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Frankreich und Rußland eingetretene
Spannung bemerkt hatte, schloß es mit
Kaiser
Alexander I. einen
Vertrag, durch welchen Rußland
von dem Kontinentalsystem zurücktrat und den englischen
Schiffen seine Häfen wieder öffnete (Juli 1812). Nach dem
Rückzug
Napoleons aus Rußland schloß Großbritannien
[* 3] mit Rußland, bald auch mit
Preußen,
[* 4]
Schweden
[* 5] und
Österreich
[* 6] Verträge, denen gemäß es behufs des
Kriegs gegen
Frankreich an jene Mächte bis zum Mai 1814: 7,300,000 Pfd. Sterl. zahlte;
zugleich verstärkte es seine eigne
Armee in
Spanien
[* 7] bedeutend.
Noch bevor die Verbündeten in der Völkerschlacht bei
Leipzig
[* 8] siegten, erfocht
Wellington 21. Juni den glänzenden
Sieg bei
Vittoria,
zwang die
Franzosen,
Spanien zu räumen, folgte ihnen im
Oktober über die
Pyrenäen und besetzte
Bordeaux.
[* 9] Mit der
Restauration der
Bourbonen in
Frankreich war das
Ziel erreicht, welches von Großbritannien
seit 1793 mit unerschütterlicher
Festigkeit
[* 10] verfolgt worden war.
Waren zu diesem
Zweck von Großbritannien
ungeheure
Opfer gebracht worden, so waren doch auch die
Vorteile, welche es durch den
Friedensschluß gewann, nicht weniger bedeutend. Durch den ersten
Pariser
Frieden
erhielt Großbritannien
Malta,
Tobago, Ste.-Lucie,
Ile de France und die
Seschellen von
Frankreich, das
Kap der
Guten Hoffnung,
Demerara,
Essequibo,
Berbice und
Ceylon
[* 11] von
Holland,
Helgoland
[* 12] von
Dänemark;
[* 13] der zweite
Pariser
Friede fügte diesen
Erwerbungen noch das Protektorat über die
Ionischen Inseln bei. Auch an dem kurzen, durch
Napoleons Rückkehr von
Elba hervorgerufenen
Feldzug von 1815 nahm Großbritannien
Anteil und erfocht mit
Preußen den
Sieg von
Waterloo
[* 14] (18. Juni). Der
Heiligen Allianz trat es nicht bei.
Katholikenemanzipation u. Parlamentsreform (1815-32).
Obgleich Großbritannien
den langen
Kampf siegreich bestanden hatte und unbestritten die Herrschaft zur
See besaß, obgleich seine
Industrie
ins Unglaubliche gestiegen und der
Markt für den
Absatz seiner
Produkte sehr bedeutend erweitert worden, obgleich der Nationalreichtum
außerordentlich gewachsen war, so krankte dennoch das innere
Leben des
Staats an schweren
Gebrechen. Um
die
Zinsen für die
Staatsschuld, die auf fast 800 Mill. Pfd. Sterl. angewachsen war, zu beschaffen, mußten
die
Steuern auf Grundbesitz, Handelsartikel und Lebensmittel erhöht werden, und diese lasteten mit ganz besonderer
Schwere
auf dem immer mehr zusammenschmelzenden
Stande der kleinern Grundbesitzer und Gewerbtreibenden, während die Zahl
der besitzlosen Fabrikarbeiter und Proletarier immer größer ward.
Eine natürliche Folge davon war, daß die revolutionären Ideen, die nun einmal seit der französischen Umwälzung nicht wieder aus der Welt zu schaffen waren, immer mehr Anhänger fanden. Die englische Verfassung brachte es mit sich, daß die niedern Klassen von den eigentlichen politischen Rechten, insbesondere dem Wahlrecht, so gut wie ganz ausgeschlossen waren. Könnten sie diese erringen, meinten sie, würde auch ihrer gedrückten materiellen Lage Abhilfe werden. So ward der Ruf nach Parlamentsreform, jährlichen Parlamenten, gleichem Wahlrecht immer lauter; hier und da, z. B. in Manchester [* 15] im August 1819, kam es zu offenen Aufständen, deren die Regierung zwar durch Waffengewalt Herr wurde, deren Quelle [* 16] sie aber durch Aufhebung der Habeaskorpusakte, Beschränkung der Presse [* 17] und Verbote von Versammlungen vergeblich zu verstopfen suchte.
