Generalpardon
,
s. Begnadigung. ^[= (lat. Aggratiatio), der gänzliche oder teilweise Erlaß der durch eine strafbare Handlung verwirkte ...]
Generalpardon
3 Wörter, 31 Zeichen
Rechtswissenschaft — Verfassung — Majestätsrechte, Erlasse etc
Generalpardon,
s. Begnadigung. ^[= (lat. Aggratiatio), der gänzliche oder teilweise Erlaß der durch eine strafbare Handlung verwirkte ...]
(lat. Aggratiatio), der gänzliche oder teilweise Erlaß der durch eine strafbare Handlung verwirkten Strafe durch das Staatsoberhaupt; Begnadigungsrecht (jus aggratiandi), die Befugnis zu solcher Verfügung, ein wichtiges Souveränitätsrecht. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Begnadigung im engern Sinn (Einzelbegnadigung) und der sogen. Amnestie, je nachdem es sich um die Begnadigung eines einzelnen Verbrechers oder um die Begnadigung einer ganzen Klasse von Verbrechern handelt.
Eine solche Amnestie (Generalpardon) kommt namentlich politischen Verbrechern gegenüber vor, um nach politisch bewegten Zeiten eine Versöhnung der Staatsregierung mit ihren Gegnern herbeizuführen. Die Einzelbegnadigung ist ebenso wie die Amnestie entweder eine Begnadigung nach oder vor gefälltem Strafurteil. Für den letztern Fall ist der Ausdruck Abolition (Niederschlagung) gebräuchlich. Die nach gefälltem Strafurteil eintretende Begnadigung kann entweder in einem gänzlichen (aggratiatio plena) oder in einem teilweisen Erlaß der Strafe bestehen (aggratiatio minus plena), oder sie tritt erst nach teilweiser Vollstreckung der Strafe ein, indem sie den Erlaß des Strafrestes herbeiführt, oder indem sie die mit der Strafe verbundenen Rechtsnachteile aufhebt. In diesem letztern Sinn wird die Begnadigung als Rehabilitation bezeichnet, wenn sie die Wiederherstellung der dem Verbrecher entzogenen bürgerlichen Ehrenrechte enthält.
Darüber, ob das Begnadigungsrecht des Souveräns, welches verfassungsmäßig in den meisten Kulturstaaten ausdrücklich anerkannt ist, auch vom rechtspolitischen und rechtsphilosophischen Standpunkt aus zu rechtfertigen sei, ist viel Streit. Namentlich war der große Philosoph Kant ein Gegner desselben. Es läßt sich ja in der That auch nicht leugnen, daß das Begnadigungsrecht eine Abweichung von dem nach der Gesetzesvorschrift stattfindenden strafrechtlichen Verfahren bewirkt, daß ferner die Möglichkeit einer willkürlichen und ungerechten Handhabung desselben nicht ausgeschlossen ist, und daß dasselbe endlich ganz entbehrlich sein würde, wenn die Strafgesetzgebung und die Rechtsprechung vollkommen wären. Da dies aber bei der Mangelhaftigkeit aller menschlichen Einrichtungen nie ganz der Fall sein wird, da vielmehr das formelle Recht, wie es sich in den Durchschnittsregeln der Strafgesetzgebung darstellt, mit dem materiellen Recht, wie es der Idee der höhern Gerechtigkeit und Billigkeit entspricht, immerhin in Widerspruch geraten kann, so erscheint das Begnadigungsrecht des Souveräns als dessen schönstes Recht, notwendig zur Vermittelung und Ausgleichung der Härten des starren Rechts.
