(franz.
Hughes), Mannesname, ist eigentlich nur die volltönend erhaltene, durch Kürzung entstandene Koseform
eines zusammengesetzten altdeutschen
Namens, dessen erster Teil althochdeutsch Hugu lautet (vgl.
Hubert).
Merkwürdig sind:
dessen Vormund er ward. Den hierdurch erlangten Einfluß benutzte er dazu, zu seinen bedeutenden Besitzungen auch noch
die Hälfte des Herzogtums
Burgund von Hugo dem
Schwarzen abgetreten zu erhalten. Da König
Ludwig sich nicht von ihm beherrschen
lassen wollte und sich aus seiner
Nähe entfernte, schloß ein
Bündnis mit Heribert von
Vermandois und dem
Herzog von der
Normandie
und brachte 942 nun auch die zweite Hälfte des Herzogtums
Burgund nebst dem Herzogtum
Neustrienan sich.
Durch
Verrat nahm
er den König
Ludwig in
Rouen
[* 3] gefangen und nötigte ihn zur Herausgabe der letzten königlichen
Feste,
Laon;
aber der deutsche
KaiserOtto d. Gr., welcher mit beiden
Fürsten verschwägert war, zwang an der
Spitze eines
Heers 950 Hugo zur
Wiedereinsetzung des
Königs. Nach dem
Tode desselben (954) mußte Hugo es dulden, daß König
OttosBruderBruno von
Köln
[* 4] den ältesten
Sohn
Ludwigs IV.,
Lothar II., zum König erhob. Hugo starb übrigens schon im Juni 956. Er war erst mit der Tochter des
KönigsEduard des ältern von
England, sodann mit
Hedwig, der
Schwester des deutschen
KönigsOtto I., vermählt und
hinterließ drei
Söhne,
Hugo Capet,
Otto und
Heinrich, von denen der erste
Francien, die letztern
Burgund erhielten.
2) König von
Italien,
[* 5] Sohn des
Grafen Theobald von
Provence, bemächtigte sich nach dem
Tode des geblendeten
KönigsLudwig III.,
den er schon bei seinen Lebzeiten völlig beherrschte, 924 Niederburgundiens, wurde aber von der dem
König
Rudolf II. feindlichen
Partei nach
Italien gerufen und nach dessen
Sturz 926 in
Pavia als König von
Italien gekrönt; dagegen
mußte er
Rudolf seine burgundische Herrschaft abtreten. Er regierte kräftig, aber auch mit
Härte und Grausamkeit,
umgab sich mit einem
Harem schöner
Weiber und übertrug geistliche und weltliche
Ämter unwürdigen Günstlingen. 932 vermählte
er sich mit seiner Schwägerin, der sittenlosen Römerin
Marozia, der
Mutter des
PapstesJohann XI., um die
Kaiserkrone zu erlangen,
wurde indes von
Alberich aus
Rom
[* 6] vertrieben. 938 heiratete er
Rudolfs (gest. 937)
WitweBertha.
Kreuzfahrt teil, um sein Gelübde zu erfüllen; bei der Niederlage, welche das christliche Heer in Kappadokien erlitt, verwundet,
starb er 1102 in Tarsos.
Paulus' »Sententiae receptae« (Berl. 1796)
und das »Jus civile antejustinianeum« (das. 1815, 2 Bde.).
Außerdem schrieb er: »Lehrbuch eines zivilistischen Kursus« (Berl. 1792-1821, 7 Bde.),
dessen einzelne Teile verschiedene Auflagen erlebten. Daran schloß sich ein ebenfalls wiederholt aufgelegtes »Zivilistisches
Magazin« (Berl. 1790-1837, 6 Bde.).
Eine. Beilage zu demselben bilden die »Beiträge zur zivilistischen Bücherkenntnis
der letzten 40 Jahre« (Berl. 1828-44, 3 Bde.),
2) (spr. ügo)VictorMarie, berühmter franz. Dichter, geb. zu Besançon
[* 11] als der Sohn eines Offiziers, Sigisbert
Hugo, der sich in der Folge zum General und Grafen des Kaiserreichs emporschwang, und der royalistisch gesinnten Tochter eines
Reeders von Nantes,
[* 12] Sophie Trébuchez. Ein frühzeitig entwickelter Knabe, begleitete er denVater auf dessen
wechselvollen Zügen nach Italien und Spanien
[* 13] und trat 1812, für die militärische Laufbahn bestimmt, in die polytechnische
Schule zu Paris ein. Er zeigte ungewöhnliche Anlagen für Mathematik, aber noch entschiedener kam schon damals sein dichterisches
Genie zum Durchbruch.