Nach dem Tod Georgs III. übernahm Georg IV. in eignem Namen die Regierung. Bei dem Volk unbeliebt, da er die liberalen Grundsätze, welche er früher begünstigt hatte, jetzt verleugnete, steigerte er noch die Unzufriedenheit der Nation durch den anstößigen Scheidungsprozeß, den er 1821 gegen seine Gemahlin Karoline von Braunschweig [* 18] bei dem Parlament anhängig machte. Er zog sich daher in der Folge mehr und mehr zurück; und der persönliche Einfluß des Königs auf die Geschäfte trat weit weniger hervor, als das unter seinen Vorgängern geschehen war.
Lord Castlereagh, welcher unter dem Premierminister Liverpool [* 19] den auswärtigen Angelegenheiten vorstand, huldigte in der äußern Politik ganz den stabilen Grundsätzen der Heiligen Allianz. Neues Leben kam erst in die Staatsverwaltung, als im September 1822 nach Castlereaghs Selbstmord George Canning an dessen Stelle trat. Canning verließ sogleich die Politik des Festlandes und näherte sich den Grundsätzen der Whigs. Er erklärte sich auf dem Kongreß von Verona [* 20] gegen die Intervention in Spanien und Portugal, erkannte die Selbständigkeit der südamerikanischen Kolonien an, welche sich vom Mutterland losgerissen hatten, und bewog Portugal, auch die Unabhängigkeit Brasiliens zuzugestehen.
Noch größeres
Verdienst erwarb er sich um die
Freiheit
Griechenlands, als er nach
Liverpools
Tod (April 1827) als
Premier mit
der
Bildung eines neuen
Ministeriums beauftragt wurde, in das die
Häupter der Wighs, unter andern
Lord
Lansdowne, eintraten,
und das sich auch des
Beistandes des mutmaßlichen Thronerben, des
Herzogs von
Clarence, versichert hatte.
Großbritannien
war in betreff der griechischen Angelegenheit mit Rußland in ein
Bündnis getreten;
Canning zog noch
Frankreich hinzu und
brachte einen
Vertrag dieser drei Mächte zu gunsten der Unabhängigkeit
Griechenlands zu stande.
Die Schlacht von Navarino in welcher die vereinigten Geschwader der Verbündeten die türkische Flotte vernichteten, gründete Griechenlands Selbständigkeit und erregte in Europa [* 21] außerordentlichen Jubel. Wie in der äußern, so huldigte Canning auch in der innern Politik freisinnigen Ansichten. Im J. 1826 bewog er das Parlament zur Annahme einer Bill, durch welche das Ministerium ermächtigt wurde, in außerordentlichen Fällen zu gunsten der ärmern Klassen die verbotene Einfuhr von Getreide [* 22] gegen einen mäßigen Zoll zu gestatten. Die Emanzipation der Katholiken, zu deren gunsten Canning schon 1824 einen Gesetzvorschlag an das Parlament hatte ergehen lassen, erlebte er nicht mehr; er erlag den übergroßen geistigen Anstrengungen
Nach der kurzen Verwaltung des Lords Goderich, den Zerwürfnisse zwischen den Mitgliedern seines Kabinetts schon im Januar 1828 zum Rücktritt nötigten, brachten die Tories ein Ministerium unter dem Herzog von Wellington zu stande, dessen hervorragendste Mitglieder außer dem Premier Lord Ellenborough, Lord Lyndhurst, Sir Robert Peel und Graf Aberdeen [* 23] waren. Merkwürdigerweise war gerade dies Kabinett bestimmt, die Emanzipation der Katholiken durchzuführen, welche von freisinnigen Ministern bisher vergeblich angestrebt worden war. Irland hatte seiner Zeit die Berufung Cannings zum Präsidenten des Kabinetts mit Jubel begrüßt, weil es von ihm die Aufhebung der Testakte erwartete, welche alle Katholiken vom Eintritt in das Parlament ausschloß. Sobald nach seinem Tode die Nachricht von der Einsetzung eines Ministeriums Wellington nach Irland gelangte, entstand dort die größte Aufregung. Eine katholische Association trat ins Leben, die sich ¶
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über das ganze Land verbreitete und sich der Regierung so drohend gegenüberstellte, daß Wellington keinen andern Ausweg sah, als den Irländern 1828 einen Teil ihrer Forderungen zu gewähren. Hiermit nicht zufrieden, stellte sich O'Connell (s. d.), der große Agitator Irlands, an die Spitze seiner Glaubensgenossen, erhielt, mit den Priestern verbunden, das Volk in heftiger Aufregung, ließ sich von der Grafschaft Clare in das Parlament wählen und erklärte, daß er trotz der Testakte seinen Platz im Unterhaus einnehmen werde.