Wohl zu beachten ist aber hierbei, daß die Anwendungssphäre des Begnadigungsrechts eine engere wird, je größer der Spielraum ist, welchen die Strafgesetze dem richterlichen Ermessen bei Ausmessung der Strafe offen lassen, und je mehr der Richter selbst hiernach die individuellen Verhältnisse des Angeschuldigten berücksichtigen kann, wie dies namentlich nach dem deutschen Strafgesetzbuch der Fall ist. Das Recht der Begnadigung steht dem Monarchen und in den Republiken den verfassungsmäßig damit ausgestatteten Organen, so z. B. in den deutschen Freien Städten dem Senat, zu. In leichtern Fällen ist die Ausübung dieses Rechts von dem Souverän vielfach bestimmten Behörden, besonders dem Justizministerium, in Kriegszeiten einem kommandierenden General, einem Statthalter etc. übertragen. Im Deutschen Reich hat der Kaiser als solcher nur in denjenigen Strafsachen das Recht der Begnadigung, welche in erster Instanz vor das Reichsgericht gehören, also in den Fällen des Hochverrats und des Landesverrats, insofern diese Verbrechen gegen den Kaiser oder das Reich gerichtet sind (deutsche Strafprozeßordnung, § 484), sowie in denjenigen Fällen, in welchen ein deutscher Konsul oder ein Konsulargericht in erster Instanz erkannt hat. Auch übt ¶
der Kaiser für Elsaß-Lothringen [* 6] das Recht der Begnadigung aus. Im übrigen steht das Begnadigungsrecht den Monarchen der deutschen Einzelstaaten und in den Freien Städten den Senaten zu. Für Preußen [* 7] ist das Begnadigungswesen durch eine allgemeine Verfügung des Justizministers vom geregelt. Todesurteile bedürfen nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 486) zu ihrer Vollstreckung zwar keiner Bestätigung mehr, doch sollen sie nicht eher vollstreckt werden, als bis die Entschließung des Staatsoberhauptes, resp. des Kaisers ergangen ist, in dem vorliegenden Fall von dem Rechte der Begnadigung keinen Gebrauch machen zu wollen.
Analoge Bestimmungen gelten in Österreich. [* 8] Übrigens ist in den Verfassungsurkunden der modernen konstitutionellen Monarchien eine Beschränkung des Begnadigungsrechts insofern anerkannt, als ein Minister oder ein sonstiger höherer verantwortlicher Staatsbeamter, welcher durch die Stände einer Verfassungsverletzung angeklagt worden ist, von der gegen ihn deshalb ausgesprochenen Strafe nicht oder doch nur auf Antrag der anklagenden Kammer selbst im Gnadenweg befreit werden kann, weil sonst ein Hauptmoment des konstitutionellen Systems, das Institut der Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage, hinfällig werden würde (vgl. die Verfassungsurkunden von Belgien, [* 9] § 91; Preußen, § 49; Sachsen, [* 10] § 150; Württemberg, [* 11] § 205; bayrisches Gesetz, die Verantwortlichkeit der Minister betreffend, vom Art. 12, etc.). Eine weitere Beschränkung des Begnadigungsrechts ist in manchen Verfassungsgesetzen in Ansehung der Abolition enthalten, die teils für gänzlich unzulässig erklärt, teils wenigstens bei gewissen Verbrechen nicht statthaft ist.
Andre Verfassungsurkunden knüpfen die Zulässigkeit der Niederschlagung an die Zustimmung des höchsten Gerichtshofs oder des Landtags. Was ferner die viel erörterte Frage anbetrifft, ob ein Verurteilter auch gegen seinen Willen begnadigt werden könne, so dürfte dieselbe wohl zu bejahen sein, da die Begnadigung kein Akt der Willkür, sondern ein Akt der höhern Gerechtigkeit sein soll, welchem sich der einzelne nicht beliebig entziehen kann. Nur in Ansehung der Abolition könnte es für einen Unschuldigen geradezu eine Härte sein, wenn er auch gegen seinen Willen eine solche Begnadigung annehmen müßte; er hat vielmehr ein Recht, zu verlangen, daß seine Unschuld durch Urteil und Recht dargethan werde, und ebendarum würde er eine solche Begnadigung gegen seinen Willen ablehnen können.
Die norwegische Verfassung statuiert ganz allgemein die Zurückweisung einer Begnadigung seitens des gegen seinen Willen Begnadigten. Endlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die privatrechtlichen Folgen eines Verbrechens, z. B. die Verpflichtung zum Schadenersatz, durch eine Begnadigung nicht verändert oder aufgehoben werden.
Vgl. außer den Lehrbüchern des Staatsrechts und des Strafrechts: Lueder, Das Souveränitätsrecht der Begnadigung (Leipz. 1860);
v. Arnold, Über Umfang und Anwendung des Begnadigungsrechts (Erlang. 1860);
R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 2, S. 634 ff. (Tübing. 1869);