Geisterseherei
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der Wahn, mit Geistern, namentlich mit solchen Abgeschiedener, in unmittelbaren Verkehr zu treten, sie sehen, hören oder doch fühlen, nach Belieben herbeirufen, citieren, mit ihrer Hilfe Unheil abwenden, insbesondere auch Schätze entdecken und heben zu können. Dieser Glaube wurde offenbar durch Traumerscheinungen, Fieberphantasien und Halluzinationen aller Art sehr bestärkt, zumal wir aus den Erfahrungen vorurteilsfreier Personen, wie des bekannten Berliner [* 2] Buchhändlers Nicolai, des Professors L. v. Baczko und vieler andrer, wissen, daß solche Erscheinungen, die bis zur Fühlbarkeit der ¶
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Erscheinungen gehen können, bei anscheinend normalem Befinden des Körpers und Geistes auftreten und auch durch eine einseitige Erregbarkeit von Gehirnteilen wohl erklärbar sind. Das Widersinnige in der Annahme, daß wirkliche Geister gesehen werder könnten, liegt dabei weniger in dem Glauben, daß Geister existieren, als vielmehr in der Annahme, wenn solche immaterielle Wesen wirklich existieren, mit ihnen auf materielle Weise, nämlich durch das körperliche Gefühls-, Gehörs- oder Tastorgan, in Verkehr treten zu können.
Daher nehmen auch die modernen Geisterbeschwörer eine vorhergehende Materialisation der Geister an. Den Glauben an Geisterseherei
teilen
nicht nur fast alle Religionen, sondern (mit Ausnahme derjenigen, welche die körperliche Materie für
das einzige Wirkliche erklären) sämtliche dualistische und spiritualistische Metaphysiker, mögen dieselben monistisch oder
pluralistisch sein, d. h. nur einen einzigen Geist (Allgeist) oder unzählige Einzelgeister (Monaden) anerkennen; von letzterer
Annahme aber haben sich mit Ausnahme der Geisterbeschwörer und Spiritisten wenigstens die Philosophen freigehalten.
Dieselben verwarfen die Annahme eines unmittelbaren Verkehrs mit der Geisterwelt entweder ganz, oder sie
ließen einen solchen doch nur auf immateriellem Weg durch ein innerliches Sehen,
[* 4] Hören oder Fühlen in mystischer Weise zu.
Ein solcher nur intellektueller Verkehr von Geist zu Geist kann wohl ein (allerdings problematisches) Sehertum des Geistes, auf
keine Weise jedoch Geisterseherei
genannt werden. Diese umfaßt nur die Fälle, in welchen angeblich übersinnliche
Geister mit sinnlichem (leiblichem) Auge
[* 5] (Ohr,
[* 6] Tastorgan) wahrgenommen werden sollen.
Der Glaube an Geistererscheinungen spielt nicht nur in den meisten alten Religionen eine Rolle, wie z. B. bei Griechen, Römern,
Juden etc. (s. Nekromantie und Dämon), sondern hat sich auch im Christentum und um so leichter behaupten
können, als die ältern Kirchenväter, z. B. Lactantius, die Nekromantie geradezu als Beweismittel für die Fortdauer der Seelen
nach dem Tod, spätere Kirchenlehrer für das Dasein des Fegfeuers und des Teufels anriefen. Während es in neuerer Zeit schien,
als wollte die sogen. Aufklärungsperiode diesen Glauben unter den Kulturvölkern ausrotten, so daß er
nur noch in Volkssagen, wie die von den Sonntagskindern, denen die Gabe des Geistersehens
angeboren sein sollte etc., fortleben
könnte, nahm derselbe vielmehr gegen Ende des vorigen Jahrhunderts einen neuen Aufschwung, den man wohl als eine Reaktion
gegen die Bemühungen der Aufklärer ansehen darf. Es kamen die Zeiten, in denen Swedenborg Anhänger für
seine durch den Verkehr mit Geistern erhaltenen religiösen Offenbarungen warb, in denen Lavater und Jung-Stilling versuchten,
eine neue Theorie für die Lehren
[* 7] der Geisterseherei
aufzustellen.
Der erstere behauptet in seiner Übersetzung von Bonnets »Palingénésie« (1796) die sinnliche Wahrnehmbarkeit der übersinnlichen Geisterwelt, indem er seine darauf bezügliche Theorie an Bonnets Lehre [* 8] von der Unsterblichkeit des in feinerer Gestalt als Nervengeist seine Seele auch nach dem Tod noch umhüllenden Körpers anschloß. Jung-Stilling aber sprach in seiner Schrift »Leben und Verwandtschaft« (1778) als seine Überzeugung aus, daß Gott, eine Art von menschlicher Gestalt annehmend, in die unbedeutendsten Angelegenheiten des menschlichen Lebens unmittelbar eingreife und die Dinge in ganz körperlich handgreiflicher Weise regiere.
Diese und ähnliche Lehren fanden trotzdem, daß das Zeitalter der Aufklärung huldigte, besonders in der Zeit von 1770 bis 1785 im protestantischen Deutschland, [* 9] wo sich in tonangebenden Kreisen im Gegensatz zu der französischen Frivolität hier und da eine starke Neigung zu sentimental-religiöser Schwärmerei kundgab, williges Gehör, [* 10] und es wird daher begreiflich, wie Gaukler von Profession, ein Pater Gaßner, Cagliostro u. a., jahrelang das Interesse selbst der gebildeten Welt in Anspruch nehmen konnten.
Einen weitern Aufschwung nahmen diese Phantastereien durch Mesmers angebliche Entdeckung des tierischen Magnetismus, [* 11] dessen vermeintliche Thatsachen mystischen und schwärmerischen, aber auch betrügerischen Bestrebungen ein willkommenes Feld darboten. Seitdem hat sich der Glaube an die Möglichkeit eines Verkehrs mit der übersinnlichen Welt zu einer besondern Doktrin entwickelt, die sich mehr und mehr von der Verbindung mit den alten Religionsvorstellungen losmacht und einem auf diesem Verkehr begründeten neuen Religionssystem zustrebt, welches namentlich in Amerika [* 12] einen großen Anhängerkreis gewonnen hat. S. Spiritismus. Die sichtbaren und namentlich die ungerufen erscheinenden Schreckbilder bezeichnet man gewöhnlich als Gespenster (s. d., dort auch die neuere Litteratur über Geistererscheinungen). Die ältere, sehr umfangreiche Litteratur findet man bei Graesse, Bibliotheca magica et pneumatica (Leipz. 1843).
Vgl. Sierke, Schwärmer und Schwindler des 18. Jahrhunderts (Leipz. 1874).