Dem am wieder zusammengetretenen Parlament legte darauf die Regierung 5. März eine Bill vor, die einen mit dem katholischen Glauben zu vereinbarenden Staatsbürgereid aufstellte, durch dessen Leistung jeder Katholik das Recht erhielt, ins Parlament und mit wenigen Ausnahmen zu allen Ämtern zugelassen zu werden. Trotz des Widerstandes der anglikanischen Hierarchie und der mit ihr verbündeten »protestantischen Partei«, deren Führer der Herzog von Cumberland war, ging die Emanzipationsbill im Unter- und durch die Bemühungen Wellingtons auch im Oberhaus durch und erhielt die königliche Bestätigung.
Die auswärtigen Angelegenheiten wurden von dem Ministerium Wellington mit wenig Glück geführt. Es rief zwar wegen der griechischen Frage eine Konferenz nach London [* 25] zusammen, in welcher beschlossen wurde, die Pforte zum Frieden mit Griechenland [* 26] zu nötigen; aber Frankreich war es, welches durch seine Flotte die Pforte zum wirklichen Abschluß eines Waffenstillstandes zwang (1828). Den Krieg Rußlands mit der Türkei [* 27] (1828-29) konnte das Kabinett trotz aller diplomatischen Verhandlungen nicht hindern, und nach Abschluß des Friedens ließ es sich von Rußland das Verdienst entreißen, Griechenlands vollständige Unabhängigkeit auszuwirken.
Der Sieg der liberalen Grundsätze in der Emanzipation der Katholiken erweckte vielfach die Hoffnung auf eine durchgreifende Reform des Parlaments. Die englische Volksvertretung litt an großen Übelständen, die schon lange, namentlich zu Pitts Zeiten, heftig, aber stets vergeblich angegriffen worden waren. An 150 Mitglieder des Unterhauses wurden thatsächlich von Peers oder andern reichen Privatpersonen ernannt, die im Besitz alter Burgflecken (rottenboroughs) waren, welche in frühern Zeiten das Wahlrecht erhalten hatten, gegenwärtig aber so heruntergekommen waren, daß ihre ganze Bevölkerung [* 28] oft nur aus dem Gesinde jener Großen oder aus dienstbaren Einwohnern bestand.
Die Territorialherren verliehen oder verkauften die jenen Ortschaften zustehenden Parlamentsstellen nach Gutdünken. Überhaupt wurden von allen Stellen des Unterhauses höchstens 70 durch wirklich freie Wahl besetzt, während außerdem nur bei etwa 160 andern wenigstens eine Einwirkung der Bevölkerung auf das Wahlresultat stattfand. Viele der größten Städte des Reichs, wie Sheffield, [* 29] Birmingham, [* 30] Manchester u. a., waren im Parlament gar nicht vertreten.