Bereits mit 15 Jahren bewarb er sich um einen Preis der Akademie mit dem Lehrgedicht »Les avantages de l'étude«,
das als beste Arbeit anerkannt wurde, trug dann in den Jeux floraux von Toulouse
[* 14] mit den Gedichten: »Vierges de Verdun«,
[* 15] »Rétablissement
de la statue de Henri IV« und »Moïse sur le Nil« (1819-21) dreimal den Preis davon und dichtete seine »Odes
et ballades« (1822-26, 2 Bde.), die außerordentliches
Aufsehen erregten. In der Form lassen dieselben noch häufig die hergebrachten Muster erkennen, aber der hinreißende Schwung
der Sprache,
[* 16] die Kühnheit der Bilder und die ungewohnte Behandlung des Verses verkündigen bereits den künftigen poetischen
Revolutionär.
Vom König Ludwig XVIII. mit einer Pension von 1500 (später 3000) Frank bedacht, verheiratete sich Hugo mit
AdèleFoucher und ließ zunächst zwei Romane: »Han d'Islande« (1823) und »Bug Jargal« (1826), erscheinen, worin er sich schon
entschlossener von der klassischen Richtung losriß und, wenn zunächst auch nur durch die Vorliebe für
das Schauerliche, Mißgeformte und Ungeheure, das Signal zu der großen romantischen Bewegung gab, deren oberster Vertreter
er in den nächsten 20 Jahren sein sollte.
Weiterhin folgten: das die Verhältnisse eines Bühnenabends weit überschreitende Trauerspiel »Cromwell« (1827),
in dessen
Vorrede er zugleich sein damaliges ästhetisch-philosophisches Glaubensbekenntnis ablegte;
die Verherrlichung einer durch Liebe rein gewaschenen und verklärten Kurtisane, und »Hernani«, das 1830 zur
ersten Aufführung kam und zu einer offenen Schlacht zwischen den Klassizisten und Romantikern Veranlassung gab.
Das Stück
ist das eigentliche Prototyp des Hugoschen Dramas mit all seinen Gebrechen und Absonderlichkeiten, aber auch mit seinem über
alle ästhetischen, historischen und psychologischen Bedenken unwiderstehlich hinwegreißenen Schwung der Sprache und
seinen grellen, jedoch durch die Form geadelten Effekten. Mit wechselndem Erfolg lösten sich in den nächsten Jahren auf dramatischem
Gebiet ab: »Le
[* 17] roi s'amuse« (1832),
»Ruy Blas« (1838) und die Trilogie »Les bourgraves« (1843), welch letztere dem
Dichter eine so empfindliche Niederlage bereitete, daß er dem Theater
[* 18] für lange Zeit den Rücken kehrte.
Überhaupt errang
er durchgreifende Bühnenerfolge damals, zur Zeit des noch bestehenden Kampfes zwischen der alten und neuen Richtung, nicht,
sondern erst in viel späterer Zeit, wie namentlich 1867 und unter der dritten Republik mit der Wiederaufführung
von »Hernani« und »Ruy Blas«, denjenigen unter Hugos Stücken, welche die Franzosen mit Recht am höchsten schätzen. Von sonstigen
Werken fallen noch in diese Periode: der Roman »NotreDame de Paris«, ein trotz aller Ungeheuerlichkeiten meisterhaftes Kulturgemälde
des mittelalterlichen Paris, dem die französische Litteratur kein zweites Werk von gleicher Bedeutung
an die Seite zu stellen hat;
sodann: »Le dernier jour d'un condamné« (1829),
ein ergreifendes Plaidoyer gegen die Todesstrafe,
dem sich »Claude Queux« (1834) mit gleicher Tendenz anschloß;
die »Chants du crépuscule« (1835) mit dem berühmten Liedercyklus »An
die Vendômesäule« (la colonne);
ferner: »Les voix intérieures« (1837);
»Les rayons et les ombres« (1840) und »Le
Rhin«, Reiseerinnerungen (1842, 3 Bde.).
