Hebräische Religion
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Hebräische
der Glaube und der durch denselben bedingte Gehalt des religiösen Bewußtseins und der sittlichen Lebensrichtung der Juden (s. d.), in deren Geschichte sich drei große Epochen unterscheiden lassen: der Mosaismus, der Talmudismus und das J. der Neuzeit. Der Mosaismus bildet die Grundlage, auf welcher, namentlich seit dem Exil (s. Esra), das ganze geschichtliche Gebäude des Judentums sich aufrichtete, wie es bis heute sich erhalten hat. Diesen Mosaismus kennzeichnet vor allem eine schon von dem Juden Philo wiederholt hervorgehobene Einheit des theoretischen und des praktischen, des religiösen und des sozialen Moments; nirgends tritt die Lehre [* 3] für sich, überall sofort als Gesetz auf, welches sodann im Talmudismus als eine absolute Norm, als unbedingte Autorität geltend gemacht und bis in die äußerste Folgerung, in die entlegenste kasuistische Möglichkeit verfolgt ward, wobei es zugleich auf Hineinarbeiten dessen, was das Volksleben selbständig als Sitte hervorgebracht hatte, in den Buchstaben des mosaischen Gesetzes, auf Überwindung der Hindernisse abgesehen war, welche einer dem Gesetz konformen Lebensgestaltung die mittlerweile erfolgte Entfernung des Volkes aus Palästina [* 4] bereiten mußte. In letzterer Beziehung galt es, Bestimmungen zu treffen, welche wenigstens als dem Gesetz analog gelten konnten.
Der Talmudismus reicht weit über den Abschluß des Talmuds (s. d.) hinaus, indem der Rabbinismus sein teilweiser Fortbildner ward. An diese drei Epochen schließt sich nun das J. der Neuzeit an. Mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts fingen die Juden an, aus der geistigen Abgeschiedenheit, Verwahrlosung und Bedrückung, in der sie seit Jahrhunderten gelebt, herauszutreten und die allgemeine Geistesbildung sich anzueignen; seitdem begann sich ihre Emanzipation anzubahnen.
Nach beiden Richtungen hin machten die Juden nach Verhältnis des Zeitraums bedeutende Fortschritte, sie eilten in einem halben Jahrhundert den andern Völkern auf einem Weg nach, zu dessen Zurücklegung diese ein halbes Jahrtausend gebraucht. Beides aber mußte auflösend auf den bisherigen religiösen Zustand, auf den talmudisch-rabbinischen Standpunkt, einwirken. Das Leben im Staat gestaltete die Erwerbszweige der Juden gänzlich um und brachte so den mannigfaltigsten Konflikt des formal-religiösen Lebens mit dem bürgerlichen und gewerblichen Leben hervor.
Die freiere Geistesentwickelung aber ließ nach Grund und Wesen dessen fragen, was bis dahin absolut gegolten. So mußte sich ein Andres, ein Neues im J. erzeugen. Denn wenn die Juden zuerst als Volk, dann unter den Völkern gelebt, so leben sie jetzt mit den Völkern, bis zu einem gewissen Grad aufgegangen in dem gesellschaftlichen und politischen Leben derselben. Welche Umgestaltung das J. dadurch nehmen werde, und ob es einer völligen Verschmelzung mit den abendländischen Kulturvölkern entgegengehe, läßt sich bis jetzt nur annähernd vermuten. Im allgemeinen hat das neuere J. vom Talmudismus einen Rückweg zur mosaischen Einfachheit und prophetischen Tiefe des Gottesbegriffs gesucht und ist sogar bemüht, die humanen Begriffe der Neuzeit als ein ihm von Haus aus eignendes, nur zeitweise durch Hierarchismus und Rabbinismus überwuchertes Besitztum zu erweisen.
Jedenfalls streift das moderne J. sein nationales Gewand vielfach ab und sucht sich als mächtig mitbestimmender Faktor im gesellschaftlichen und geistigen Gesamtleben der Gegenwart zu konstituieren. Die Glaubenssätze des Judentums wurden dargestellt von Formstecher, Hirsch, [* 5] Steinheim, Frankel, neuerlich von Stein (»Die Schrift des Lebens«, Mannh. 1868-77, 2 Tle.).
Vgl. Jost, Geschichte des Judentums und seiner Sekten (Leipz. 1857-1859, 3 Bde.);
A. Geiger, Das J. und seine Geschichte (Bresl. 1864-71, 3 Bde.).