Die 45 schottischen Deputierten wurden in den Städten von den Stadträten, in den Grafschaften von den Inhabern der Oberherrlichkeit bestellt. Diese Mißstände, namentlich aber der Verkauf jener Stellen in den Burgflecken, wurden jetzt von der Opposition zum Gegenstand ihrer Angriffe gemacht. Die Whigs erklärten, das Unterhaus werde erst dann seiner wahren Bestimmung entsprechen und die ganze Nation repräsentieren, wenn diese durch »veränderte, den gegenwärtigen Verhältnissen der Bevölkerung angemessene Einrichtung des Wahlrechts in den Stand gesetzt werde, unabhängige Vertreter zu wählen«. Bei der Eröffnung des Parlaments zeigte sich jedoch die Regierung der gewünschten Reform wenig geneigt und suchte die Opposition durch Abschaffung einiger Abgaben auf notwendige Lebensbedürfnisse zufriedenzustellen.
Von Wilhelm IV., welcher seinem Bruder auf dem Thron [* 31] gefolgt war und früher selbst den Whigs angehört hatte, hoffte man bestimmt die Reform des Wahlsystems. Aber der neue König behielt das alte toryistische Ministerium zunächst bei, während im Volk durch die Einwirkungen der französischen Julirevolution die Bewegung immer mächtiger ward und immer neue Kreise [* 32] ergriff. Die Parlamentswahlen vom August 1830 verstärkten die Opposition um etwa 50 Stimmen, und 15. Nov. gelang es einer seltsamen Koalition der Whigs und der extremsten Tories, mit einer Mehrheit von 26 Stimmen ein Mißtrauensvotum gegen die Regierung durchzusetzen, infolge dessen dieselbe zurücktrat.
Lord Grey bildete darauf ein Whigministerium, in welches unter andern die Lords John Russell, Althorpe, Lansdowne, Melbourne, [* 33] Holland, Goderich, Palmerston als Minister des Auswärtigen und Brougham als Lord-Kanzler eintraten. Am legte Russell dem Unterhaus den Entwurf des neuen Wahlgesetzes vor. Die Zahl der Mitglieder des Unterhauses wurde dadurch von 658 auf 595 herabgesetzt; 60 »rottenboroughs« sollten das Wahlrecht verlieren, 47 andre, die nicht mehr als 4000 Einw. zählten, nur einen Vertreter zu wählen haben.
Dagegen sollten 27 bis jetzt nicht vertretene große Städte das Wahlrecht erhalten, und für London und 27 Grafschaften sollte die Zahl der Vertreter erhöht werden. In den Städten sollten alle Hauseigentümer von 10 Pfd. Sterl. Rente, in den Grafschaften außer den bisher allein berechtigten Freeholders auch die Erbpachter und die Zeitpachter, die jährlich über 50 Pfd. Sterl. Pacht zahlten, das Wahlrecht haben. Diese Reformbill fand trotz ihrer Mäßigung im Parlament die heftigste Opposition; bei der Abstimmung 19. April blieben die Minister in der Minorität, worauf das Parlament aufgelöst wurde.
Bei den neuen Wahlen siegten die Whigs, und so kam es, daß die wieder vorgelegte Reformbill im Unterhaus 19. Sept. mit einer Majorität von 109 Stimmen angenommen wurde. Da das Oberhaus dieselbe jedoch 8. Okt. verwarf, entstand große Gärung im Lande, die sich in Pöbelaufläufen und Tumulten äußerte, und die Krone fand sich bewogen, das Parlament zu vertagen und Privatunterhandlungen mit den Tories anzuknüpfen. Nachdem das Parlament wieder eröffnet und die Bill in etwas veränderter Gestalt im Unterhaus wiederum angenommen worden war, gestattete das Oberhaus wenigstens die zweite Lesung.