Inzwischen war Hugo 1841 zum Mitglied der französischen Akademie erwählt worden, und
im April 1845 ernannte ihn LudwigPhilipp zum Pair von Frankreich. In politischer Hinsicht hatte er sich von dem engherzig retrograden
Ideenkreis der Restaurationsperiode allmählich zu den Anschauungen des modernen Liberalismus bekehrt und war Bonapartist geworden,
der in dem großen Kaiser nicht bloß den ruhmbedeckten Feldherrn, sondern, auch die Verkörperung der
modernen Ideen und den providentiellen Mann, welcher mit seinen Adlern die Früchte der französischen Revolution durch ganz
Europa
[* 19] getragen hatte, bewunderte und feierte. Als Mitglied der KonstituierendenNationalversammlung von 1848 nahm er trotzdem
anfangs seinen Sitz auf der Rechten und zählte sich zur Ordnungspartei, bis er mit einem kühnen Satz
ins Lager
[* 20] der äußersten Linken übertrat und nun in einer Reihe glühender Philippiken gegen alle reaktionären Maßregeln
donnerte. Nach dem Staatsstreich vom als einer der ersten proskribiert, zog sich Hugo mit seiner Familie nach der InselJersey,
¶
mehr
einige Zeit später nach Guernsey zurück und veröffentlichte von hier aus 1852 das zermalmende Pamphlet »Napoléon le petit«
und 1853 die mit dem unerbittlichen Griffel eines Juvenal geschriebenen Gedichte »Les châtiments«, welche
trotz des strengen kaiserlichen Verbots in unzähligen Exemplaren über ganz Frankreich verbreitet wurden und die fast beispiellose
Popularität, deren sich der Dichter in der Folge erfreute, begründeten. In der Verbannung nahm Hugos Lyrik
vorwiegend philosophische und zwar ausgesprochen pantheistische Tendenzen an, denen er seitdem in zahlreichen, an Wert ungleichen
DichtungenAusdruck gegeben hat.
Auf dem Felde des Romans kultivierte er um
diese Zeit die sozialen Fragen in: »Les misérables« (1862, 10 Bde.),
»Les travallieurs de la mer« (1866, 3 Bde.)
und »L'homme qui rit« (1869, 4 Bde.).
Außerdem entstand damals sein Buch »WilliamShakespeare« (1864). Gegen das Kaiserreich bis zuletzt unversöhnlich, kehrte er
erst nach dessen Sturz 1870 nach Paris zurück, beschenkte die belagerte Stadt mit zwei Geschützen und
wurde im Februar 1871 in die Nationalversammlung von Bordeaux
[* 22] gewählt, wo er gegen den Friedensschluß protestierte, um bald
darauf auszutreten. Bei einer zweiten Kandidatur 1872 in Paris unterlag er infolge seiner Sympathien für die Kommune, dagegen
wurde er 1876 von den Vertretern der Hauptstadt in den Senat gewählt.
Seit seiner Rückkehr publizierte er außer den schon erwähnten lyrisch-didaktischen Arbeiten: »L'année terrible« (1872),
voll von Rachedurst und den ausschweifendsten Zornergüssen gegen die Deutschen;
»Quatre-vingt-treize«, einen in der Vendée
spielenden historischen Roman (1874);
»Mes fils«, Gedenkblatt für seine früh verstorbenen Söhne (1874);
»Actes et paroles,
1870-72«, gesammelte Reden (1872);
»Actes et paroles: Avant l'exil, pendant l'exil; depuis l'exil« (1875-76, 3 Bde.;
deutsch, Berl. 1875-77, 3 Bde.);
»L'histoire d'un crime, dépositions d'un témoin«, die Geschichte des
Staatsstreichs vom 2. Dez., nach persönlichen Erlebnissen erzählt (1877);
»L'art d'ètre grand-père«, ein lyrisches Familienbild
(1878),
und »La pitié suprême«, ein Schlußplaidoyer für die Amnestie der Kommuneverbrecher (1879).
Hugo ist in den Augen der Franzosen ihr größter und universellster Dichter. Was ihn insbesondere über die besten seiner Zeitgenossen
erhebt, ist die bei Dichtern so seltene Eigenschaft: Kraft.
