Gesangbuch
,
im allgemeinen eine Sammlung von Gedichten zum
Singen; insonderheit eine Sammlung religiöser
Lieder
(Kirchenlieder) behufs des
Gesanges beim
Gottesdienst, wie er vorzüglich seit der
Reformation eingeführt ist. Die
Hussiten
führten den Gemeindegesang ein, und ihr Gesangbuch
ist 1531 vom
Pfarrer
Michael
Weiß ins Deutsche
[* 2]
übertragen worden. Nur wenige dieser
Gesänge sind in spätere Gesangbücher übergegangen (darunter
»Nun laßt uns den Leib begraben«).
Als der eigentliche Gründer des deutschen Kirchenliedes ist Luther anzusehen, welcher 1523 sein erstes Kirchenlied: »Nun freut euch, liebe Christengemein'«, dichtete und bald eine Sammlung geistlicher Lieder veranstaltete, welche in der ersten Auflage von 1524 nur aus acht Liedern (darunter vier von Luther, drei von Speratus) bestand, in der zweiten (»Geistliches Gesangbüchlein«, 1524) aber schon 24 und zwar eigne Lieder mit vierstimmigen Melodien brachte.
Die spätern
Ausgaben bestehen aus einer immer wachsenden Anzahl von Liedern sowohl
Luthers als auch einiger seiner
Freunde.
Die letzte
Ausgabe:
»Geistliche
Lieder«, besorgte 1545 der
Buchdrucker
Valentin Babst zu
Leipzig.
[* 3] In derselben
finden sich von
Luther selbst 37
Lieder.
In den evangelisch-lutherischen
Kirchen war dieses Gesangbuch
lange Zeit im
Gebrauch, und auch
als die Zahl der Liederdichter sich im 16. wie im 17. Jahrh. mehrte, hielt man sich in den
Kirchen hauptsächlich noch an
Luthers
Gesänge, welche Gemeingut des
Volkes geworden waren.
Da man sich aber mit der Zeit hier und da Abänderungen erlaubte, so wurde um des gemeinschaftlichen
Kirchengesangs willen
die Einführung bestimmter Gesangbücher notwendig, womit denn auch gegen Ende des 17. Jahrh.
einzelne Behörden vorgingen. Der dänische Etatsrat
Moser, ein
Freund der
Hymnologie, besaß schon 1751 eine Sammlung von 250 verschiedenen
Gesangbüchern und ein
Register von über 50,000 Liedern. Eine neue
Periode für die Gesangbücher begann in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrh. mit dem Auftreten
Gellerts, der 1757 seine
»Geistlichen
Oden und
Lieder« herausgab, und
Klopstocks, der 1758 eine
Umarbeitung von 19 alten Kirchenliedern im
Geiste der Zeit unternahm. Das erste Gesangbuch
, worin diese neuen
Dichter vorwiegend vertreten waren, war das von
Chr. F.
Weiße und
Zollikofer herausgegebene Gesangbuch
der reformierten
Gemeinde in
Leipzig, deren
Beispiel 1767 die reformierten
Gemeinden zu
Bremen
[* 4] und
Lüneburg,
[* 5] 1773
¶
mehr
die lutherischen in der Kurpfalz, 1778 die Bremer Domgemeinde, 1779 Braunschweig,
[* 7] 1780 Schleswig-Holstein
[* 8] und Berlin,
[* 9] 1782 Kopenhagen,
[* 10] Ansbach
[* 11] und so immer mehr Städte und Provinzen folgten, so daß zu Ende des vorigen Jahrhunderts sowohl die strenge Rechtgläubigkeit
der ältern als die mystische Tändelei der orthodox-pietistischen Zeit hinter einer neuen Richtung zurückgetreten
waren, welche sich vielfach durch geschmacklose Entstellung des ältern Liederschatzes im Geist rationalistischer Aufklärung
und poesieloser Moral charakterisierte. Im Gegensatz dazu hat die kirchliche Reaktion besonders seit 1848 die Klage über die
»Gesangbuch
snot« angestimmt und, wo sie irgend konnte, die Gemeinden mit Wiederherstellung aller dogmatischen und stilistischen
Härten des 16. und 17. Jahrh. heimgesucht.
Das Signal dazu gaben die von der Eisenacher Kirchenkonferenz 1853 herausgegebenen 150 »Kernlieder« samt
Melodien. Dabei war als Grundsatz festgehalten, daß diesseit des Jahrs 1750 kein echtes Kirchenlied mehr entstehen konnte. Immerhin
hat die mit diesen praktischen Bestrebungen Hand
[* 12] in Hand gehende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem
altlutherischen Gesangbuch
, wie dieselbe von Bunsen, Grüneisen, Knapp, Wackernagel, Stier, Lange, Bähr, Schöberlein betrieben wurde, den
glücklichen Erfolg gehabt, daß man dieses eigentümlichsten Bestandteils unsrer deutsch-protestantischen Litteratur wieder
bewußt und froh geworden ist. Denn was die katholische Kirche in der Wessenbergschen Periode Ähnliches zu leisten unternahm,
war Nachahmung und ging rasch vorüber, und auch die reformierte Kirche, wo lange nur die Psalmenbearbeitungen
von Marot und Lobwasser einen schwachen Ersatz für das deutsche Kirchenlied gebildet hatten, hat eine solche Litteratur nicht
hervorgerufen.