Aber weiter waren die starren Tories nicht zu bringen, das Ministerium blieb mit seinen Vorschlägen wiederum in der Minorität. Den Ministern blieb jetzt nur eins übrig: durch einen Peersschub sich im Oberhaus die Majorität zu verschaffen und so den Willen des Landes zur Geltung zu bringen. Als der König diesen Vorschlag nicht annahm, gaben sie ihre Entlassung, und Wellington erhielt den Auftrag, ein neues Ministerium zu bilden. Die Erbitterung im Volk stieg durch diese Vorgänge aufs höchste. Die Trauerglocken läuteten den ganzen Tag, die königlichen Fahnen wurden abgerissen, der König selbst bei einer Spazierfahrt insultiert. Unter solchen Umständen entschloß sich Wellington, den Widerstand aufzugeben; Lord Grey trat wieder an die Spitze der ¶
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Regierung, und Wellington vermochte seine Anhänger im Oberhaus, um den vor allen Dingen gefürchteten Peersschub zu vermeiden, der Bill keine fernern Hindernisse entgegenzustellen. Am ging dieselbe im Oberhaus durch, im folgenden Monat wurden auch die Reformgesetze für Schottland und Irland angenommen. Die Zahl der Wähler ward dadurch auf eine Million erhöht, 56 Flecken mit bisher 111 Vertretern verloren das Wahlrecht, 30 andre behielten nur einen Deputierten. 42 größere Städte erhielten teils je einen, teils je zwei Vertreter; 65 Stimmen wurden unter die Grafschaften Englands verteilt, Schottland erhielt 8, Irland 5 Stimmen mehr.
Das Wahlrecht erhielten in den Grafschaften alle Freeholders mit 40 Schilling jährlichen Reineinkommens,
ferner alle lebenslänglichen Freibesitzer mit 10 Pfd. Sterl. Rente, alle Erbpachter (copyholders) und alle Pachter auf 20 Jahre
mit 50 Pfd. Sterl. Rente, in den Städten alle, welche ein Haus zu 10 Pfd. Sterl. Rente als Eigentümer oder Mieter innehatten.
Die Annahme dieser Reformbill bildet einen scharfen Abschnitt in der Geschichte von Großbritannien;
mit dem Zusammentritt
des ersten nach den neuen Bestimmungen gewählten Parlaments beginnt eine neue Epoche derselben.
Das Fortschreiten der Reformgesetzgebung (1832-41).
In diesem Parlament hatte die liberale Partei allerdings die entschiedene Mehrheit; aber es waren in das Unterhaus auch Elemente eingedrungen, die bisher der englischen Volksvertretung fern gehalten waren, und vor denen die Whigs der alten Schule selbst große Scheu empfanden. Es waren dies die Radikalreformer, welche nach dem Muster der französischen Demokraten von 1791 eine völlige Umgestaltung der politischen und sozialen Verhältnisse des Landes ins Auge [* 35] faßten.
Einen willkommenen Angriffspunkt bot ihnen einerseits die im Überfluß schwelgende Hierarchie der englischen Hochkirche, anderseits das unsägliche Elend Irlands. Obgleich der anglikanische Klerus überreichlich mit irdischen Gütern ausgestattet war, setzte er doch seine nächste Bestimmung so sehr außer Augen, daß die Inhaber einträglicher Kirchenämter die Verwaltung derselben meist um kargen Lohn gemieteten Vikaren überließen. Irland aber litt nicht allein an Übervölkerung, sondern es befand sich der dortige Grundbesitz fast ausschließlich in den Händen reicher englischer Familien und der anglikanischen Geistlichkeit, welche den Ertrag desselben meist außerhalb der Insel verzehrten. Zu dieser materiellen Not kam kirchlicher Druck hinzu.
Die britische Gesetzgebung erkannte in Irland nur die anglikanische Staatskirche an, und demgemäß wurden in allen irischen Gemeinden protestantische Pfarrer eingesetzt, denen die katholischen Kirchen sowie die Einkünfte der katholischen Geistlichkeit und der verhaßte Kirchenzehnte zugewiesen waren. Die katholische Bevölkerung mußte die protestantischen Gottes- und Pfarrhäuser erhalten und dabei noch die Kosten ihres eignen Kultuswesens tragen. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, daß trotz der Fruchtbarkeit der Insel Millionen ihrer Bewohner im Elend schmachteten, und daß die Verzweiflung sie endlich zum Äußersten treiben mußte.
Der Zehnte wurde verweigert und den mit dessen Beitreibung beantragten Behörden zuerst vereinzelter, dann aber mittels einer großartigen Organisation geregelter Widerstand entgegengesetzt. Die Seele dieses Vereins war O'Connell, der inzwischen einen Sitz im Unterhaus erlangt hatte. Auflösung der Union zwischen beiden Inseln (repeal) war sein nächster, Befreiung Irlands von der englischen Herrschaft sein entfernterer Zweck, mit welchem das Whigministerium ebensowenig wie die Tories einverstanden sein konnten.