[* 23] Gewaltig ist er in der Schilderung menschlicher Leidenschaft wie
großer Naturerscheinungen, in der Behandlung der nationalen Sprache, welche er nachgerade verjüngt hat,
wie in der Struktur des spröden französischen Verses, den er um ungeahnte Modulationen bereichert hat.
Auf der andern Seite kann Hugo den Hang des Romanen zum Überschwenglichen, Schwülstigen und Betäubenden, zum grob materiellen
Effekt nie verleugnen. Das Einfache ist ihm nicht völlig versagt, doch liegt es seinem ganzen Naturell
ferner. Humor ward ihm aber kaum verliehen, und witzig ist er nie gewesen. So versinnlicht Hugo in seiner öffentlichen wie in
seiner schriftstellerischen Laufbahn die vollkommenste Form des Franzosen des 19. Jahrh. Der Vollständigkeit wegen sind von
seinen Schriften noch
nachzutragen: »Discours; œuvres oratoires et discours de l'exil« (1853);
»Les enfants, livre des mères«, Gedicht für die zarteste Jugend (1858);
Nach seinem Tod erschienen: »Théâtre
en liberté« (1886) und »La fin deSatan« (1886). Seit 1837 war Hugo Offizier der Ehrenlegion. Eine Gesamtausgabe seiner Werke
erschien 1880-85 in 46 Bänden. In deutscher Übersetzung hat man von ihm: »Sämtliche Werke, übersetzt
von mehreren« (3. Aufl., Stuttg. 1858-62, 21 Bde.);
Barbou, V. Hugo et son temps (1881; deutsch vonWeber, Leipz. 1881);
Asseline, V. Hugo intime.
Mémoires, poésies, correspondances, documents inédits (1885);Ulbach, La vie de V. Hugo (1886); Dannehl,
Victor Hugo (Berl. 1886), u. Swinburne, A study of V. Hugo (Lond. 1886).
von Montfort, deutscher Dichter, geb. 1357, aus dem vornehmen und mächtigen Geschlecht
der Grafen von Montfort-Bregenz, führte ein politisch und kriegerisch bewegtes Leben, war 1381 und öfter
österr. Kriegshauptmann, Landvogt in der Schweiz,
[* 25] 1413‒16 Landeshauptmann von Steiermark
[* 26] und starb Seine Lieder
und poet. Briefe, die meist seinen (drei) Gemahlinnen gelten, wurzeln ebenso wie seine politischen, memoirenhaften oder lehrhaften
Reden in der höfischen Ritterdichtung, wie sie Hadamar von Laber und der jüngere Titurel vermittelten,
ohne in Stil und Metrik den formellen Verfall und die geschmacklos realistische Manier seiner Zeit zu verleugnen. Ausgabe von
Wackernell (Innsbr. 1881).
von Sankt
[* 27] Victor, Theolog, wahrscheinlich aus dem Geschlecht der ehemals am Harz ansässigen Grafen von Blankenburg
und Regenstein, geb. um 1097, ward im Konvent zu Hamersleben gebildet, trat 1115 in die Schule des Augustinerklosters
St. Victor bei Paris ein und wurde später deren Vorsteher. Er starb Seine mystische Richtung, die in der von ihm
begründeten Theologie von St. Victor fortlebte und ihn zum Freunde Bernhards (s. d.) von Clairvaux machte, tritt am entschiedensten
hervor in den Schriften«De arca morali», «De arca in mystica», «De vanitate mundi». Die beste Ausgabe seiner
Schriften erschien Rouen 1648. –Vgl. Liebner, Hugo von St. Victor und die theol. Richtungen seiner Zeit (Lpz. 1832); J. Bach,
Dogmengeschichte des Mittelalters, Bd. 2 (Wien
[* 28] 1875); Hauréau, Les œuvres de Hugues de St. Victor (2.
Aufl., Par. 1886), L’Huillier, Vie de St. Hugues (Solesm. 1888).
von Trimberg, Dichter, von einem Dorfe im Würzburgischen so genannt, geb. um 1230 zu Werna, seit 1260 Magister
und Rektor der Schulen in der Theuerstadt, einer Vorstadt von Bamberg,
[* 29] gest. nach 1313, ist bekannt als der Verfasser
des «Renner» (hg. von dem Bamberger Historischen Verein, Bamb. 1833‒36), eines seinerzeit sehr beliebten, in vielen Handschriften
erhaltenen Lehrgedichts, das er 1300 vollendete, aber noch bis 1313 mit mancherlei Zusätzen versah. Seine Dichtung, die ein
älteres unvollendetes Werk, den «Samner» (Sammler, 1266 verfaßt), erweiterte, beruht mehr auf theol.
