Hussiten
und Hussiten
kriege. Infolge der
Verurteilung und
Hinrichtung
Huß' (s. d.) in
Konstanz
[* 2] steigerte
sich die Aufregung und
Bewegung in
Böhmen
[* 3] auf das höchste. 452
Herren und
Ritter hingen ihre
Siegel dem Schreiben an das
Konzil
an, in welchem gegen die Beschuldigung der Ketzerei Verwahrung eingelegt wurde. Indessen entbehrten die neuen
Lehren
[* 4] noch
vollständig einer Form der Gemeinsamkeit, und der gänzliche Mangel positiver kirchlicher Einrichtungen
erklärt das bald unter den Anhängern des
Huß eingetretene Sektenwesen.
Das einzige
Symbol des neuen
Glaubens sprach sich in der von
Jakob von
Mies zuerst und schon bei Lebzeiten
Huß' gestellten
Forderung
des Laienkelchs aus, welcher zwar vom
Konstanzer Konzil ausdrücklich verboten, aber von den Hussiten
in
Böhmen nur
um so eifriger verteidigt wurde. Im übrigen stellten die
Prager Theologen vier
Artikel auf, welche als Grundlage
der reformierten böhmischen
Kirche gelten sollten, die aber von andern
Parteien, welche gemeiniglich unter dem
Namen der
Taboriten
zusammengefaßt werden, als zu gemäßigt verworfen und durch andre zwölf
Artikel ersetzt wurden.
Die
Forderungen der vier
Artikel beschränkten sich auf die
Predigt des
Evangeliums in böhmischer
Sprache,
[* 5] Laienkelch, Herstellung
der
Kirchenzucht, Abschaffung des weltlichen
Besitzes der
Geistlichen, während die weiter gehenden
Parteien gänzliche
Reformation
des
Gottesdienstes, Aufhebung der
Sakramente, Abschaffung des Priesteramtes und Ähnliches verlangten, woraus sich
eine ganze Stufenleiter von
Sekten entwickelte bis zu den
Adamiten, welche in
Böhmen und
Mähren verbreitet waren und wirklich
den paradiesischen
Traum ins
Leben führen wollten. Von eingreifender Bedeutung bleiben aber immer nur die beiden Hauptrichtungen
der
»Prager« und der
»Taboriten«.
Zu gewaltsamen
Auftritten war es zuerst in
Prag
[* 6] und gleichzeitig in
Breslau
[* 7] wenige
Wochen vor
Wenzels
Tod gekommen,
denn noch waren die
Stadträte von konservativen und zur Hälfte deutschen Männern besetzt. Am stürmte der
Pöbel
das
Rathaus in
Prag und warf 13
Räte nebst dem
Richter aus den
Fenstern in die
Spieße der unten tobenden
Menge.
Indem nun aber
Siegmund als
Erbe seines
Bruders seine Anrechte auf die böhmische
Krone geltend machte, traten zu den religiösen
Gegensätzen politische Schwierigkeiten hinzu, welche
Kaiser
Siegmund erst am Ende seines
Lebens zu besiegen vermochte.
Während der Letztgenannte mit den Vertretern der Länder und mit den Pragern um seine Krone unterhandelte, entbrannte der Bürgerkrieg allerorten, wurden über 500 Kirchen und Klöster zerstört und die ausgesuchtesten Greuel verübt. In Mähren und Schlesien [* 8] erlangte Kaiser Siegmund die Huldigung, und von Breslau führte er ein Kreuzheer gegen die Böhmen, unterstützt von deutschen Fürsten und von den Legaten des Papstes. Er vermochte jedoch Prag nicht einzunehmen, erlitt am Ziskaberg eine schwere Niederlage und mußte endlich auch den Wyschehrad preisgeben (1420). Die Anführer der Taboriten waren Niklas von Hussinetz und Ziska (Žižka) von Trocznow.