Bald nach Eröffnung des Parlaments trat daher ein Zwiespalt zwischen den frühern Oppositionsgenossen ein. Auf die zahlreichen Gewaltthaten der Iren sich berufend, beantragte Grey, den Lord-Statthalter von Irland zur Ergreifung der schärfsten polizeilichen Maßregeln zu ermächtigen. Vergeblich war O'Connells Widerspruch; diese irische Zwangsbill ward angenommen bald darauf jedoch auch eine irische Kirchenreformbill genehmigt, der zufolge die Kirchensteuer abgeschafft, die Ländereien der Bistümer in Erbpacht gegeben, 10 überflüssige Bistümer aufgehoben, die Einkünfte der 12 übrigen herabgesetzt und diejenigen protestantischen Kirchen, in denen seit drei Jahren kein Gottesdienst gehalten worden, eingezogen werden sollten.
Außer diesen auf Irland bezüglichen Gesetzen erregten noch die Verhandlungen über die Ostindische Kompanie lebhafteres Interesse. Das Gebiet derselben, welches auf ungefähr 30,000 QM. über 100 Mill. Einw. zählte, hatte infolge eines siegreichen Kampfes gegen die Birmanen 1826 noch einen beträchtlichen Zuwachs erhalten, und dieser Umstand hatte das Bedenken, einen solchen Länder- und Völkerkomplex unter dem Regiment einer Handelsgesellschaft zu lassen, von neuem rege gemacht.
Wiewohl die von den Inhabern der 2500 Aktien gewählten 24 Direktoren ihren Sitz in London hatten und in Gemäßheit der von Pitt 1784 eingebrachten ostindischen Bill von einer mit dem Ministerium verbundenen Behörde kontrolliert wurden, so lag doch das eigentliche Regiment in den Händen der in Indien selbst befindlichen Beamten. Das zuletzt auf 20 Jahre erneuerte Privilegium der Gesellschaft lief 1834 ab, und so kam das Kontrollamt unter Charles Grant, später Lord Glenelg, auf den Gedanken, durch eine gründliche Reform der Gesetzgebung wenigstens einen Teil der unglaublichen Mißstände zu beseitigen, welche in der indischen Verwaltung eingerissen waren.
Infolgedessen wurde die Ostindische Kompanie als Handelsgesellschaft aufgelöst und der Handel nach Indien allen Briten freigegeben. Die jährliche Dividende der Aktionäre ward auf die feste Summe von 630,000 Pfd. Sterl. angesetzt und der Überschuß zur Einlösung der Aktien innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren bestimmt; bis zum Ablauf [* 36] desselben behielt die Kompanie ihre bisherige Verwaltung, wobei indessen der »Hof [* 37] der Direktoren« in eine noch bestimmtere Abhängigkeit vom Kontrollamt gebracht wurde.
In der Session von 1834 trat zunächst wieder die irische Frage in den Vordergrund, indem Lord Grey die Verlängerung [* 38] der Zwangsbill beantragte, während O'Connell seine Agitationen wieder aufnahm. Aber auch innerhalb der liberalen Partei begann man wenigstens die Gerechtigkeit eines Teils seiner Forderungen anzuerkennen und wünschte ihnen durch neue Säkularisationen des Kirchenguts entgegenzukommen. Vier Mitglieder der Regierung, die sich dem widersetzten, nahmen infolgedessen ihre Entlassung und wurden durch liberale Männer ersetzt, so daß Grey nur mit Mühe im Kabinett die Verlängerung der Zwangsbill durchsetzte. Inzwischen aber waren ohne Greys Wissen zwei Kabinettsmitglieder, Lord Althorp und Littleton, mit O'Connell in Verhandlungen getreten, bei denen sie ihm wenigstens gewisse Milderungen des Gesetzes versprochen hatten. Als nun O'Connell im Unterhaus die ihm gemachten Zusagen mitteilte und den innern Zwiespalt im Ministerium ¶