Werken, dem Freidank und andern litterar. Quellen, als auf scharfer Lebensbeobachtung; ein bitterer Feind
aller profanen und höfischen Dichtung, von streng geistlicher Gesinnung, handelt der weltverdrossene Greis abstrakt und allegorisch
mit vielen Citaten die sieben Todsünden in breiter, schlecht disponierter Ausführung ab, die seine Altersschwäche nicht
verkennen läßt. In seiner Jugend hatte er drei weltliche und fünf geistliche deutsche Büchlein verfaßt,
die nicht erhalten sind; von seinen vier lat. Werken erhielt sich die «Laurea
Sanctorum» und das «Registrum multorum auctorum» von 1280 (hg. von
Huemer, Wien 1888),
ein wertvolles, versifiziertes,
für Schüler bestimmtes Verzeichnis der besten Schriftsteller. –
Vgl.
Wölfel in der «Zeitschrift für deutsches Altertum», Bd. 28.
Gustav, Ritter von, Jurist, geb. zu Lörrach im Badischen, studierte 1782‒85 zu Göttingen und wurde
daselbst 1788 außerord., 1792 ord. Professor der Rechte, 1819 Geh. Justizrat und starb daselbst Er ist nebst Savigny
und Haubold der Begründer der Historischen Rechtsschule in Deutschland und durch gründliches Quellenstudium
des röm. Rechts ausgezeichnet. Sein Hauptwerk ist das «Lehrbuch eines civilistischen
Kursus» (7 Bde., Berl. 1792 fg.);
daran schließt sich sein «Civilistisches Magazin» (6 Bde., ebd. 1814‒37),
das treffliche litterar.-kritische Beiträge
zur röm. Rechtsgeschichte und andern Fächern enthält, samt der Beilage
«Beiträge zur civilistischen Bücherkenntnis der letzten 40 Jahre» (2
Bde., ebd. 1828‒29; Bd.
3,1845). –
Vgl. Eyssenhardt, Zur Erinnerung an G. Hugo (Berl. 1845).
(spr. ügoh), Victor Marie, franz. Dichter, geb. zu
Besançon als zweiter Sohn des Obersten Sigisbert Hugo, der später General und Graf des Kaiserreichs wurde,
und einer Bretonin, geborenen Sophie Trébuchet aus Nantes. Er verbrachte seine erste Jugend teils in Italien und Spanien, teils
in Paris in einem ehemaligen Kloster der Feuillantinnen. Vom Vater zum Eintritt in die Polytechnische Schule bestimmt, trieb
der junge Hugo mit Erfolg Mathematik. Schon 1817 nahm er mit einem Gedicht über das Thema «Les avantages
de l’étude» an einer akademischen Preisbewerbung teil und wurde durch eine ehrenvolle Erwähnung ausgezeichnet. 1818 erlaubte
sein Vater ihm, sich ganz der Litteratur zu widmen.
welcher die «Nouvelles odes» (1824) und «Odes et ballades»
(1826) folgten. Diese Poesien, obgleich in der Form noch klassisch, lassen doch in der Versbehandlung
schon den Einfluß A. Chéniers erkennen, der sich mit einem ursprünglichen Schwung der Sprache und ungewohnter Kühnheit
der Bilder verbindet. Ludwig ⅩⅧ. bedachte um diese Zeit (1823) den königstreuen Sänger, für dessen polit. und religiöses
Fühlen und Denken damals Châteaubriand maßgebend war, mit einem Jahresgehalt von 1500 (später 3000)
Frs. Hugo verheiratete sich mit AdeleFoucher (1822) und veröffentlichte den Roman«Han d’Islande» (4 Bde., 1823),
der wie der
folgende «Bug Jargal» (1826), als ein ohne dichterische Selbstbeherrschung entstandenes Erzeugnis überhitzter Einbildungskraft,
schon zeugt für den bedenklichen Hang seiner Dichternatur, durch das Übertriebene, Grauenvolle und grelle
Gegensätze zum Großen und Bedeutenden zu gelangen. Der Bruch mit dem Klassicismus ließ nicht auf sich warten, mit dem Buchdrama
«Cromwell» (1827),
dessen Vorrede, ein merkwürdiges und anspruchsvolles Gemisch aus wahren und falschen Aperçus, die ästhetische
Theorie der neuen Schule entwickelt, und mit der Gedichtsammlung «Les Orientales» (1829) wurde Hugo das Haupt
der Romantiker. Führte die Absage an die klassische Überlieferung zu Stücken wie «Cromwell», die keinen dramat.