Das Bemühen des
Kaisers ging nunmehr dahin, den böhmischen
Krieg zu einer Reichssache zu machen, um auf diese
Weise die
Kräfte
der
Fürsten und
Städte zur Erlangung der böhmischen
Krone in Anspruch nehmen zu können. Auf den
Reichstagen war aber der
Eifer für die Angelegenheiten
Böhmens nicht groß, und was die
Fürsten etwa im einzelnen dem
Kaiser zu gewähren bereit waren,
wollten sie auch nicht ohne bestimmte politische Vorteile thun, welche ihnen
Siegmund aber nicht einräumen
mochte. So nahmen denn die Reichskriege gegen die Hussiten
einen sehr kläglichen Verlauf, welcher den tiefen
Verfall der
Kriegsverfassung des
Deutschen
Reichs zeigte, hauptsächlich aber auf Rechnung des Widerwillens zu setzen ist, den
man in
Deutschland
[* 9] gegen eine
Sache hegte, in welche neben den
Ungarn
[* 10] bald auch die
Polen und Litauer verflochten wurden, und
die man von
Rom
[* 11] aus mit geistlichem
Fanatismus betrieb. Auf den
Reichstagen wurden zwar wiederholt Beschlüsse gefaßt; aber
die Reichsheere, welche aufgeboten worden waren, vermochten bei dem Mangel einheitlicher
Führung keine Erfolge zu erzielen.
In vielen
Schlachten
[* 12] wurden die
Deutschen geschlagen, am entscheidendsten bei
Deutsch-Brod 1422 und
¶
mehr
bei Aussig 1426. Obwohl Ziska gestorben war, hatten die Hussiten
doch in den beiden Prokop, »dem Größern« und »dem
Kleinen«, ebenbürtige Führer gewonnen und gingen in den nächsten Jahren sogar zum Angriff gegen die benachbarten deutschen
Länder über. Schlesien, Sachsen
[* 14] und Franken hatten unter ihren Kriegszügen am meisten zu leiden. Man zählte
über 100 Städte und Burgen
[* 15] wie 1500 Dörfer und Weiler, welche durch die Hussiten
zerstört worden sein sollen. Unter diesen
Umständen wurde 1431 zu Nürnberg
[* 16] ein neuer Reichskrieg beschlossen; aber die Niederlage seiner Truppen bei Taus überzeugte
den Kaiser von der Nutzlosigkeit einer Fortsetzung des Kriegs und ließ es geraten erscheinen, den schon
öfters, zuletzt vor der Schlacht bei Taus, durch den Kardinal Julian Cesarini mittels eines Manifestes versuchten Weg von Verhandlungen
mit den gemäßigtern Parteien der Hussiten
zu betreten.
Siegmund lud daher zunächst die Vertreter der kalixtinischen Richtung, welche noch an den vier Artikeln der Prager festhielten, aber auch die Taboriten zu dem Konzil von Basel [* 17] ein, welches sich eben versammelt hatte. Eine große Gesandtschaft, an deren Spitze Johann Rokytzan und Prokop d. Gr. standen, erschien und legte dem Konzil das Glaubensbekenntnis der gemäßigten Kalixtiner vor. Obwohl es zu einer Vereinbarung nicht kam, so traten sich die Parteien doch näher, und das Konzil beschloß nach der Abreise der Böhmen, eine Gesandtschaft nach Prag zu senden, wo auf Grund der vier Artikel die sogen. Böhmischen oder Prager Kompaktaten (s. d.) abgeschlossen wurden. Da sich jedoch die Taboriten denselben nicht unterwarfen, so kam es zum Kampf mit den Kalixtinern unter oberster Führung Meinhards von Neuhaus, in welchem die erstern allmählich erlagen.
In der Schlacht bei Lipan und Hrib (Hřib) unweit Kauřim und Böhmisch-Brod fielen die beiden Prokop zugleich
mit der Sache, welche sie treu verfochten. Mit der Unterordnung der kalixtinischen oder gemäßigten Hussiten
unter die Kirche war indes ihre Unterwerfung unter Siegmund als ihren Erbkönig noch nicht ausgesprochen. Die böhmischen
Stände
verlangten zuvörderst die Bestätigung der Kompaktaten von seiten des Kaisers, und auch als er diese gegeben, wollten sie
erst die Sache in nähere Überlegung ziehen.
Der Landtag zu Prag entwarf darauf in 14 Artikeln die Bedingungen der Huldigung Danach sollte
der Kaiser die vom Konzil genehmigten vier Prager Artikel bestätigen und genau beobachten lassen, an seinem Hof
[* 18] hussitische Prediger
haben, die Böhmen nicht zum Wiederaufbau der zerstörten Klöster zwingen, keinen Fremden in den Rat setzen,
die Prager Universität herstellen, niemand zur Aufnahme von Mönchen anhalten etc. und eine allgemeine Amnestie bewilligen. Auf
Grund dieser Artikel erkannten auf dem Landtag zu Prag die böhmischen
und mährischen Stände Siegmund einmütig als König an.
