Gemütsbewe
gungen
nennt man diejenigen geistigen Erregungszustände, welche den
Körper deutlich in Mitleidenschaft
ziehen, wie
Freude,
Schmerz,
Schrecken,
Scham etc. (s.
Affekte). Der körperliche Einfluß erstreckt sich
mittels des
Nervensystems einerseits namentlich auf das
Atmungs- und Zirkulationssystem, weshalb man den Sitz der Gemütsbewe
gungen ehemals
in
Brust und
Herz verlegte, anderseits auf das Muskelsystem und namentlich auf die Gesichtsmuskeln, jedoch
¶
mehr
auch auf Arm- und Bein- sowie verschiedene Schließmuskeln. Herbert Spencer hat als ein allgemeines Gesetz hingestellt, daß eine
Empfindung, sobald sie gewisse Grade der Erregung übersteigt, sich in körperlichen Bewegungen zu entladen strebt, für die
sich bestimmte Bahnen und Verbindungen herausgebildet haben, wie die kombinierten Vorgänge des Weinens und Schreiens
im Schmerz, des Lachens und Kicherns bei heitern Erregungen, des Händeballens, Fußstampfens und Grinsens in der Wut etc. Die
Entstehung der verschiedenen Kombinationen im Ausdruck der Gemütsbewe
gungen sind erst in neuerer Zeit studiert worden, besonders durch Darwin
(»Der Ausdruck der Gemütsbewe
gungen bei Menschen und Tieren«, 3. Aufl., Stuttg. 1885), der
sich zunächst durch nach allen Weltteilen versandte Fragebogen überzeugte, daß die Ausdrucksmittel bei den verschiedenen
Rassen ziemlich genau übereinstimmen, und dann Studien über die Entstehung der Verbindung gewisser Muskelzusammenziehungen
mit bestimmten Gemütsbewe
gungen anstellte. Da übereinstimmende Ausdrucksmittel schon bei ganz kleinen Kindern im Gefolge angenehmer oder
unangenehmer Eindrücke (bitteres und süßes Gesicht
[* 3] etc.) auftreten, so ergibt sich, daß sie nicht einer
konventionellen Mimik
[* 4] angehören, sondern auf angebornen und ererbten Nerv-Muskel-Associationen beruhen, und es zeigte sich,
daß viele dieser Associationen nicht anders zu verstehen sind als durch ein Zurückgehen auf die entsprechenden Äußerungen
höherer Tiere, wie z. B. das Grinsen und Entblößen der Eckzähne in der Wut, das Stirnrunzeln u. a.
Auch zeigte sich, daß die verschiedenen Gesichtsmuskeln des Menschen nicht erst bei ihm diesen Äußerungen angepaßt sind,
sondern bereits bei verschiedenen Tieren und namentlich den Affen,
[* 5] bei denen z. B. deutliche Ansätze zum Lachen vorhanden sind.
Andre Gemütsbewe
gungen und deren Ausdruck, wie z. B. Scham (s. d.), sind dem Menschen allein eigentümlich. Die Zusammenziehung
und das Erschlaffen bestimmter Körper- und Gesichtsmuskeln, wie z. B. das Hängenlassen der Mundwinkel bei deprimierenden
Affekten, geschieht unwillkürlich, bleibt jedoch bis zu einem gewissen Grad unter dem Einfluß des Willens bei Personen, die
sich beherrschen können; weniger ist dies der Fall bei Kindern und Naturmenschen, ziemlich ganz ausgeschlossen
bei den Vorgängen im Gefäß- und Atmungssystem (heftiges Atmen, Herzklopfen, Erröten und Erblassen), die nur in einem geringen
Grad von dem Willen zu beeinflussen sind. Vgl. auch Mimik und Physiognomik.