Lebensnerv hatten und
¶
mehr
nicht aufführbar waren, so war das nur ein geringer Erfolg der Romantik. Anders in der Lyrik, für sie eroberten die «Orientales»
neue Stoffe, Formen und Rhythmen; hier wurde die Sprache ihrer Schätze an Fülle, Klang, Farbe und Kraft zum erstenmal wirklich
bewußt und in den Stand gesetzt, starken Empfindungen und feurigem Aufschwung gerecht zu werden. Freilich
fehlte diesen orientalisch aufgeputzten Poesien die selbsterlebte Wahrheit. Diese besitzen die «Feuilles d’automne»
(1831),
die in tiefempfundenen Liedern die Poesie des Hauses und der Familie verkünden. Gleichzeitig hatte Hugo, nachdem er
vergeblich versucht, sein Drama «Marion Delorme» zur Aufführung zu bringen, am mit
«Hernani ou l’honneur castillan» im Théâtre français die Probe bestanden. Es war zur offenen Schlacht zwischen den Parteien
im Publikum gekommen, aber die Romantiker glaubten gesiegt zu haben. Es folgten dann die Dramen «Le roi s’amuse» (1832),
nach der ersten Aufführung verboten, «Lucrèce Borgia» (1833),
«Ruy-Blas»
(1838). Entfernt Hugo sich hier von der klassischen Bühne durch Nichtbeachtung der Einheiten, freie Behandlung des Alexandriners,
gelinde Beimischung des Komischen, so steht er ihr nahe durch sein deklamatorisches Pathos. Seine Stücke sind mehr lyrisch
als dramatisch, ohne vernünftige Handlung mit nur im Umriß gezeichneten Gestalten. Hugo liebt auch im
Drama die Antithese des Häßlichen und Schönen, die Erhebung Gesunkener durch ein reines Gefühl darzustellen.
Seine Dramen sind reich an einzelnen wirkungsvollen Scenen und prächtigen lyrischen Stellen, sie haben aber kein dauerndes
Leben auf der Bühne gewinnen können und sind auch ohne Nachfolge geblieben. Nur «Hernani» hat auch in der
neuern Zeit (1867, 1878) auf der Bühne sich wirksam erwiesen. Von den spätern Stücken ist «Ruy-Blas» nicht frei von polit.
Tendenz, und die Trilogie «Les Burgraves» (1843), die bei der ersten Aufführung durchfiel, eine so auf die Spitze getriebene
Durchführung seiner dramat. Ideen, daß sie wohl als Selbstparodie des
Dichters gelten könnte.
ein religiös-polit. Tendenzstück gegen den
Fanatismus. Kaum war Hugo mit «Hernani» zur Anerkennung als Dramatiker durchgedrungen, als er durch seinen Roman«Notre-Dame de
Paris» (1831) eine neue Seite seiner Begabung offenbarte und in dem Rahmen einer spannenden, durch ungeheuerliche
Gegensätze wirkenden Erzählung ein buntes, lebendiges, mit einer Fülle, freilich nicht immer zuverlässigen, archäol.
Wissens ausgestattetes Bild zeichnete, in dessen Mitte sich die ehrwürdige Kathedrale gleichsam als die Heldin des Romans erhebt.