Da auch die verlangten Milderungen des Artikels von den Kirchengütern vom Konzil zugestanden wurden, so
stand der völligen Aussöhnung nichts mehr im Weg, und es erteilte daher Siegmund zu Stuhlweißenburg
[* 19] die Versicherung,
daß er die vereinbarten vier Prager Artikel halten und den Böhmen und Mähren wider alle, die sie antasten würden, mit seiner
ganzen Macht beistehen wolle. Auf einem Landtag zu Iglau
[* 20] beschwor er darauf (5. Juli) vor den Ständen und den
Abgesandten des Konzils nebst seinem Schwiegersohn Albrecht von Österreich
[* 21] die Kompaktaten, und Johann Rokytzan wurde
als Erzbischof
von Prag anerkannt und bestätigt. Nun erst hielt Siegmund seinen Einzug in Prag und empfing die Huldigung.
Auch die Taboriten versprachen, Ruhe zu halten. Nur ein einziger Ritter, Johann von Rohač, mit seinen taboritischen Genossen auf der Burg Sion bei Maleschau und der Stadtrat von Königgrätz [* 22] unter Führung des hussitischen Priesters Ambrosch zweifelten an Siegmunds aufrichtiger Gesinnung und verweigerten ihm den Gehorsam. Der ganze Adel aber zog gegen die Widersetzlichen, worauf sich die Stadt dem König ergeben mußte und der unglückliche Rohač mit seinen Genossen am Galgen büßte.
Aber bald zeigte sich, daß er und die Seinigen mit Recht Argwohn gehegt hatten: Siegmund berief fremde Domherren und Mönche
verschiedener Orden
[* 23] nach Prag und stellte den katholischen Gottesdienst mit seinen Zeremonien wieder her.
Rokytzan, der hiergegen von der Kanzel aus eiferte, ward aus Prag vertrieben. Als aber die Hussiten
wieder zu den Waffen
[* 24] zu
greifen drohten, hielt es Siegmund für geraten, einzulenken. Er gestand den Kalixtinern oder Utraquisten, wie man sie zuletzt
nannte, ein eignes Konsistorium zu, ließ in vier Sprachen öffentlich ausrufen, daß sie die rechten und
ersten Söhne der Kirche wären und von den andern, welche das Abendmahl nur unter einer Gestalt empfingen, auf keine Weise beeinträchtigt
werden sollten. Aber auch dies Versprechen war nicht aufrichtig gemeint, und nur durch den Tod ward Siegmund an der Wiederaufnahme
seiner gegenreformatorischen Versuche gehindert.
Des Kaisers Erbe war der Herzog Albrecht von Österreich. Der Kanzler Schlick, schon vor Siegmunds Tod nach Prag gesandt, wußte zwar die katholischen Landherren zu Albrechts gunsten zu stimmen; aber die gegen letztern eingenommenen Utraquisten, welche noch bei Lebzeiten Siegmunds im Einverständnis mit dessen Gattin Barbara von Cilli gegen die Nachfolge des Habsburgers und für eine jagellonische Kandidatur sich verbündet, wählten unter Leitung Heinrich Ptačeks von Pirkstein aus dem vornehmen Haus der von Lipa und Georgs von Kunstat auf Podiebrad zu Tabor den 13jährigen Bruder des Königs Wladislaw von Polen, Kasimir, zum König an demselben Tag, da die Katholischen zu Prag sich für Albrecht erklärten Letzterer aber eilte mit einer kleinen Schar nach Prag, ließ sich daselbst krönen (29. Juni) und bot, da die Polen, deren König seinen Bruder unterstützte, in Böhmen und Schlesien einfielen, stärkere Scharen aus seinen Erblanden und auch das Reich auf. Kurfürst Friedrich von Brandenburg [* 25] sandte ihm seinen Sohn Albrecht Achilles mit einem Zuzug. Mit einem starken Heer griff nun Albrecht die Polen und Utraquisten bei Tabor an und schloß sie in die Stadt ein, bis sie, durch Hunger genötigt, auf Gestattung des Rückzugs antrugen. Dann sandte er Albrecht Achilles als Statthalter nach Breslau, und dieser zwang durch einen Angriff auf Polen die in Schlesien eingefallenen Scharen zum Rückzug. Jetzt trat das Baseler Konzil vermittelnd dazwischen, und es ward mit den Polen und Utraquisten ein Waffenstillstand geschlossen (Januar 1439). Nach Albrechts II. plötzlichem Tod waren die Böhmen anfangs noch weniger geneigt als die Ungarn, dessen nachgebornen Sohn Wladislaw (Ladislaus) Posthumus als König anzuerkennen. Die Utraquisten betrieben vielmehr unter Leitung Heinrich Ptačeks eine andre Wahl, welche auf den Herzog Albrecht von Bayern [* 26] von der Münchener Linie fiel. Als aber Kaiser Friedrich diesem von der Annahme der Wahl ¶
mehr
abriet, trugen die Stände jenem selbst die Regentschaft und bald darauf sogar die Krone an. Allein Friedrich lehnte beides ab und überließ es den Böhmen, ihr Reich bis zur Volljährigkeit des Wladislaw selbst zu verwalten. Die katholische Partei wählte darauf Meinhard von Neuhaus, die utraquistische Ptaček unter dem Titel von Kreishauptleuten zu Führern (1440-41). Aber diese gerieten bald miteinander in offenen Krieg, und da der letztere 1444 starb, so ernannten die Utraquisten an seiner Statt Georg von Kunstat auf Podiebrad zum Ältesten oder Führer der Partei.
