Heiligenle
genden,
s. Heilige, S. 294.
Heiligenlegenden
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Heiligenlegenden,
s. Heilige, S. 294.
(lat. Sancti), nach der katholischen Kirchenlehre solche Verstorbene, welche sich durch ihr Leben und Sterben qualifiziert haben, als Fürsprecher bei Gott und Christus von den Menschen verehrt und angerufen zu werden. Da nun aber in der alten Kirche schon der Fürbitte der Märtyrer und Bekenner, solange sie noch lebten, eine von Kirchenstrafen befreiende Macht beigelegt wurde, so lag es unter der Voraussetzung, daß die Gemeinschaft der Kirche durch das sinnliche Absterben ihrer Glieder [* 3] keine Unterbrechung erleide, nahe genug, von der Fürbitte der verklärten Heiligen bei Gott um so Größeres zu erwarten.
Hatten ferner schon seit Ende des 2. Jahrh. ganze Gemeinden das Andenken ihrer Blutzeugen (ihre Dies depositionis, s. d.) gefeiert, an ihren Gräbern die Geschichte ihres Bekenntnisses und Leidens vorgetragen, so ging diese Gedächtnisfeier bald in Verehrung über, und zwar waren es gerade die angesehensten Kirchenlehrer und Bischöfe des 4. und 5. Jahrh., welche die Martyrolatrie empfahlen. Als die Gelegenheit, zum Martyrium zu gelangen, verschwand, wurden Eremiten und Mönche seit dem Anfang des 5. Jahrh. schon bei ihren Lebzeiten zu Heiligen gestempelt.
Bereits im Anfang des 5. Jahrh. eiferte Vigilantius in Barcelona [* 4] vergeblich gegen die Heiligenverehrung; Hieronymus, der als ungestümer Verteidiger derselben auftrat, hatte die Sympathien des Volkes auf seiner Seite, welches in den Heiligen eine Entschädigung für seine Untergottheiten, Genien, Heroen etc. gefunden hatte. Man ordnete nicht nur in den einzelnen Kirchen besondere Feste an zum Andenken gewisser Heiligen, sondern es ward auch schon im 4. Jahrh. in der orientalischen Kirche, wo die Zahl der Heiligen überhaupt früher zum Abschluß kam, später auch im Abendland das Fest Allerheiligen (s. d.) gefeiert.
Seitdem wurden den Heiligen auch besondere Kirchen erbaut, in welchen man ihre Reliquien aufbewahrte, und wo man, wie früher in den Göttertempeln, Abbildungen der Glieder, deren Heilung man der Fürbitte eines Heiligen zu verdanken glaubte, als Weihgeschenke aufhängte. So entstanden dann die besondern Schutzheiligen oder Patrone für einzelne Kirchen, Städte, Länder und gegen gewisse Übel und Gefahren. England z. B. verehrte den heil. Georg als Schutzpatron, Spanien [* 5] den heil. Jakob, Ungarn [* 6] den heil. Stephan.
Die Juristen hatten sich den heil. Ivo, Schüler und Studierende den heil. Gregorius, die Maler den heil. Lukas, die Zimmerleute den heil. Joseph, die Schuhmacher den heil. Crispinus, die Musiker die heil. Cäcilia als Schutzpatrone auserkoren. Gegen die Pest rief man die Heiligen Rochus und Sebastian, gegen Augenleiden die Heiligen Ottilia, Clara und Lucia an. Selbst auf die Tiere erstreckte sich der Schutz der Heiligen; die Gänse z. B. schützte der heil. Gallus, die Schafe [* 7] der heil. Wendelin etc. Der Cyklus der Heiligen erhielt in der Jungfrau Maria erst seinen eigentlichen Mittelpunkt; sie, das vollkommenste Ideal weiblicher Heiligkeit, tritt an die Spitze der heiligen Schar als die Königin aller Heiligen.