Nach den Julitagen sind die religiösen und polit. Stimmungen H.s andere geworden. Seine frühere königstreue
und kath. Gesinnung ist verschwunden, in den «Chants
du crépuscule» (1835),
die überwiegend politisch sind, äußert sich eine auf sociale Sympathien begründete, wenn auch
loyale monarchische Opposition. In den «Voix intérieures» (1837) treten religiöse Zweifel hervor,
auch in «Les rayons et les ombres» (1840) finden sich derartige
Stimmungen. Aber, obgleich Hugo in diesem Zeitraum durch seine poet. Verherrlichung Napoleons auch nicht wenig zur
Ausbildung der Napoleonischen Partei und Legende beigetragen hat, nahm er im ganzen eine freundliche Miene gegen die Monarchie
Ludwig Philipps
an. So wurde er im April 1845 zum Pair von Frankreich ernannt. 1841 hatte sich die Akademie
verstanden, das Haupt der Romantiker aufzunehmen.
Nach dem Sturz des Julikönigtums wurde Hugo in die Konstituierende Versammlung gewählt. Er zählte sich erst zur Ordnungspartei
und beging dann die äußerliche Inkonsequenz, plötzlich zur äußersten Linken überzuspringen. Seiner innern Natur nach
handelte er vielleicht konsequent; er war Gefühlspolitiker und hatte sich schon längst infolge im Gemüte
wurzelnder Neigungen für Volksfreiheit, Volkssouveränität und für die Religion der Humanität begeistert.
Schon in seinem Seelengemälde «Le dernier jour d’un condamné» (1829)
hatte er gegen die Todesstrafe plädiert. Die polit. Ereignisse der folgenden Jahre machten ihn zu einem immer entschiedenern
Anhänger demokratischer und socialpolit. Ideale, die denn auch in den größern Werken seiner letzten 30 Jahre
durchaus in den Vordergrund treten. Die Ironie der Weltgeschichte wollte es, daß der Mann, der unter Ludwig Philipp die Napoleonische
Legende am meisten gehegt hatte, ein erbitterter Widersacher Louis Napoleons werden sollte. Nach dem Staatsstreich
wurde H.s Name auf die Proskriptionsliste gesetzt. Hugo flüchtete nach Belgien,
[* 31] dann auf die InselJersey und nahm schließlich
seinen Wohnsitz auf Guernsey, dem «Felsen», wo er sich ein fürstliches
Haus (Hauteville-House) baute und es ablehnte, von der Amnestie vom Gebrauch zu machen. Aus der Verbannung
schleuderte er das mit aller Bitterkeit durchtränkte Pamphlet «Napoléon le Petit»
(Brüss. 1852) und bis zur Unvernunft leidenschaftliche Gedichte: «Les châtiments» (Brüss. 1852),
gegen Napoleon Ⅲ. Eine
reife Leistung aus dieser Zeit ist die Sammlung «Les contemplations» (2
Bde. ,1856‒57),
deren Gedichte meist dem eigenen Leben entnommen sind, innig und warm, schlicht und
wahrhaftig, ohne gesuchte Antithesen und pomphafte Vergleiche. Darauf folgten noch «Chansons des rues et des bois» (1865),
ein Erzeugnis sonderbarer Verirrungen. Eine Reihenfolge epischer Visionen auf geschichtlicher Grundlage stellt die «Légende
des siècles» (1. Tl. 1859; 2. und 3. Tl. 1877; 4. Tl. 1883) dar, welche den Fortschritt der Menschheit
«zum Lichte» in einzelnen typischen Bildern durch alle Zeitalter hindurch
bis auf die Gegenwart verfolgen sollte. Dann begiebt er sich in «Les misérables»
(10 Bde., 1862),
die zugleich alle glänzenden Seiten und alle Schwächen seines poet. Denkens und seiner Darstellung offenbaren,
auf das Gebiet des socialen Romans (vgl. Barbey d’Aurevilly, Les misérables de Victor Hugo, 1862); auch
«Les travailleurs de la mer» (3 Bde.,
1866) und «L’homme qui rit» (4 Bde.,
1869) sind sociale Romane.
Einige Tage nach dem kehrte Hugo nach Paris zurück. Eine seiner ersten Handlungen war, daß er den siegreich vorrückenden
Deutschen in einem glühenden Aufruf zumutete, umzukehren und den gottlosen Gedanken der Belagerung einer
Stadt wie Paris aufzugeben. Bei denWahlen wurde er vom Depart. Seine in die Nationalversammlung zu Bordeaux gewählt,
wo er seinen Sitz auf der äußersten Linken nahm und 8. März seine Entlassung gab. Am 18. März, im Moment des
Ausbruchs der Commune, brachte Hugo die Leiche seines plötzlich am Schlagfluß gestorbenen ältesten Sohnes Charles Victor von
Bordeaux nach Paris, begab sich sodann nach Brüssel
[* 32] und trat, nachdem
¶
mehr
er kurz vorher in zornsprühender Ode die Vendômesäule gegen die Communards verteidigt hatte, in einem 26. Mai an den Redacteur
der «Indépendance Belge» gerichteten Briefe für die Commune ein, mußte aber die Stadt verlassen und kehrte nach einem kurzen
Aufenthalt in London
[* 34] nach Paris zurück, wo er bei den Senatorwahlen für das Depart.
