Plebs von der Parteinahme für den König abzuhalten. Inwieweit freilich die Abschaffung des Königtums eine Befreiung von etrusk. Fremdherrschaft war, inwieweit sie mit dem allgemeinen Zurückdrängen der Etrusker in jener Zeit in Beziehung steht, muß wie alle Einzelheiten der Revolution vorläufig unentschieden bleiben; die Sage hat den Vorfall zu sehr verdunkelt. Als letztes Jahr der Königsherrschaft gilt nach der Überlieferung das J. 510.