Alle in der Heiligen Schrift erwähnten Personen, welche für die Wahrheit irgend gelitten oder ihr Leben im Dienst Gottes aufgeopfert hatten, traten gleichfalls in die Zahl der Heiligen ein und erhielten besondere Festtage, so die Apostel, die Evangelisten etc. Endlich meinte man auch Männern, welche für die Rechtgläubigkeit gestritten hatten, z. B. Athanasius von Alexandria, Leo von Rom, [* 8] Ambrosius von Mailand, [* 9] Augustinus von Hippo, Martin von Tours u. a., die den Märtyrern und Konfessoren (»Bekennern«, s. Confessor) bewilligte Ehre nicht versagen zu dürfen. Gleichzeitig bildete die Wundersucht nicht bloß die Heiligenlegende immer üppiger aus, sondern die fromme Phantasie erfand auch nicht wenige Heilige, von welchen die Geschichte nichts weiß. Nachdem zuerst die morgenländische Kirche im zweiten nicäischen Konzil (787) den Heiligendienst kirchlich fixiert hatte, unternahm es auch die abendländische Scholastik, den ¶
dem Volk zum Bedürfnis gewordenen Heiligendienst mit Gründen zu stützen, die im wesentlichen bis auf den heutigen Tag in der römischen Kirche gelten. Durch ihre Tugenden und Verdienste Freunde Gottes und Vertreter und Fürsprecher der sündigen Menschen vor dem göttlichen Thron, [* 11] zugleich als Teilnehmer an Christi Weltherrschaft uns allezeit nahe, dürfen sie nicht nur um ihre Fürbitte bei Gott angerufen werden, sondern haben auch einen Anspruch auf Verehrung. Die christliche Kunst des Mittelalters hat sich vielfach mit Feststellung der Attribute der Heiligen beschäftigt und dieselben teils aus der Schrift, teils aus der Legende entlehnt. So ward z. B. dem Petrus der Schlüssel, dem Täufer Johannes das Lamm Gottes etc. beigegeben.
Vgl. Wessely, Ikonographie Gottes und der Heiligen (Leipz. 1870);
Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie des Mittelalters (5. Aufl., das. 1883-85, 2 Bde.).
Die Anerkennung der Heiligen war in den frühern Jahrhunderten nicht geregelt, sie ging vom Volk aus; das Recht der Heiligenernennung aber sollte den Bischöfen zukommen. Mit der Zeit nahmen die Päpste selbst das Geschäft in die Hand, [* 12] jene Zierden der katholischen Christenheit prozessualisch zu ernennen und ihr Verzeichnis fortzusetzen (s. Kanonisation). Schon 1170 erklärte Papst Alexander III. in einem Schreiben an die Mönche eines französischen Klosters, daß die Heiligsprechung ein ausschließliches Vorrecht des römischen Stuhls sei.
Der Papst untersuchte entweder selbst, unter Zurateziehung einer Versammlung von Bischöfen und später von Kardinälen, den ihm übersandten Bericht über das Leben und die als unentbehrlich zur Kanonisation geltenden Wunder des Heiligzusprechenden, oder er übertrug dies auswärtigen Klerikern. Seit der Reformation nahm man vornehmlich auf solche Personen Rücksicht, die sich durch ihren Eifer gegen die Sache des Protestantismus ausgezeichnet hatten. In diesem Sinn lieferte der Jesuitenorden eine Anzahl neuer Heiligen.
Gegen die von Papst Benedikt XIII. 1729 verkündete Kanonisation Gregors VII. protestierten die meisten katholischen Regierungen. Auch zwischen Heiligsprechung (canonizatio) und Seligsprechung (beatificatio) wurde unterschieden. Letztere begründet nämlich nur eine lokale Verehrung an gewissen Orten, in einzelnen Provinzen oder Diözesen oder auch nur unter einzelnen Mönchsorden, erstere dagegen eine Verehrung in der ganzen rechtgläubigen Kirche (s. Beatifikation und Advocatus diaboli).
Die Reformatoren verwarfen den ganzen Heiligenkult als im Widerspruch stehend mit der Lehre [* 13] des Christentums, daß nur Gott angebetet werden solle, und daß Christus der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen sei. Den in dieser Richtung erfolgenden Angriffen wich das Tridentinum aus, und die katholischen Kirchenlehrer suchten zwischen Anbetung (adoratio), die wir nur Gott und Christo schuldig seien, und Ehrerbietung (veneratio), die wir auch der Kreatur erweisen dürften, einen Unterschied zu machen, welcher natürlich für den Volksgebrauch wertlos ist. Die Legenden der Heiligen wurden frühzeitig gesammelt und nach dem Kalender geordnet; daraus entstanden die Kalendarien, Menologien und Martyrologien, dergleichen von Beda Venerabilis, Hrabanus Maurus, Notker u. a. auf uns gekommen sind. Zahlreich sind auch die Vitae Sanctorum, von denen es im Mittelalter mehrere Sammlungen gab, darunter besonders die des Simeon Metaphrastes im Morgenland und die »Legenda aurea«, von Jacobus de Voragine (gest. 1298) veranstaltet, im Abendland bemerkenswert sind. Gedruckte »Vitae Sanctorum« gibt es von Aloys Lipomanus (Rom 1551-1560, 8. Bde.),
Laurent. Surius (3. Ausg., Köln [* 14] 1618, 12 Bde.) u. a. Das ausführlichste Werk sind die »Acta Sanctorum«, von Joh. Bolland (Antwerp. 1643) angefangen und von den sogen. Bollandisten (s. d.) fortgesetzt. Ein »Vollständigeres Verzeichnis der Heiligen, ihrer Tage und Feste« enthält auch der Supplementband von Potthasts »Bibliotheca historica medii aevi« (Berl. 1868).