Seine gewählt wurde. Die Schrecknisse des Deutsch-Französischen Kriges schilderte er in grell poet. Form in «L’année
terrible» (Par. 1872); darauf folgte der Revolutionsroman «Quatre-vingt-treize»
(3 Bde., ebd. 1874; deutsch von Schneegans, 3 Bde., Straßb.
1874),
und u. d. T. «Actes et paroles» (3 Bde., Par.
1875‒76; deutsch im Auszug, Stuttg. 1876) gab er ein Memoirenwerk über sein Leben von 1841 ab heraus;
diesem folgte «L’histoire d’un crime» (2 Bde.,
1877‒78),
die Geschichte des Staatsstreichs vom 2. Dez. von einem Augenzeugen, und das lyrische Familiengemälde «L’art
d’être grand-père» (1878) und «La pitié
suprême» (1879) für Begnadigung der Verbrecher der Commune. Hugo starb in Paris und wurde 1. Juni im
Panthéon beigesetzt. Nach seinem Tode erschienen noch «Œuvres inédites» (1886 fg.),
«Théâtre en liberté» (1886) und «Toute
la lyre» (hg. von Vacquerie und Meurice, 2 Bde., Par.
1889), eine Sammlung von vielen mittelmäßigen und einigen guten im Nachlaß vorgefundenen Poesien. Als
Haupt der romantischen Schule in Frankreich hat an die Stelle litterar. Tradition, die von klassischen Mustern nur noch den äußern
Zuschnitt bewahrte, die freie Wahl des Stoffs und die ungehinderte Bewegung des Geistes gesetzt und so in die Dichtkunst wieder
Kraft und eigenes Leben gebracht.
Daß diese Reaktion gegen die fesselnde Regel und Konvenienz bei ihm und seinen Nachahmern zu Übertreibungen führte, war
fast unvermeidlich. Seine «Œuvres complètes» erschienen in 48 Bänden (Par. 1880‒89)und in 40 Bänden («Édition nationale»,
ebd. 1886). Interessante lebensgeschichtliche Nachrichten enthält die anonyme Schrift seiner 1868 zu Brüssel gestorbenen
Frau: Victor Hugo, raconté par un témoin de sa vie (2 Bde., Par. 1863 u. d.; deutsch von Diezmann, 2 Bde., Lpz.
1863). –
Vgl. Barbou, Victor Hugo et son temps (Par. 1881; neue Aufl. u. d. T.:
La vie de V. Hugo, 1885; deutsch vonWeber, Lpz. 1882);
Asseline, Victor Hugo intime (Par. 1885);
Ulbach,
La vie de Victor Hugo (1886);
Stapfer, Racine et Victor Hugo (Par. 1887);
Schmeding, Victor Hugo (Braunschw. 1887);
Weber, Les manifestes
littéraires de Victor Hugo (Berl. 1890);
Ch. Renouvier, V. Hugo le poète (Par. 1893).
Des Dichters Söhne Charles Victor und François Victor Hugo, geb. zu Paris, der erste gest. in
Bordeaux, der zweite gest. in Paris, traten nach der Februarrevolution als Journalisten auf. Bis 1851 arbeiteten
sie für das von ihrem Vater begründete Tageblatt «L’Événement», und teilten nach dem 2. Dez. freiwillig
dessen Verbannung. Charles schrieb «Le cochon de Saint-Antoine» (3 Bde., Par.
1857),
«La bohème dorée» (2 Bde.,
ebd. 1859),
«La chaise de paille» (ebd. 1859) u. s. w.
François verfaßte histor. Werke, z. B. «L’île
de Jersey» (1857), und übersetzte Shakespeare (13 Bde., Par. 1860 fg.).