Gneist
,
Heinrich Rudolf Hermann Friedrich, ausgezeichneter Rechtsgelehrter und Politiker, geb. zu Berlin, [* 2] studierte daselbst, wurde 1836 Auskultator, promovierte 1838 und habilitierte sich 1839 als Privatdozent, blieb aber dabei in der Praxis thätig, seit 1841 als Assessor, dann als Hilfsrichter beim Kammergericht und später bei dem Obertribunal. Nachdem er die letzte Prüfung bestanden, unternahm er eine Reise nach Italien, [* 3] Frankreich und England, welch letztere beiden Länder er auch späterhin noch mehrmals besuchte. Nach seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor (1844) veröffentlichte er die zivilistische Monographie »Die formellen Verträge des neuern römischen Obligationenrechts« (Berl. 1845) und später die Schrift »Die Bildung der Geschwornengerichte in Deutschland« [* 4] (das. 1849). Im J. 1850 gab er seine Stellung als Hilfsarbeiter am Obertribunal auf, um sich ausschließlich seinem Lehramt und ausgedehnten Studien über öffentliches Recht zu widmen. Als Frucht dieser Studien erschien zuerst die kleine Schrift »Adel und Ritterschaft in England« (Berl. 1853),
dann sein Hauptwerk: »Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht« (das. 1857-63, 2 Tle. mit 1 Ergänzungsband; 3. Aufl. des 1. Teils in 2 Bdn. 1883-1884; 3. Aufl. des 2. Teils 1876),
woraus der Abschnitt über »Das englische Grundsteuersystem« (das. 1859) separat erschien. Hieran schlossen sich in der Folge: »Budget und Gesetz nach dem konstitutionellen Staatsrecht Englands« (Berl. 1867);
»Die Stadtverwaltung der City von London« [* 5] (das. 1867);
»Verwaltung, Justiz, Rechtsweg, Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und deutschen Verhältnissen« (das. 1869);
»Englische [* 6] Verfassungsgeschichte« (das. 1882; ins Englische übersetzt von Ashworth, Lond. 1886, 2 Bde.);
»Das englische Parlament« (Berl. 1886; englisch von Shee, 1886).
1858 wurde Gneist
zum ordentlichen
Professor befördert, nachdem
er die
Institutionen des
Gajus u. Justinian synoptisch unter dem
Titel: »Institutionum et regularum juris
romani syntagma« (Leipz. 1858, 2. Aufl. 1880) herausgegeben
hatte. Seine parlamentarische Wirksamkeit begann 1858 mit seinem
Eintritt in das preußische Abgeordnetenhaus,
dem er bis in
die neueste Zeit ebenso wie dem
Reichstag des Norddeutschen
Bundes und dem deutschen
Reichstag angehört hat.
In den
Tagen des
Konflikts zählte er zu den durch
Schärfe des
Urteils und
Klarheit der Bestrebungen am meisten hervorragenden
Mitgliedern der liberalen
Opposition.
Die Militärfrage beleuchtete er in der Flugschrift »Die Lage der preußischen Heeresorganisation« (Berl. 1862). Das Verhalten der Staatsregierung im »Kulturkampf« verteidigte er gegen die Angriffe der Klerikalen. Im Reichstag stand er auf seiten der nationalliberalen Partei. Im November 1875 wurde er zum Mitglied des Oberverwaltungsgerichts ernannt, welches Amt er jedoch 1877 wieder niederlegte. Ein eifriger Förderer aller praktisch-politischen Fragen der Gegenwart, schrieb er noch: »Soll der Richter auch über die Frage zu befinden haben, ob ein Gesetz verfassungsmäßig zu stande gekommen?« (Berl. 1863);
»Freie Advokatur« (das. 1867);
»Die Selbstverwaltung der Volksschule« (das. 1869);
»Die konfessionelle Schule« (das. 1869);
»Die bürgerliche Eheschließung« (das. 1869);
»Die preußische ¶
mehr
Kreisordnung« (das. 1870);
»Der Rechtsstaat« (das. 1872, 2. Aufl. 1879);
»Vier Fragen zur deutschen Strafprozeßordnung« (das. 1874);
»Gesetz und Budget« (das. 1879);
»Die preußische Finanzreform« (das. 1881).
Er veröffentlichte Ausgaben des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung nebst Einführungsgesetzen (beide Berl. 1877) und als Mitglied der Reichstagskommission zur Beratung des Sozialistengesetzes die Schrift »Das Reichsgesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« (das. 1878).