Dieser riß sofort, von Barbara, der Witwe Siegmunds, unterstützt, insbesondere durch den Staatsstreich von 1448 (2. und 3. Sept.), d. h. durch die Überrumpelung Prags und die Gefangensetzung Meinhards von Neuhaus (s. Podiebrad), fast alle Gewalt an sich, wodurch die utraquistische Partei von neuem das Übergewicht erhielt, und wurde 1452 förmlich als Gubernator Böhmens anerkannt. Nach dem frühzeitigen Tod Wladislaws Posthumus erhoben die Böhmen, alle anderweiten Erbansprüche unberücksichtigt lassend, Georg von Podiebrad zum König Dieser wußte mit seinem Thron [* 28] auch die den Utraquisten gewährte Religionsfreiheit zu behaupten, obgleich Kaiser und Papst erst im geheimen, dann als seine offenen Feinde an seinem Sturz arbeiteten und letzterer den Gebrauch des Kelchs bei schwerer Strafe verbot, auch die Prager Kompaktaten geradezu aufgehoben haben wollte.
Gleichwohl bestand auch unter Podiebrads Nachfolger, dem König Wladislaw von Polen, die böhmische
Religionsfreiheit ungeschmälert
fort u. ward durch den Religionsfrieden von Kuttenberg (1485) ausdrücklich gewährleistet. Erst nachdem mit Ferdinand von Österreich 1526 das
Haus Habsburg den böhmischen
Thron bestiegen, ward mit mehr Erfolg das Werk der Gegenreformation in Angriff
genommen und nach der verhängnisvollen Schlacht auf dem Weißen Berg bei Prag mit blutiger Gewalt vollendet. Der
Name Hussiten
verschwindet schon zu Podiebrads Zeiten; hinsichtlich der weitern Schicksale der aus den alten Anhängern der Lehre
[* 29] des Märtyrers Huß hervorgegangenen akatholischen Religionsparteien in Böhmen verweisen wir auf den Artikel
»Mährische Brüder«; s. auch Böhmen, Geschichte.
Litteratur. Von den ältern Werken sind zu erwähnen: Cochläus, Historia Hussitarum (Mainz [* 30] 1549);
Theobald, Hussiten
krieg (Nürnb. 1609 u.
öfter);
Cansdorf, Polemographia hussitica (Gieß. 1667);
J. Lenfant, Histoire de la guerre des Hussites et Concile de Basle (Amsterd. 1731, für lange Zeit die maßgebende Darstellung);
Schubert, Geschichte des Hussiten
kriegs (Neust. 1825).
Eine wissenschaftliche, quellenmäßige Behandlung des Hussitismus knüpft sich an Palackys »Geschichte Böhmens«;
Derselbe,
Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussiten
kriegs (Prag 1872-73, 2 Bde.);
Höfler, Geschichtschreiber der hussitischen Bewegung (Wien [* 31] 1857-66, 3 Bde.);
Krummel, Geschichte der böhmischen
Reformation im 15. Jahrhundert (Gotha
[* 32] 1866);
Bezold, König Siegmund und die Reichskriege gegen die Hussiten
(Münch. 1872-77, 3 Tle.);
Derselbe, Zur Geschichte des
Hussiten
tums;
kulturhistorische Studien (das. 1874);
Grünhagen, Die Hussiten
kriege der Schlesier 1420-35 (Bresl. 1872);